12. Juli 2023 | Presseinformationen:

Antrittsvorlesungen von Prof. Dr. Julia Schöll und Prof. Dr. Stefan Heuser Erzählen und Ethik

Prof. Dr. Julia Schöll, Institut für Germanistik, und Prof. Dr. Stefan Heuser, Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik, halten ihre Antrittsvorlesungen am

Mittwoch, 19. Juli 2023, um 16:00 Uhr,

Haus der Wissenschaft, Aula, Pockelsstraße 11, 38106 Braunschweig.

Antrittsvorlesung „Erzählen und Ethik – Literaturwissenschaftliche Perspektiven“ von Prof. Dr. Julia Schöll

In seiner jüngsten Publikation (2023) spricht Philosoph Byung-Chul Han von einer „Krise der Narration“. Das Erzählen habe seine Magie verloren und wir lebten in einer „postnarrativen Zeit“, so seine Diagnose. Diese Art narrativer Kulturpessimismus ist derzeit weit verbreitet – allein, die aktuelle Literaturproduktion straft die Rede vom „Ende des Erzählens“ Lügen. Menschen erzählen, wie sie immer erzählt haben und immer erzählen werden, weil das Erzählen als alltägliche und künstlerische Kulturtechnik einen wesentlichen Bestandteil der Prozesse persönlicher und kollektiver Identitätsbildung ausmacht. Literatur fungiert dabei als moralisches Probehandeln, sie entwirft utopische oder dystopische Zukunftsperspektiven, sie ist Medium der politischen Ethik oder des kollektiven Gedächtnisses. Diesen Prozessen geht die Antrittsvorlesung anhand des komplexen Wechselspiels zwischen literarischem Erzählen und der Ausbildung ethischer Werte nach.

Zur Person

Julia Schöll studierte Germanistik, Psychologie sowie Geschichte an den Universitäten Bamberg, Frankfurt/Main und Paris IV/Sorbonne und wurde mit einer Arbeit zu Thomas Manns Exilroman „Joseph und seine Brüder“ promoviert. Ab 2004 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, später als Akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg tätig. Als Feodor-Lynen-Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung forschte sie 2007/2008 an der University of California/Irvine sowie 2008/2009 an der Universität Basel. Nach einer Vertretungsprofessur an der Universität Konstanz 2017/2018 sowie einer Gastprofessur für transnationale Forschung am Jakob-Fugger-Zentrum der Universität Augsburg wurde sie 2020 auf die W3-Professur für Neuere deutsche Literatur an die TU Braunschweig berufen.

Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen weibliche Autorschaft im 18. Jahrhundert, Literatur und Philosophie der Goethezeit, Thomas Mann, Literatur und Poetologien der Gegenwartskultur (21. Jhdt.), Ethik und Narration, Adaption Studies sowie der Schnittstelle von Narratologie und Identitätstheorien.

Antrittsvorlesung „Erzählen und Ethik – Theologische Perspektiven
von Prof. Dr. Stefan Heuser

Ausgehend von der für die Ethik grundlegenden Unterscheidung von regelbezogener Moral und praxisbezogenem Ethos fragt diese Antrittsvorlesung nach dem Beitrag von Erzählpraktiken, Erzählorten und Narrationen zur Tradierung und zum Erlernen von Lebensformen und ihrer Ethik. Im Gespräch mit Walter Benjamin und Paul Ricoeur wird gezeigt, wie Erzählungen dazu beitragen können, dass Menschen sich mit ihren Erfahrungen in gemeinsamen Lebensformen kontextualisieren. Auch können Erzählungen neue Wahrnehmungen von Wirklichkeit anbahnen, neue Handlungsmöglichkeiten erschließen und zu einer erneuerten Urteilsbildung anleiten. In diesem Sinne sind Erzählungen auch Medien des Ethiklernens. Insofern Erzählungen aber nicht nur die Wahrnehmung von Wirklichkeit erweitern und verschieben, sondern auch unhintergehbare und nicht ableitbare Erfahrungen artikulieren sowie eine neue Wirklichkeit bzw. die Wirklichkeit neu zur Mitteilung bringen, sind sie zugleich Gegenstand theologischer Reflexion. Diese fragt nach der einen Story, der bestimmten Geschichte, die in der Vielfalt ihrer Formen, aber quer zur Pluralität möglicher Erzählungen, unbedingt zu erzählen und weiterzuerzählen ist. Die Vorlesung schließt mit einem Ausblick auf die Bedeutung dieser Verhältnisbestimmung von Erzählen und Ethik für das Ethiklernen im Kontext von Technik, genauer: für die Ethik des Zusammenwirkens von Menschen und intelligenten Maschinen.

Zur Person

Dr. Stefan Heuser, geb. 1971, ist seit 2019 Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Technischen Universität Braunschweig. Zuvor war er Professor für Ethik in der Pflege an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt, Privatdozent an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Promotion und Habilitation erfolgten an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, wo er auch als Privatdozent wirkte und eine Lehrstuhlvertretung übernahm. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen in der Technikethik (insbesondere ethische Fragen des Zusammenwirkens von Menschen und intelligenten Maschinen), der Bioethik (insbesondere ethische Fragen der Reproduktionsmedizin, der Molekulargenetik, des Alterns, der Pflege und des Lebensendes), der Sozialethik (insbesondere ethische Fragen sozialer Lebensformen und ihrer Krise), der Bildungsethik (insbesondere ethische Fragen der interreligiös-interkulturellen Kompetenzentwicklung und der Gerechtigkeit in der Schule) sowie der theologischen Ethik (insbesondere ethische Fragen liturgischer Praktiken, der Friedensethik sowie der Ethik der guten Werke).