Fünf Fragen an … Dr. Carsten Wiedemann 7. Europäische Konferenz über Weltraumtrümmer vom 18. - 21. April in Darmstadt
Wie lässt sich Weltraumschrott beseitigen? Welche Gefahren birgt der Müll im All? Und welche Möglichkeiten der Weltraumüberwachung gibt es? Diese und viele weitere Fragen diskutieren internationale Expertinnen und Experten vom 18. bis zum 21. April auf der 7. Europäischen Konferenz über Weltraumtrümmer in Darmstadt. Vertreten ist dort auch die TU Braunschweig durch das Institut für Raumfahrtsysteme, unter der Leitung von Professor Enrico Stoll. Dr. Carsten Wiedemann forscht mit seiner Arbeitsgruppe zum Thema „Space Debris“, das sich mit der Modellierung der Weltraummüllumgebung beschäftigt. Wenige Tage vor der Abreise zur Konferenz nach Darmstadt spricht er im Interview über seine aktuelle Forschung:
Herr Dr. Wiedemann, die europäische Konferenz in Darmstadt ist das weltweit größte Kolloquium zum Thema Weltraumschrott, wie wichtig ist der internationale Austausch für Ihre Forschung?
Die Veranstaltung ist die wichtigste Konferenz auf diesem Gebiet und wird alle vier Jahre abgehalten. Für uns ist die Teilnahme unverzichtbar. Zum einen haben wir die Möglichkeit, unterschiedliche Modelle miteinander zu vergleichen. Zum anderen werden erfahrungsgemäß die wichtigsten wissenschaftlichen Diskussionen in persönlichen Gesprächen geführt. Unsere Doktoranden und Doktorandinen, die sich mit zahlreichen Veröffentlichungen an der Konferenz beteiligen, haben zum ersten Mal die Gelegenheit, dort ihre ausländischen Kolleginnen und Kollegen kennen zu lernen und mit ihnen direkt ins Gespräch zu kommen.
So langsam wird es voll im Weltraum: Circa 750.000 Objekte von mehr als 1 cm Größe umrunden aktuell die Erde. Welche Gefahren entstehen dadurch für die Raumfahrt?
Ein Objekt von 1 cm Größe kann bei einem Einschlag einen Satelliten außer Funktion setzen. Das hängt damit zusammen, dass auf niedrigen Erdumlaufbahnen die Kollisionsgeschwindigkeiten bei ungefähr 10 km/s liegen. Bei einer solchen Geschwindigkeit sind die Trümmer nicht mehr abschirmbar. Die risikoreichsten Umlaufbahnen haben wir heute in 800 Kilometern Höhe. Das sind die Umlaufbahnen, die wir vor allem für unsere Fernerkundungssatelliten benötigen. Wenn wir mal einen Satelliten mit einer typischen Größe und einer typischen Lebensdauer nehmen, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass er von einem einen Zentimeter großen Objekt getroffen wird, ungefähr bei 4 Prozent. Auf allen anderen Umlaufbahnen ist das Kollisionsrisiko geringer. Heute ist also die Situation im Weltraum noch nicht dramatisch. Wir müssen aber dafür sorgen, dass sich das nicht ändert. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir über Vermeidungsmaßnahmen und gegebenenfalls auch in Einzelfällen über das „Aufräumen“ nachdenken, damit der Weltraum für uns in einem Zustand verbleibt, in dem wir ihn auch noch in vielen Jahrzehnten oder Jahrhunderten nutzen können.
Inwiefern sind die Trümmerteile, wenn sie in die Atmosphäre eintreten, auch eine Bedrohung für uns Menschen auf der Erde?
