Antrittsvorlesungen von Prof. Dr. Ralf Jänicke, Prof. Dr. Henning Wessels und Prof. Dr. Roland Wüchner Anwendungsbereiche für Computational Engineering
Mit „Computational Engineering“ bezeichnet man die Anwendung von Computermodellierung, Simulation und Analyse zur Lösung technischer Probleme in verschiedenen Ingenieursdisziplinen. Am 21. Juni werden Professoren der Technischen Universität Braunschweig – Ralf Jänicke, Henning Wessels und Roland Wüchner – drei solcher Anwendungsbereiche für rechnergestützte Methoden vorstellen.
Mittwoch, 21. Juni 2023, 15:00 Uhr
Aula, Pockelsstr. 11
Haus der Wissenschaft, 38106 Braunschweig
Antrittsvorlesung „Computational Engineering – Potenziale der modernen Festkörpermechanik“ von Prof. Dr. Ralf Jänicke
Wann muss ein Stahlbetonträger ausgetauscht oder saniert werden? Wann wird das Material spröde? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Festkörpermechanik, ein Teilgebiet der klassischen Mechanik, die unterschiedliche Materialklassen untersucht. Die Herausforderung dabei ist: Man muss erst einmal komplexe elektrochemische und hydromechanische Prozesse auf der Mikrometerskala beschreiben, verschiedene Längenskalen miteinander verknüpfen, bis man schließlich auf der Bauteilskala angelangt ist. Ziel ist, den Schaden vorherzusagen, bevor er auftritt.
In seiner Forschung nutzt Ralf Jänicke eine Kombination von drei verschiedenen Methoden, um das Verhalten und den Verschleiß bestimmter Materialien vorherzusagen: die physikalische Modellbildung und mathematische Beschreibung, die experimentelle Untersuchung sowie das Computational Engineering. Mithilfe digitaler Zwillinge, also virtueller Abbilder von Prozessen, kann man innerhalb kurzer Rechenzeiten voraussagen, was in zehn Jahren mit einem Stahlbetonträger passieren wird.
In diesem Vortrag werden alle drei Methodischen Zugänge der Festkörpermechanik anhand aktueller Forschungsprojekte „greifbar“ gemacht.
Zur Person:
Professor Ralf Jänicke hat an der Universität des Saarlandes Werkstoffwissenschaften studiert und wurde dort auch promoviert. In seiner Promotion am Lehrstuhl für Technische Mechanik untersuchte er die skalenübergreifende Formulierung mikromorpher Kontinuumstheorien. Nach seiner Habilitation („venia legendi“) an der Ruhr-Universität Bochum wechselte er als Associate-Professor in Solid and Structural Mechanics an die Chalmers University of Technology in Göteborg, Schweden. Zum 15. Februar 2021 hat Professor Jänicke die Leitung des Instituts für Angewandte Mechanik an der TU Braunschweig übernommen. Er forscht an numerisch effizienten Simulationsverfahren für gekoppelte Mehrskalenprobleme mit Anwendungen in den Bauingenieur- und Materialwissenschaften sowie der Geotechnik und der Geophysik.
Antrittsvorlesung „Computational Engineering – Potenziale der datengetriebenen Modellierung“ von Prof. Dr. Henning Wessels
Big Data ist in aller Munde. Auch im Ingenieurbereich. Ingenieur*innen verfügen über immer mehr und immer genauere Daten über die Systeme, die sie entwickeln und überwachen. Ob ein Fachwerkhaus, eine Brücke oder eine Windenergieanlage: Um Bauwerke sicher zu planen, werden sie durch datengetriebene Methoden modelliert und zwar nach den Regeln der Physik. Prof. Dr. Henning Wessels erklärt in seiner Antrittsvorlesung, wie physikalische und datengetriebene Modellierung kombiniert werden, um die Simulationen und Modelle für Bauwerke zu verbessern.
Zur Person:
Henning Wessels hat an der Leibniz Universität Hannover Maschinenbau studiert und dort 2019 zum Thema „Thermo-Mechanical Modeling for Selective Laser Melting“ promoviert. Ein durch das Doktorandenprogramm der Fulbright-Kommission geförderter Forschungsaufenthalt führte ihn 2017 an die University of California, Berkeley (USA). Bis Februar 2021 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter (PostDoc) am Institut für Kontinuumsmechanik der Leibniz Universität Hannover (IKM) tätig.
