Aus dem Gleichgewicht gebracht Projekt „Homeo-Hirn” erforscht Störung der Homöostase von Gehirnzellen
Im Gleichgewicht sein – das ist auch für unsere Zellen im Gehirn von Bedeutung. Wird ihr Gleichgewichtszustand, die Homöostase, gestört, kann das unter anderem die Ursache für neurodegenerative Erkrankungen im Alter sein wie Alzheimer, andere Demenzen oder Parkinson. Im Projekt „Homeo-Hirn“ wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig die Homöostase von Gehirnzellen genauer untersuchen und dafür neue Messinstrumente entwickeln. Das Projekt wird vom Land Niedersachsen und der VolkswagenStiftung mit 1,4 Millionen Euro aus dem „Niedersächsischen Vorab“ der VolkswagenStiftung gefördert und startet am 1. April dieses Jahres.
Das menschliche Gehirn besteht aus 83 Milliarden Nerven- und ebenso vielen Gliazellen. Ihr inneres Milieu wird durch fein abgestimmte Stoffwechselvorgänge in einem Gleichgewichtszustand gehalten, der sogenannten metabolischen Homöostase. Vor allem Erkrankungen im Alter haben ihre Ursache unter anderem darin, dass die metabolische Homöostase der Gehirnzellen gestört wird. Da setzt das Projekt „Homeo-Hirn“ an: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen untersuchen, wie die Subkompartimenten von Nervenzellen – Zellkörper, Dendriten, Axone und Synapsen – untereinander und mit den Gliazellen zusammenwirken und welche Auswirkungen eine gestörte metabolische Homöostase, zum Beispiel nach einer Infektion, auf das Gehirn hat.
„Man geht davon aus, dass die Kompartimente von Nervenzellen unabhängig voneinander wirken können. Wir wollen aber wissen: Was passiert, wenn ein Kompartiment einer Nervenzelle verändert wird? Wie wirkt sich das auf die anderen Bestandteile aus? Wenn wir zum Beispiel einen Wirkstoff oder die Interaktion mit einer Immunzelle des Gehirns nur auf die Axone einwirken lassen, verändert das auch die Dendriten, den Zellkörper und die Synapsen? Verändert das vielleicht sogar die gesamte Funktionalität und Struktur eines Neurons? Und wie verändert es die Interaktion von Gliazellen mit Neuronen?“, so der Sprecher des Projektes, Professor Martin Korte, Leiter der Abteilung Zelluläre Neurobiologie der TU Braunschweig.
Interdisziplinärer Ansatz für neue Messinstrumente
Um solche Prozesse in lebenden Nervenzellen beobachten zu können, fehlen bisher präzise Messinstrumente. Die will das Forschungsteam jetzt in dem interdisziplinären Projekt entwickeln. Dafür arbeiten Forschende aus der Neurobiologie, der Systembiologie, der Chemie und den Ingenieurswissenschaften wie Maschinenbau und Elektrotechnik zusammen. Unter anderem soll eine neuartige Durchflusskammer gepaart mit winzigen Nano-LED-Modulen entstehen, die es ermöglicht, lebende Nervenzellen über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. Mithilfe der Durchflusskammer soll präzise reguliert werden, mit welchen Substanzen oder Krankheitserregern einzelne Kompartimente von Nervenzellen in Kontakt kommen. Die Nano-LED-Module fungieren dabei als kleine Mikroskope und erlauben eine dauerhafte Beobachtung. So kann beispielsweise über mehrere Wochen beobachtet werden, wie Nervenzellen und ihre Kompartimente sich aufgrund der Einwirkung von Viren oder Bakterien verändern oder welche langfristigen Auswirkungen Wirkstoffe auf Nervenzellen haben.
Dabei verbindet das Projekt drei Forschungszentren der TU Braunschweig – das Braunschweiger Zentrum für Systembiologie (BRICS), das Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik (PVZ) und das Laboratory for Emerging Nanometrology (LENA) – in ihren Forschungsaktivitäten im Forschungsschwerpunkt „Infektionen und Wirkstoffe“. Beteiligt an dem Projekt sind außerdem das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), das Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin und die Universität zu Lübeck.
„Mit dieser disziplinübergreifenden Zusammenarbeit wollen wir dazu beitragen, Krankheitsprozesse im Gehirn besser zu verstehen und eine gezielte Erforschung der Ursachen von neurologischen Krankheiten, die häufig im Alter auftreten, ermöglichen. Genauere Kenntnisse der metabolischen Homöostase können außerdem dabei helfen, Wirkstoffe effizienter zu testen,“ sagt Professor Martin Korte, Neurobiologe an der TU Braunschweig und Leiter der Arbeitsgruppe „Neuroinflammation und Neurodegeneration“ am HZI. „Mit dem Projekt wollen wir die Grundsteine setzen, um Grundlagenforschung zu befähigen, messtechnisch und therapeutisch die Bekämpfung wichtiger Erkrankungen des Gehirns voranzutreiben. Wir verstehen uns hier als Brückenbauer zwischen den Disziplinen, aber auch zwischen der methodischen Entwicklung und deren biomedizinische Anwendung.“