Dem Gehirn von Zebrafischen bei der Arbeit zuschauen Wissenschaftler kombinieren Mikrotechnik mit Lichtblattmikroskopie
Das Gehirn eines erwachsenen Menschen besteht aus 86 Milliarden Nervenzellen. Das Gehirn von Zebrafischlarven ist einfacher, besteht aber immer noch aus circa 100.000 Nervenzellen. Die fünf Millimeter kleinen Larven sind fast durchsichtig, sodass ihr Gehirn mit Hilfe hochauflösender Mikroskopie beobachtet werden kann. Allerdings verwackeln die Bilder, sobald sich der Fisch bewegt. In einem interdisziplinären Projekt entwickelten Wissenschaftler im Forschungsschwerpunkt „Infektionen und Wirkstoffe“ der Technischen Universität Braunschweig eine Art Parkgarage für Zebrafischlarven kombiniert mit hochauflösender Mikroskopie. Das Paper zum Projekt ist jetzt in der Fachzeitschrift Communications Biology erschienen.
Um die Gehirne von Zebrafischen besser untersuchen und verstehen zu können, entwickelten Dr. Kai Mattern und Professor Andreas Dietzel vom Institut für Mikrotechnik (IMT) eine winzige Parkgarage mit einer Gegenstromanlage. Hier können die Tiere kurzzeitig in Wasser festgehalten werden. Das Besondere an dieser Kammer ist, dass sie vollständig aus optisch hochwertigem Glas besteht. Dieses haben die Wissenschaftler Schicht für Schicht mit einem Ultrakurzpulslaser abgetragen und dabei als „Mikro-Bildhauer“ nicht nur Kammern, sondern auch winzige Strömungskanäle in das Innere des Glases eingraviert. Diese Strömungskanäle, durch die Wasser fließt, halten die Fische in Position und können zugleich Strömungs-Stimuli geben.
So kann zukünftig beispielsweise die Aktivität der Nervenzellen bei der Verabreichung von unterschiedlichen Wirkstoffen untersucht werden. Im Anschluss an solche Tests kann dann durch ein Umkehren der Flüssigkeitsströme der Fisch wieder frei gelassen werden und zurück ins Aquarium schwimmen. Bis zur fertigen Kammer waren viele Arbeitsschritte nötig: „Viele Strömungsprofile mussten simuliert und so manche Kammer graviert werden, bis alles passte. Die fertige Kammer nennen wir ´NeuroExaminer´“, so die Mikrofluidiker.
Dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen
NeuroExaminer – der Name der Kammer ist bei den beiden Neurobiologen Dr. Jakob von Trotha und Professor Reinhard Köster von der Abteilung Zelluläre und Molekulare Neurobiologie in ihrem Forschungsalltag Programm. Sie forschen daran, die Aktivität der Nervenzellen von Zebrafischen sichtbar zu machen und zu verstehen. Die Tiere tragen dafür ein Gen, das in sämtlichen Nervenzellen einen Farbstoff produziert. Immer wenn die Nervenzellen aktiv sind und mit anderen Zellen kommunizieren, wird ein kurzer Blitz an Fluoreszenzlicht erzeugt. Die Herausforderung besteht darin, alle Nervenzellen des gesamten Gehirns der Fische bei hoher zeitlicher Wiederholung gleichzeitig zu erfassen.
Dafür hat Jakob von Trotha den NeuroExaminer mit einem Lichtblatt-Mikroskopie-Verfahren kombiniert. Ein zu einer Ebene ausgeweiteter Laserstrahl beleuchtet nacheinander übereinanderliegende Gewebsschichten des Gehirns. Innerhalb von drei Sekunden entsteht so ein dreidimensionales Bild des Aktivitätszustands des gesamten Gehirns, in dem jede einzelne Nervenzelle rekonstruiert werden kann.
Neuronale Gewitterstürme
Noch erhalten die Fische im NeuroExaminer keine Stimuli. „Wir schauen momentan den Fischen bei ihrer spontanen Gehirnaktivität zu“ sagt Neurobiologe Jakob von Trotha. „Aber schon hier ist sehr beeindruckend zu sehen, welche neuronalen Gewitterstürme bereits in einer Ruhesituation durch das Gehirn toben.“
Das interdisziplinäre Zusammenspiel aus Mikrofluidik, Bildgebung und Neurogenetik ist beispielhaft für die enge Zusammenarbeit an der TU Braunschweig über die Fächergrenzen hinweg. Um das Projekt gemeinsam weiter entwickeln zu können und dann auch Stimuli einzusetzen, haben die Wissenschaftler kürzlich 500.000 Euro Fördermittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben.
„Vielleicht können wir den Fischen ja bald sogar beim Denken zuschauen, zumindest aber verstehen, wie Informationen im Gehirn verarbeitet werden. Mit dem NeuroExaminer ist jedoch nicht nur Grundlagenforschung möglich. In Zukunft könnten wir auch bekannte Medikamente charakterisieren und eventuell sogar neue Wirkstoffe identifizieren“, sagt Professor Reinhard Köster.