Das unsichtbare Archiv des verschütteten Berlin Nachwuchsförderpreis BDA-SARP-Award für Architektur-Absolventin Jennifer Kamm
Teufelsberg, Humboldthöhe, Insulaner, Großer Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain: Die meisten Berge in Berlin sind aus Trümmern entstanden. Diesen Trümmerbergen hat Jennifer Kamm, Absolventin der Technischen Universität Braunschweig, ihre Masterarbeit im Fach Architektur gewidmet und überzeugte damit die Jury des BDA-SARP-Award. Für ihr Projekt „Trümmerberge Berlin. Virtual Reality Center“ erhielt sie den mit 2.500 Euro dotierten Nachwuchsförderpreis. Die Auszeichnung des Bunds Deutscher Architektinnen und Architekten BDA und des polnischen Architektenverbands SARP ist der höchstrangige Absolventenpreis der Fachrichtung Architektur der beiden Länder.
Rund 80 bis 90 Millionen Kubikmeter Schutt hinterließ der Zweite Weltkrieg in Berlin. Überreste von Wohnhäusern, Hotels, Bahnhöfen, Museen, Theatern, Lichtspielhäusern, Universitäten, Schulen und sakralen Bauwerken. Diese Gebäude sind aus dem Stadtbild und damit aus dem kollektiven visuellen Gedächtnis Berlins verschwunden. Was bleibt, sind die Trümmerberge. In ihrer Masterarbeit hat Jennifer Kamm die Geschichte dieser Schuttberge wieder ans Tageslicht gebracht. „Wo beginnt Architektur, wo endet sie? Ausgehend von dieser Frage, entstand die Idee, die Reichweite von sichtbarer, gebauter Umgebung auf eine Konfrontation von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszudehnen“, erklärt Jennifer Kamm. „Die Arbeit konzentriert sich auf den Wert des architektonischen Denkens und der Interaktion von Raum und Zeit.“
Vier Berge wählte die Absolventin stellvertretend aus, um diese aktiv erlebbar zu machen. In ihrem Entwurf öffnet die angehende Architektin die Schuttberge, macht sie begehbar und ermöglicht außerdem durch virtuelle Räume, nach Spuren der Vergangenheit, nach Resten von Straßen, Gebäuden und Bunkern zu forschen. „Mithilfe von Virtual Reality dürfen Besucherinnen und Besucher den Prozess des Untersuchens, des aktiven Scannens und des anschließenden Zusammensetzens der Trümmerstücke miterleben, bis sich die Gebäude rekonstruieren lassen“, so Jennifer Kamm in ihrer Entwurfsbeschreibung.
Die Jury hob hervor, dass dadurch die Beziehungen und Kontraste zwischen wiederaufgebautem Raum und verdichtetem Schutt offenbart werden. „Der Preis wurde für ein kohärentes Konzept verliehen, das konsequent und klar umgesetzt wurde und das mit Hilfe architektonischer Werkzeuge die Vergangenheit für zukünftige Generationen entdeckt“, so die Jury weiter.
Über die Auszeichnung freut sich auch ganz besonders das Department Architektur der TU Braunschweig.
„Jennifer Kamms Arbeit rekonstruiert die buchstäblich ‚verschütteten‘ Geschichten Berlins auf höchst ungewohnte Weise“, so Professor Matthias Karch, Leiter des Instituts für Mediales Entwerfen (IME), der gemeinsam mit Professorin Folke Köbberling, Leiterin des Instituts für Architekturbezogene Kunst (IAK) und Dr. Philipp Reinfeld vom IME die Masterarbeit betreute. „Mithilfe einer Infrastruktur aus begehbaren Tunnels, Stollen, Schluchten und Lichtungen wie auch einer erweiterten Wahrnehmungsmöglichkeit durch Virtual-Reality-Brillen macht sie die verlorenen Atmosphären der zerstörten Gebäude erfahrbar und relokalisiert die baulichen Überreste in der Nachbarschaft der jeweiligen Schuttberge. Frau Kamms beispielgebende Masterarbeit ist eine präzise Spurensicherung verschwundener Bauwerke Berlins und eine lakonische Erzählung über die Vernichtung von Lebenswelten, die sie in Erinnerung und damit ins Leben zurückruft.“
„Ein schöner Erfolg für Jennifer Kamm“, sagt Professor Uwe Brederlau, Leiter des Instituts für Städtebau und Entwurfsmethodik sowie der Stipendienkommission, die die Masterarbeit auswählte. „Wettbewerbe für Studierende, Absolventinnen und Absolventen sowie junge Architektinnen und Architekten sind eine wesentliche Chance sich zu profilieren. Dieser Erfolg für Jennifer Kamm wird nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern auch ihre berufliche, architektonische Entwicklung befördern.“
Der BDA-SARP-Award
Der BDA-SARP-Award ist eine Auszeichnung des Bunds Deutscher Architekten BDA und des polnischen Architektenverbands SARP. Mit dem Architekturpreis möchten die Verbände die Verständigung zwischen jungen polnischen und deutschen Architektinnen und Architekten fördern. Für den Wettbewerb nominieren die Architekturfakultäten ihre besten Abschlussarbeiten. Der Preis steht unter der Schirmherrschaft des Bundesbauministeriums und des polnischen Ministeriums für Infrastruktur und Entwicklung.
Der Preis wurde Mitte der 1980er von der SARP eingerichtet, auf Initiative von Professor Walter Henn und seiner polnischen Kollegin Ludmiła Horwath-Gumułowa, um begabten polnischen Absolventinnen und Absolventen einen Praxisaufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Henn lehrte von 1953 bis 1982 Baukonstruktion und Industriebau in Braunschweig und war maßgeblich an der Prägung einer als „Braunschweiger Schule“ beschriebenen Entwurfshaltung beteiligt.
Weitere Informationen erhalten Sie auf der Website des BDA: www.bda-bund.de