Wenn es auf der Baustelle zu heiß wird Prof. Patrick Schwerdtner und Luisa Kynast zum Projekt „KlimaBau“
Heiße Sommer, Starkregen, Stürme: Zwar ist die Arbeit auf Baustellen schon immer vom Wetter abhängig, doch mit dem Klimawandel muss sich die Baubranche nicht nur auf Schnee und Eis im Winter, sondern ganzjährig auf veränderte Witterungsbedingungen einstellen. Welche Auswirkungen der Klimawandel auf verschiedene Gewerke und die Arbeit unter freiem Himmel hat, untersuchte das Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (IBB) gemeinsam mit Partnern von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) und dem Deutschen Wetterdienst (DWD) im Projekt „KlimaBau“. Im Fokus stand dabei der „Faktor Mensch“. Mit Professor Patrick Schwerdtner und Luisa Kynast hat Bianca Loschinsky über die Forschungsergebnisse gesprochen.
Sie haben sich in Ihrem jetzt abgeschlossenen Projekt „KlimaBau“ mit den Auswirkungen des Klimawandels in der Baubranche beschäftigt. Zunächst ganz generell gefragt: Wie zeigt sich der Klimawandel dort? Was muss berücksichtigt werden?
Prof. Patrick Schwerdtner: Grundsätzlich ist der Klimawandel für die Bau- und Immobilienbranche ein wichtiges und globales Thema. Auch vor dem Hintergrund, dass die Branche sowohl betroffen als auch Verursacher ist, wenn man zum Beispiel die CO2-Emissionen betrachtet. Insofern ist damit zu rechnen, dass der gesamte Baubereich künftig noch mehr in den Fokus rücken wird.
In unserem Projekt haben wir uns auf die Baustelle konzentriert und untersucht, inwiefern die Arbeiten vom Klimawandel und den geänderten Witterungsbedingungen betroffen sind. Insgesamt kann man zwei Entwicklungen beobachten: Zum einen ändert sich die Witterung bei periodenbezogenen Betrachtungen (beispielsweise wird es längere Hitzeperioden geben), zum anderen nehmen aber auch punktuelle Extremwetterereignisse nehmen zu. Das ist natürlich für den Bauprozess entscheidend, weil man berücksichtigen muss, wie man die Baustellen hierauf vorbereitet.
Anders als in bisherigen Untersuchungen haben Sie im Projekt „KlimaBau“ vor allem den Menschen in den Mittelpunkt Ihrer Forschung gerückt. Wie kam das? Und um wen geht es konkret?
Prof. Schwerdtner: Bislang hat sich die Forschung mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Bauprozesse und die veränderten Anforderungen wenig auseinandergesetzt. Für uns als Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb ist dies jedoch durchaus von Interesse. Wenn wir uns wissenschaftlich mit der Bauausführung beschäftigen, stehen in der Regel die Zielsetzungen „Qualität, Termine, Kosten“ im Vordergrund. Themen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes werden zwar auch adressiert und sind in den Regularien für die Baudurchführung verankert. Aber man merkt, dass sie meistens auf einer nachrangigen Stufe behandelt werden.
Wir müssen uns jedoch ganz dringend mit dem Themenfeld beschäftigen. Der weiße Hautkrebs ist beispielsweise mittlerweile die häufigste Berufskrankheit bei den Arbeitskräften auf der Baustelle. Dennoch sind die Regularien zum Gesundheitsschutz zum Teil sehr diffus formuliert. Deshalb haben wir die Arbeitskräfte auf der Baustelle in den Vordergrund gerückt und untersucht, wie diese bislang geschützt sind und was zu tun ist, um einen besseren Schutz zu gewährleisten.
Luisa Kynast: Und auch wenn auf der Baustelle durch die additive Fertigung ein Wandel stattfindet, wird man mittel- und langfristig den Menschen als Arbeitskraft nicht durch rein technische Prozesse ersetzen. Auch künftig wird unter freiem Himmel gebaut. Deshalb ist es wichtig, den Menschen weiterhin zu berücksichtigen.
Sie haben sich ganz genau die Regelungen zu den Witterungsbedingungen angesehen. Was haben Sie hier festgestellt?
