Wenn die Promotion an der Psyche nagt Ein deutsch-amerikanische Forschungsprojekt untersucht mentale Gesundheitskompetenz
Professor Christian Pester und Juniorprofessorin Sarah Schäfer arbeiten zusammen an einem Projekt zur Verbesserung der mentalen Gesundheit von Promovierenden in MINT-Fächern. Dazu führen sie bis Ende 2024 eine Umfrage in Deutschland und den USA unter Betreuenden von Promotionsarbeiten zur mentalen Gesundheitskompetenz durch. Sie wollen erfahren, was die Betreuenden darüber wissen, welche Faktoren die psychische Gesundheit beeinflussen, wie man psychische Belastung erkennen kann und welche professionellen Unterstützungsangebote vorhanden sind. Eine hohe mentale Gesundheitskompetenz hilft, mit eigenen psychischen Problemen umgehen und zugleich Betroffene besser unterstützen zu können. Ziel des Projektes ist also, Wege zu finden, um die mentale Gesundheitskompetenz zu stärken. Über „Mental Health Literacy“ haben wir mit Professor Pester von der University of Delaware und mit Juniorprofessorin Schäfer von der TU Braunschweig gesprochen.
Professorin Schäfer und Professor Pester, sieht es so schlimm um die mentale Gesundheit aus?
Professor Pester: Im Jahr 2019 lebte weltweit einer von acht Menschen mit einer psychischen Störung. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich dieses Problem weiter verschärft. Angstzustände und depressive Störungen sind die häufigsten Erkrankungen. Laut einer Studie in den Vereinigten Staaten weisen 36 Prozent der Studierenden Symptome von Angsterkrankungen und 41 Prozent Depressionssymptome auf. Mehr als drei Viertel der Studierenden gaben an, in den letzten 30 Tagen mäßigen oder starken Stress erlebt zu haben. Gleichzeitig erhalten weniger als die Hälfte der Betroffenen professionelle Hilfe. Dieses Thema ist dringlich, um ein nachhaltiges und gesundes akademisches Umfeld für globale Forschung und Entwicklung zu gewährleisten.
Professorin Schäfer: Auch in Deutschland ist die psychische Gesundheit junger Menschen nach der COVID-19-Pandemie in den Fokus gerückt. Stress ist dabei eine der Hauptursachen für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Erkrankungen. Etwa 63 Prozent aller psychischen Erkrankungen treten erstmals bis ins junge Erwachsenenalter auf. Da die Promotion von vielen Menschen als sehr stressreiche Phase erlebt wird, besteht ein erhöhtes Risiko, psychische Belastungen zu erleben.
Was hat Sie Beide zu dieser Kooperation motiviert und warum konzentrieren Sie sich auf die MINT-Fächer?
Professor Pester: Viele Statistiken zur mentalen Gesundheit sind in den MINT-Fächern noch viel gravierender, wenn man sie mit anderen Fachbereichen vergleicht. Während meiner Zeit an der Grenzfläche zwischen Deutschland und den USA war ich immer von den kulturellen Unterschieden fasziniert. Ich habe auch die Naturwissenschaft immer geliebt, aber dann auf einer persönlichen Ebene erfahren, wie herausfordernd der akademische Weg sein kann. Das hat mein Interesse an Psychologie und Philosophie geweckt und zu einer ersten Publikation geführt. Als sich mir die Gelegenheit für ein Sabbatical bot, wusste ich, dass ich meine Leidenschaften für Naturwissenschaften und Psychologie miteinander verbinden wollte, und ich war begeistert, dass ich durch Professorin Angela Ittel auf einer Konferenz in Boston die Verbindung zu Sarah herstellen konnte.