Antrittsvorlesung „Computational Engineering – Potenziale der modernen Baustatik“ von Prof. Dr. Roland Wüchner
Die Baustatik beschäftigt sich vorrangig mit der Weiterentwicklung und Etablierung von Methoden, die zur abgesicherten Analyse, Synthese und Beurteilung von Tragstrukturen unter verschiedensten Belastungsszenarien eingesetzt werden. Dies geschieht in der Entwurfsphase sowie auch während der Nutzungsdauer.
Auf diese Themenfelder richtet sich somit der Hauptfokus der Forschungsarbeiten und Lehraktivitäten des Instituts für Statik und Dynamik. Bauspezifische Aspekte stellen dabei besondere Randbedingungen für die methodischen Entwicklungen in der Baustatikforschung dar: Bauwerke sind in der Regel sehr groß und sie sind Unikate. Daher kann in der Planung nicht auf Prototypen im Realmaßstab zurückgegriffen werden. Die Tragwerke sind zudem komplexen Belastungssituationen z.B. aus der Umwelt und verschiedenen Naturgefahren ausgesetzt, wobei auch Wechselwirkungsphänomene (wie z.B. Fluid-Struktur-Interaktionen) auftreten können. Dies erfordert Berechnungsverfahren mit prädiktiver Ergebnisqualität, die bei Bedarf auch multiphysikalische, gekoppelte Probleme lösen können. Im Kontext von nachhaltigem Bauen kommt beispielsweise Tragwerken mit optimalem Ressourceneinsatz sowie geeigneten Weiter-/Umnutzungskonzepten eine große Bedeutung zu. Neben dem optimierten Strukturentwurf sollte auch der Tragwerkszustand über die Lebenszeit nachverfolgt und bewertet werden können. Durch die (Weiter-)Entwicklung von hierzu geeigneten numerischen Methoden unterstützt die moderne Baustatik damit auch die Etablierung von Digitalen Zwillingen der Tragwerke.
Die Verfügbarkeit von schnellen Computern in Kombination mit den u.a. durch die Baustatik entwickelten, leistungsfähigen numerischen Methoden erlaubt komplexe Modellierungen und Simulationen von einer großen Bandbreite an Problemen – sowohl im Bauwesen als auch darüber hinaus.
Die Baustatik ist das Bindeglied zwischen den Grundlagendisziplinen und v. a. den konstruktiven Fächern sowie der Architektur. Deshalb werden Forschung und Lehre immer auch im Hinblick auf die Vernetzung mit den „angrenzenden Disziplinen“ gestaltet und interdisziplinäres Verständnis ist unabdingbar. In diesem Vortrag werden Potenziale und Herausforderungen computergestützter Berechnungsverfahren aus der aktuellen Baustatikforschung anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt und ihre Leistungsfähigkeit demonstriert.
Zur Person:
Roland Wüchner studierte Bauingenieurwesen an der TU München, wo er 2006 zu „Mechanik und Numerik der Formfindung und Fluid-Struktur-Interaktion von Membrantragwerken“ promovierte. Anschließend war er Akademischer Rat und Stellvertreter des Leiters am Lehrstuhl für Statik, ab 2011 Akademischer Oberrat. Von 2016 bis 2021 war Roland Wüchner Full Research Professor am renommierten International Center for Numerical Methods in Engineering (CIMNE) in Barcelona, Spanien. Im März 2017 habilitierte er an der Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt, TU München. Im Juni wurde er zum Privatdozent für das Fachgebiet Statik und Dynamik an der TU München ernannt. Seit Beginn 2021 ist er Visiting Research Professor am CIMNE, wo er auch in das Scientific Advisory Council gewählt wurde. Die George Mason University (Fairfax, VA , USA) ernannte ihn im Mai 2023 zum Affiliate Professor. Seit September 2021 leitet er das Institut für Statik und Dynamik der TU Braunschweig.