Kynast: Wir haben uns angeschaut, wie mit Witterungsbedingungen in Gesetzestexten, Normen, Richtlinien, Verfahrensanweisungen umgegangen wird. Der Fokus der Analyse lag auf Angaben zu Witterungsbedingungen während der Bauausführung für Mensch und Material. Dabei haben wir festgestellt, dass Witterung generell ein Thema ist, die Begrifflichkeiten dazu aber unscharf verwendet werden – zum Beispiel „ungünstige oder extreme Witterungsbedingungen, scharfer Wind, extreme Temperaturen“. Doch was bedeutet das für die Bauunternehmen überhaupt? Es fehlt hier häufig an konkreten Grenzwerten.
Zudem befinden sich Unternehmen in einem Spannungsfeld: Einerseits stehen sie in einem bauvertraglichen Verhältnis zu ihrem Auftraggeber oder Bauherr*in, indem sie als Fachunternehmen eine bestimmte Qualität zu vorher kalkulierten Kosten in einer festgelegten Zeit schulden. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitskräfte verantworten. Dazu zählt auch ganz klar der Schutz vor Witterungseinflüssen. Und diese Schutzmaßnahmen können wiederum Auswirkungen auf die Kosten oder Termine haben.
Wie werden die Arbeitskräfte bislang geschützt?
Kynast: Den rechtlichen Rahmen hierzu bildet das Arbeitsschutzgesetz. Der Arbeitgeber steht in der Verantwortung zur Beurteilung von Gefahren und zur Durchführung erforderlicher und geeigneter Schutzmaßnahmen. Hierzu zählt auch der Schutz vor Witterungseinflüssen. Die konkreten Maßnahmen sind mannigfaltig. Auf den meisten Baustellen wird man bislang beispielsweise keine Wetterschutzzelte entdecken. Häufig wird mit persönlichen Schutzmaßnahmen operiert. Wenn es um Sonnenschutz geht, schützen sich die Arbeitskräfte mit langer Kleidung oder mit Sonnencreme. Die persönlichen Schutzmaßnahmen stehen momentan meist vor den technischen oder organisatorischen. Im Hinblick auf präventive Maßnahmen müssten jedoch technische und organisatorische Maßnahmen im Vordergrund stehen.
Wie müssen die Maßnahmen angepasst werden? Gibt es Regeln, dass auf einer Baustelle ab einer bestimmten Temperatur nicht mehr gearbeitet werden darf?
Kynast: Nein, das ist für die praktikable Anwendung auf der Baustelle – im Vergleich zu Arbeitsplätzen im Innenbereich – nicht der Fall. Im Umgang mit der UV-Strahlung gibt es zumindest Empfehlungen hinsichtlich der UV-Grenzwerte. Der UV-Index hat aber noch keinen Eingang in eine Norm gefunden. Die Unternehmen sind daher weitestgehend frei in der Umsetzung.
Prof. Schwerdtner: Man muss natürlich auch vorsichtig sein, dass es nicht zu einer Regelungswut kommt. Die Unternehmen benötigen eine gewisse Flexibilität. Bauprojekte sind nicht nur Unikate, was den Bauentwurf anbelangt, sondern auch in Bezug auf die Randbedingungen. Wenn man fixe Grenzwerte nennen würde, könnte das auf das eine Projekt zutreffen, beim anderen wieder nicht, weil die Arbeiten körperlich nicht so belastend sind. Wenn es um den Faktor Mensch geht, sind viele verschiedene Einflüsse zu berücksichtigen, um zu beurteilen, welcher Schutz adäquat ist: Sind häufigere Pausenzeiten notwendig? In welcher Kleidung sind die Arbeitskräfte tätig? Arbeiten sie im Freien oder innerhalb eines Rohbaus? Bei den Grenzwerten muss man also etwas konkreter werden als bisher, aber andererseits auch noch so viel Freiheiten belassen, dass es nicht zu starken Einschränkungen in Bauprojekten kommt, wo es gar nicht notwendig wäre.