Professorin Schäfer: Ich war zunächst überrascht von einer Anfrage aus dem Bereich der Materialwissenschaften, aber fand die Idee eines interdisziplinären Projekts sofort spannend. Meine Forschung beschäftigt sich mit der Frage, was junge Menschen im Kontext von Krisen und Herausforderungen psychisch gesund hält. Dazu kamen wir schnell ins Gespräch und haben festgestellt, dass die Promotion in MINT-Fächern für viele Promovierende eine besondere Herausforderung darstellt. Aus der Forschung wissen wir, dass ein relevanter Anteil von Promovierenden in dieser Zeit Belastungssymptome entwickelt. Gleichzeitig liegen wenige Erkenntnisse dazu vor, welche Faktoren wichtig sind, um mit diesen Anforderungen gut umgehen zu können. Das wollen wir gemeinsam ändern.
Herr Pester, Sie haben in Deutschland promoviert, sind dann als Postdoktorand an eine Universität in den USA gegangen. Haben Sie die Promotion auch als „stressigste Zeit des Lebens“ empfunden oder wie sind Sie auf das Thema Mental Health in der Promotion aufmerksam geworden?
Professor Pester: Für mich war das Promotionsstudium eine großartige Zeit. Es gab zwar auch schwierige Zeiten und Konflikte, aber ich hatte einen großartigen Betreuer und einen hervorragenden Freundeskreis. Durch ein Humboldt-Stipendium hatte ich nach der Promotion das Glück, für drei Jahre an der Universität in Santa Barbara, Kalifornien, arbeiten zu können. Ich war von Sonnenschein, Palmen und dem Meer umgeben. Gleichzeitig wirkten aber die Promovierenden, die ich während meiner Zeit dort kennenlernte, immer gestresst. Einige sagten mir tatsächlich, dies sei die schlimmste Zeit ihres Lebens. Als ich selbst Professor wurde und mit immer mehr Promovierenden zu tun hatte, stellte sich heraus, dass diese Unzufriedenheit mit dem akademischen System keine Einzelfälle sind, sondern eher ein systemisches Problem darstellen. Diese und meine eigenen Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich unbedingt in diesem Bereich forschen wollte.
Welche (kulturellen) Unterschiede gibt es in der Promotion hier in Deutschland im Vergleich zu den USA?
Professor Pester: In den Vereinigten Staaten ist es üblich, dass Studierende schon nach ihrem Bachelor-Abschluss mit der Promotion beginnen. Es gibt also oft einen Altersunterschied zu deutschen Promovierenden. An vielen Universitäten werden die Promovierenden auch nicht direkt von den Betreuenden, sondern beim gesamten Fachbereich zugelassen. Außerdem belegen die Doktorand*innen noch Kurse und müssen Prüfungen ablegen, um ihren Doktortitel zu erlangen. In vielen Fachbereichen werden in den ersten beiden Jahren auch mündliche Prüfungen abgehalten, die den Fortschritt der Studierenden messen sollen. Dabei handelt es sich um Prüfungen, bei denen Nicht-Bestehen auch das Ende der Promotion bedeuten kann.
Wo kommt der Druck her?
Professor Pester: Hier gibt es viele Gründe. Vor allem in den ersten beiden Jahren verursacht in den USA die Notwendigkeit, Mindestnoten zu erreichen und Prüfungen zu bestehen, erheblichen Stress für die Promovierenden. Die Tatsache, dass die Promovierenden oft eher zu den Fachbereichen im Allgemeinen als von den Betreuenden selbst zugelassen werden, bedeutet, dass es zu schlechten Matches kommt – ebenfalls einen erheblichen Stressfaktor. Die Finanzierung ist für die Promovierenden nicht immer durchgehend gewährleistet, was dazu führen kann, dass sie im Laufe ihrer Zeit das Projekt wechseln müssen. Viele Promovierende machen sich auch Sorgen, ob sie nach ihrem Abschluss eine Arbeitsstelle finden werden.