Die meisten Trümmerteile, die in die Atmosphäre eintreten, sind relativ klein. Sie verglühen in oberen Schichten und stellen für uns keine Gefahr dar. Aus unserer Sicht ist es sogar sinnvoll, möglichst viele Trümmerstücke zum Wiedereintritt zu bringen, damit sie verglühen, und im Weltraum kein langfristiges Kollisionsrisiko mehr darstellen. Allerdings ist durchaus möglich, dass einige Trümmerstücke die Erdoberfläche erreichen. Bei größeren Satelliten können wir davon ausgehen, dass etwa 40 bis 60 Prozent der Satellitenmasse den Wiedereintritt überstehen und auf die Erdoberfläche stürzen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass dann ein Mensch auf der Erdoberfläche getroffen wird, sehr gering. Es werden aber immer dann Risikoberechnungen durchgeführt, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass einer der sieben Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, zu Schaden kommt, größer als eins zu 10.000 ist. Dann versucht man durch eine Wiedereintrittsvorhersage herauszufinden, in welchen Regionen der Satellit voraussichtlich herunterkommen wird.
Dadurch, dass die Trümmerteile miteinander kollidieren, entsteht immer mehr Weltraumschrott. Wie kann man diesem Problem entgegen wirken?
Wie gesagt, ist die Trümmerdichte heute auf der Umlaufbahn in 800 Kilometern Höhe am höchsten. Hier ist die Gefahr sehr groß, dass der von uns so befürchtete Kollisions-Kettenreaktion-Effekt, auch „Kessler-Syndrom“ genannt, einsetzen wird. Hat der Effekt einmal eingesetzt, wird es sehr schwer, ihn zu stoppen. Dies könnte zu einem Selbst-Vervielfachungseffekt des Weltraummülls führen, den wir nur noch schwer unter Kontrolle bekommen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie wir mögliche Koalitionspartner aus dem Weltraum entfernen können. Die sinnvollste Maßnahme wäre, dass man Raumfahrzeuge nach dem Ende ihres Betriebes gezielt zum Absturz bringt, so dass sie in der Erdatmosphäre verglühen. Dazu müsste man ein ausreichend groß dimensioniertes Antriebssystem und genügend Treibstoff für das Ende der Mission vorsehen, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Es fliegen also bereits mehrere ausgediente Satelliten und Raketen-Oberstufen auf diesen Umlaufbahnen herum. Sie können dort noch Jahrhunderte verbleiben und stehen als mögliche Koalitionspartner zur Verfügung. So kann es sinnvoll sein, einige ausgewählte Objekte durch gezielte Rückführungsmaßnahmen aus dem Weltraum zu entfernen. Denkbar wäre, dass man diese Objekte zum Beispiel mit robotischen Missionen aktiv beseitigt.
Müllentsorgung aus dem All – wie funktioniert das? Welche Möglichkeiten zur Beseitigung gibt es?
Die Vermeidung von Weltraummüll ist der Müllentsorgung eindeutig vorzuziehen. In einigen Fällen kann es aber durchaus sinnvoll sein, alte, im Weltraum gestrandete Raumfahrzeuge aktiv zum Absturz zu bringen, damit sie nicht langfristig als Koalitionspartner auf der Erdumlaufbahn zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass man mithilfe einer robotischen Mission ein gestrandetes Raumfahrzeug aktiv anfliegt, ein Andockmanöver durchführt und danach das Objekt mit einem kleinen Bremsimpuls gezielt zum Absturz bringt. Die Herausforderung besteht darin, dass hier ein Andockmanöver mit einem taumelnden Zielobjekt durchgeführt werden muss. Es gibt unterschiedliche technische Ansätze, wie man ein solches Manöver durchführen kann, beispielsweise mit einem Roboterarm oder mit einem Netz. Auf diesem Gebiet möchte auch unser Institut einen Beitrag leisten. Professor Enrico Stoll arbeitet zurzeit an Konzepten für CUBESATs, die als Hilfssatelliten für eine solche Mission eingesetzt werden können. Die Idee ist, einen kleinen Satelliten beispielsweise mithilfe von Gecko-Materialien an das gestrandete Objekt anzuheften und zunächst die taumelnde Bewegung abzubremsen. Das Müllobjekt könnte danach mit einem Roboterarm gegriffen und gezielt zum Absturz gebracht werden.