Wichtig ist, dass man künftig unterschiedliche Betrachtungshorizonte und Kompetenzfelder berücksichtigt und harmonisiert. Deshalb waren in unserem Projekt verschiedene Kompetenzbereiche eingebunden: wir als baubetriebliche Expert*innen, der Deutsche Wetterdienst (DWD) mit seiner Meteorologie-Expertise und die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) mit dem Fokus Sicherheit und Gesundheitsschutz. Alle bewegen sich in unterschiedlichen Perspektiven, Begriffswelten und Normenbereichen. Wir benötigen hier eine Harmonisierung und gut verständliche Grundlagen, damit im Zweifelsfall nicht vor Ort zwischen Profit und Gesundheit abgewogen werden muss.
Der DWD hat historische Daten und mögliche zukünftige Klimadaten ausgewertet, die für die Baubranche relevant sind. Was kam dabei heraus?
Kynast: Dass es in den vergangenen Jahrzehnten wärmer wurde und zukünftig wärmer wird, ist sicherlich allgemein bekannt. Uns ging es darum, die Brille von Bauunternehmen aufzusetzen. Womit muss ich demnächst rechnen? Dafür haben wir uns des Klimamonitorings bedient, den historischen Daten, die der DWD für uns ausgewertet hat. Und der Klimaprojektion, also die Modellierung von Klimadaten.
Rein meteorologisch macht es einen Unterschied, wo ich baue. Das muss auch jedem Bauunternehmen klar sein. Zum Beispiel wurden in Potsdam im Jahr 2018 insgesamt 33 „heiße Tage“ verzeichnet während es in Augsburg gerade einmal zwölf heiße Tag gab. Ein heißer Tag ist ein Tag, an dem die Temperatur von 30 Grad überschritten wird. Es gibt also regional große Unterschiede. Dementsprechend muss ich auch nicht nur die Verarbeitbarkeit des Materials berücksichtigen, sondern auch den Faktor Mensch. Denn je heißer es wird, desto anstrengender wird auch die Bauausführung für die Arbeitskräfte.
Der DWD hat uns außerdem bestätigt, dass die Winter in der Vergangenheit milder wurden. Die Anzahl der Frost- und Eistage nehmen tendenziell ab. Für viele Gewerke der Baubranche ist zudem die 5-Grad-Grenze von Bedeutung. Hier haben wir keine Zunahme oder Abnahme in der Historie festgestellt. Daraus kann man schlussfolgern, dass der Sommer bei der Betrachtung des Wetters wichtiger wird. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass der Winter an Bedeutung verliert. Nur die Bedingungen ändern sich. Tendenziell ist mit milderen und feuchteren Wintern und heißeren und trockeneren Sommern zu rechnen.
Gibt es heute überhaupt noch „Schlechtwetter“?
Prof. Schwerdtner: „Schlechtwetter“ impliziert bei vielen ein Bild mit Schnee und Eis, wo nicht gearbeitet werden kann. Das ist seit vielen Jahren so extrem nicht mehr der Fall, zumindest in der Bauindustrie. Das hat aber nicht nur mit dem Klimawandel zu tun, sondern liegt auch an den Entwicklungen in der Verfahrenstechnologie. Heute ist man zum Beispiel in der Lage, bei sehr kühlen Temperaturen zu betonieren. Wir werden uns aber daran gewöhnen müssen, dass ungünstige Witterungsbedingungen, die sich nachteilig auf die Produktion auswirken, ganzjährig zu beobachten sind. Das sind sowohl längere Hitze- als auch Kältephasen, aber auch häufigere Extremwetterereignisse. Dabei ist es wichtig, sich die voraussichtlichen Randbedingungen für die Bauproduktion anhand statistischer Daten sehr lokal und projektspezifisch anzuschauen und bereits in der Planungsphase und im Zuge der konkreten Arbeitsvorbereitung zu berücksichtigen.
Haben Sie Vorschläge erarbeitet, wie man Arbeitskräfte besser schützen kann?