Professorin Schäfer: Die Promotionszeit ist sicher auch in Deutschland keine stressfreie Zeit. Meistens ist sie zwar weniger durch Prüfungen und Notendruck geprägt, aber natürlich spielt auch hier Leistungsdruck – sowohl von außen als auch von innen – eine große Rolle. Viele Personen, die sich für eine Promotion entscheiden, tun dies in dem Wunsch, akademisch etwas zu erreichen. Es kann dann natürlich Druck auslösen, wenn, zum Beispiel, ein wichtiges Experiment nicht gelingt oder das Feedback zum ersten Paper schlecht ausfällt. Deswegen ist es in dieser Zeit besonders wichtig, auf die eigene psychische Gesundheit zu achten und für Betreuenden ist es wichtig, die psychische Gesundheit der Promovierenden im Blick zu behalten.
Sie betreuen inzwischen selbst Doktorand*innen. Welche Wege gehen Sie, um die Belastung der PhD-Students besser einschätzen zu können bzw. sie in Grenzen zu halten?
Professorin Schäfer: Aus meiner Sicht ist es wichtig, offen über diese Herausforderungen zu sprechen. Zu Beginn der Promotion erzähl ich, dass sicher Phasen kommen werden, die anstrengend sind. Bei der Arbeit selbst versuche ich darauf zu achten, Grenzen zu wahren und z.B. keine Mails am Wochenende zu schicken oder unrealistische Ziele zu setzen. Das gelingt sicher nicht immer, aber ich glaube, es ist wichtig ein Klima zu schaffen, in dem darüber gesprochen werden kann, wenn Probleme auftreten.
Professor Pester: Da stimme ich Sarah zu. Ich denke, Kommunikation ist sehr wichtig. Ich bemühe mich, so einfühlsam wie möglich zu sein, und versuche, wenn möglich, positives Feedback zu geben und Promovierende zu motivieren. Da ich in meiner Freizeit viel über Psychologie und psychische Gesundheit lese, versuche ich auch auf Warnzeichen im Verhalten, in der Körpersprache oder im Umgang der Promovierenden mit mir und anderen Gruppenmitgliedern zu achten. Wenn ich merke, dass sie mehr gestresst sind als sonst, erinnere ich sie daran, dass sie auch gerne einmal ein paar Tage frei nehmen können. Ein gesundes Arbeitsumfeld ist ebenfalls wichtig, und ich versuche, dies durch soziale Veranstaltungen wie gemeinsame Abendessen, Weihnachtsfeiern oder andere nicht wissenschaftsbezogene Zusammenkünfte zu fördern.
Noch bis Endes des Jahres läuft Ihre Umfrage zum Thema Mental Health Literacy. An wen richtet sie sich genau? Welche Daten erheben Sie?
Professorin Schäfer: Wir wissen aus der Forschung, dass die mentale Gesundheitskompetenz in MINT-Fächern oft vergleichsweise gering ist, wobei bisher v.a. Studierende untersucht wurden. In unserer Befragung konzentrieren wir uns nun erstmals auf die Betreuenden von Promotionsarbeiten – sowohl in Deutschland als auch in den USA, weil uns auch der kulturelle Vergleich interessiert. Wir denken, dass die mentale Gesundheitskompetenz der Betreuenden eine wichtige Stellschraube ist, um systemisch etwas zu verändern.
Was erhoffen Sie sich von der Auswertung der Umfrage? Was passiert mit den Ergebnissen?
Professorin Schäfer: Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse, die wir im Laufe des kommenden Jahres in einer Fachzeitschrift veröffentlichen wollen. Wir erhoffen uns wichtige Erkenntnisse, um Angebote in diesem Bereich zu entwickeln. Dabei kann es zum Beispiel darum gehen, mentale Gesundheitskompetenzen zum regulären Teil von universitätsinternen Fortbildungen zu machen und Betreuende besser auf schwierige Situationen vorzubereiten. Wir wissen, dass dies in vielen Fällen dazu führt, dass kompetenter unterstützt wird. Denn Nicht-Wissen stellt oft eine Barriere dar, um aktiv zu werden. Unsere Studie soll erste Impulse für solche Angebote liefern.