21. September 2020 | Magazin:

Virtuelle Stadterkundung Tandemprojekt von TU Braunschweig und LUH zur digitalen Lehre

Das Stadtzentrum von Le Havre, Wohnviertel im indischen Bangalore, der Las Vegas Boulevard, Gebäude aus den 1960ern im georgischen Tbilissi oder zeitgenössische Architektur in Moskau – in den Fächern Architektur und Städtebau oder auch Geographie und Landschaftsarchitektur ist die Auseinandersetzung mit beispielhaften Bauwerken oder Stadträumen ein fester Bestandteil der Ausbildung. Doch nicht immer sind Reisen an diese Orte möglich, Fachliteratur nicht ausreichend. Warum also nicht eine virtuelle Stadterkundung?

Der Endpunkt des Las Vegas Boulevard, auch bekannt als „The Strip“. Bildnachweis: Tatjana Schneider/TU Braunschweig

Damit wollen Professorin Tatjana Schneider vom Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt der TU Braunschweig und Professor Tim Rieniets vom Institut für Entwerfen und Städtebau der Leibniz Universität Hannover (LUH) jetzt Studierenden Städte und städtebauliche Konzepte näher bringen. Das Tandemprojekt zur digitalen Lehre wird vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur mit rund 170.000 Euro gefördert.

Städtebauforschung mit OER

Die beiden Institute werden freie Lehr- und Lernmaterialien, sogenannte OER (Open Educational Resources), im Bereich Städtebauforschung entwickeln, die die Bildinformationen des Onlinekartendienstes Google Maps um eine didaktische Ebene ergänzen. Ausgewählte Stadträume können über Satellitenbilder, Schrägansichten und Straßenansichten besichtigt werden. Gleichzeitig wird das Bildmaterial durch Texte, Daten und Grafiken fachlich erklärt. „Die Idee dahinter ist die direkte Verkopplung von Bild und Text“, erklärt Professorin Tatjana Schneider. „Man öffnet also Google Maps bzw. Google Street View, aber statt nur ein Bild zu sehen und die gelegentliche Information über Straßenname, Frisörsalon oder andere Dinge, gibt es dann Erläuterungen, die sich direkt mit der gebauten Welt beschäftigen. Heißt: Wir laufen virtuell durch die Stadt und sehen nicht nur die Häuser, sondern haben gleichzeitig sehr detaillierte Informationen über Städtebau, Infrastrukturen, Geschichte und mehr.“

Auf der linken Seite der Website sind fachliche Informationen in Form von Texten und Grafiken abrufbar. Auf der rechten Seite sind „Views“ aus Google Maps eingebettet. „Views“ und Informationen sind miteinander verknüpft. Bildnachweis: Pilotprojekt der LUH zur Nutzung von Google Maps im Architekturstudium

Professor Tim Rieniets hat dieses Prinzip in den vergangenen Semestern bereits erfolgreich auf kleinem Maßstab getestet. Ziel seines Pilotprojekts war es, die Integration von Google Maps in der universitären Lehre zu erproben. So haben Architektur-Studierende im vergangenen Wintersemester Inhalte für insgesamt zehn Orte erstellt und in die Website eingepflegt: Texte zu Geschichte, Regelwerken, öffentlichen Räumen, Anbindungen an Infrastrukturen sowie Quellenverzeichnisse.

Lehr- und Lernmedium in Entwurfsprojekten

Von dem Projekt können Studierende der TU Braunschweig, der LUH und weiterer Universitäten, aber auch andere Internetnutzerinnen und -nutzer profitieren, indem sie die auf der Website aufbereiteten Orte visuell erkunden. Die Website kann zum Beispiel in Seminare oder Entwurfsprojekte eingebunden oder zum Selbststudium genutzt werden.

Blick auf Le Havre. Auf der Website wird das Bildmaterial durch Texte, Daten und Grafiken fachlich erklärt. Bildnachweis: Pilotprojekt der LUH zur Nutzung von Google Maps im Architekturstudium

Zudem wollen Professorin Schneider und Professor Rieniets die Studierenden auch weiter aktiv über Lehrveranstaltungen in Braunschweig und Hannover in das Projekt einbinden. Sie können bereits vorhandene Orte und Themen ergänzen oder neue beschreiben. Welche Stadträume das sein werden, steht noch nicht fest. Auch hier können sich die Studierenden mit einbringen. „Von Professor Rieniets werden dabei, schwerpunktmäßig, eher gestalterische und morphologische Aspekte untersucht. An der TU Braunschweig werden wir uns den sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen widmen“, sagt Professorin Schneider. „Diese Vielschichtigkeit ist meiner Meinung nach ein Alleinstellungsmerkmal.“

Die so entwickelten Materialien können später Hochschulen im In- und Ausland als Lehr- und Lernmedium verwenden. „Auch wenn das Projekt sicher nicht die Exkursionen an diese Orte ersetzen kann, wird dennoch eine akademische Annäherung an den Ort geschaffen, der so bisher nicht existiert. Und in Zeiten, in denen Reisen nicht unbedingt eine Option ist, bringt diese Anwendung Städte und städtebauliche Projekte näher als durch konventionelle Mittel.“