Kynast: Eine Pflicht zum Sonnen- und Hitzeschutz mit konkreten Grenzwerten gibt es bislang nicht. Jedoch wird gerade an einer Arbeitsstättenrichtlinie gearbeitet, die sich mit der Tätigkeit im Freien beschäftigt. An einem Arbeitsgruppentreffen haben wir bereits teilgenommen. Auch wenn es bislang keine konkreten Grenzwerte gibt, ist das Unternehmen trotzdem verpflichtet, im Rahmen seiner Gefährdungsbeurteilung gesundheitliche Gefahren zu erkennen, zu bewerten und entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Dazu zählt auch das Erkennen von Hitze oder von einem zu hohen Maß an Sonneneinstrahlung. Wie können die Arbeitskräfte auf der Baustelle besser geschützt werden? Ganz klar durch technische oder organisatorische Maßnahmen mit unterstützenden persönlichen Maßnahmen. Im besten Fall sind diese bereits in den Ausschreibungsunterlagen für bauausführende Firmen enthalten und werden somit Teil der vertraglichen Vereinbarungen.
Prof. Schwerdtner. Wir haben uns verschiedene Referenzgewerke angesehen. Die Realität ist sehr vielschichtig und heterogen. Beispielsweise kann eine Einhausung bei Arbeiten im Freien erforderlich werden, wenn dort in starker Sonneneinstrahlung gearbeitet werden muss. Das wäre eine technische Maßnahme. Stattdessen oder ergänzend können organisatorische Maßnahmen sinnvoll sein, indem zum Beispiel zusätzliche Pausenzeiten geplant werden oder der Unternehmer dafür Sorge trägt, dass frühmorgens und spätnachmittags gearbeitet wird und nicht in der Hitze der Mittagssonne. Und erst dann sollten zusätzliche persönliche Maßnahmen wie Sonnencreme und Getränke greifen. So müsste es idealerweise sein. Die Praxis zeigt aber, dass die Maßnahmen nicht immer in dieser Reihenfolge geplant werden.
Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft ist auch an dem Projekt beteiligt. Welche Empfehlungen sind aus dem Projekt entstanden?
Prof. Schwerdtner: Professor Frank Werner von der BG BAU ist in unserer Fakultät schon seit vielen Jahren als Lehrbeauftragter tätig. Er hält eine Vorlesung zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir das Projekt mit der BG BAU als Mittelzuwendungsgeber umsetzen konnten. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die BG BAU und den DWD für die engagierte Mitwirkung im Projekt.
Eine ganz zentrale Forderung, die wir aus unseren Ergebnissen ableiten, ist, dass wir das Thema Klimawandel und Schutz vor Witterungsbedingungen auf Baustellen nicht ausschließlich und viel zu spät den bauausführenden Firmen zuweisen dürfen. Im Gegenteil müssen grundlegende Betrachtungen – sowohl für die Bau- als auch die Betriebsphase – sehr frühzeitig in den gesamten Planungs- und Bauprozess integriert werden. Es ist also bereits am Anfang eine Aufgabe der Initiator*innen eines Bauprojekts, diese Grundlagen zu schaffen. Analog zur frühzeitigen Erstellung eines Baugrundgutachtens muss auch ein Witterungsgutachten vorliegen, um allen Beteiligten deutlich zu machen, mit welchen Bedingungen in der Bau- und Betriebsphase zu rechnen ist.
Momentan wird von allen Beteiligten sehr individuell und intransparent beurteilt, wie man mit der Witterung umgeht. Und das legen natürlich alle Beteiligten unterschiedlich für sich aus. Es muss somit gelebte Praxis werden, dass grundlegenden Betrachtungen frühzeitig und durchgängig im Planungs- und Bauprozess zu verankern. Alles was wir ad hoc auf der Baustelle entscheiden, ist meistens nur die zweit- oder drittbeste Lösung.
Wir haben auch angeregt, über einen ganzjährigen staatlichen Schutzschild nachzudenken, den es bislang nur für Schlechtwetter im Winter gibt. Die aktuelle Beschränkung auf den Zeitraum November/Dezember bis März ist zukünftig weder für die Zahlung eines Saisonkurzarbeitergeldes, noch für die präventive Planung von Maßnahmen im Hinblick auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz und in baubetrieblicher Hinsicht zielführend.