Ungestört durch Turbulenzen fliegen Dr. André Bauknecht leitet die Junior Research Group „Flow Physics of Load Reduction" im Exzellenzcluster SE²A
Weniger Gewicht, Treibstoffverbrauch und Emissionen, mehr Komfort für die Passagiere: Effiziente aktive Lastreduktionssysteme haben das Potenzial, das Fliegen in der Zukunft nachhaltiger und komfortabler zu gestalten. Wie das gelingen kann, erforscht die Junior Research Group (JRG) „Flow Physics of Load Reduction“ im Exzellenzcluster SE²A – Sustainable and Energy-Efficient Aviation – der TU Braunschweig. Die Nachwuchsgruppe befasst sich mit der Reduktion von dynamisch auftretenden Lasten am Flügel von Verkehrsflugzeugen, verursacht durch Böen oder Flugmanöver. Ein Gespräch mit dem JRG-Leiter Dr. André Bauknecht.
Herr Bauknecht, Ihre Junior Research Group forscht an einer aktiven Lastreduktion. Was steckt dahinter?
Wenn ein Flugzeug durch eine Böe fliegt – umgangssprachlich auch „Turbulenzen“ genannt – werden nicht nur die Passagiere durchgerüttelt, sondern auch die flexiblen Flügel. Diese sind zwar dafür ausgelegt, dass sie diesen Lasten standhalten können. Aber das macht sie auch schwerer, als sie ohne diese Böen-induzierten Lasten sein müssten. Gewicht bedeutet in der Luftfahrt immer zusätzlichen Treibstoffverbrauch und damit Emissionen. Also versuchen wir mit geeigneten Maßnahmen, den Lasten entgegenzuwirken, so dass der Flügel diesen nicht mehr standhalten muss und leichter gebaut werden kann. Eine dieser Maßnahmen ist die aktive Lastreduktion: Mittels eines Aktuators, also eines Steuerinstruments wie beispielsweise einer Klappe oder einer gezielten Ausblasung von Druckluft, wird eine der Böe entgegen gerichtete Last verursacht, so dass diese sich möglichst ausgleichen und das Flugzeug ungestört durch die Böen fliegen kann.
Ist das Thema Böenlastreduktion neu oder beschäftigt es die Luftfahrtforschung bereits länger?
Ansätze zur Böenlastreduktion gibt es schon seit den 1950er-Jahren, allerdings kamen diese erst in jüngerer Zeit in Verkehrsflugzeugen an. Hier wird bislang fast ausschließlich auf die vorhandenen Steuerklappen als Aktuatoren gesetzt. Diese Klappen sind aber nicht unbedingt dafür ausgelegt, innerhalb von ein bis zwei Zehntelsekunden eine Auftriebsänderung zur Böenlastreduktion zu generieren. Auch ihre Ver- und Unterteilung am Flügel ist nicht optimal.
Wir gehen in der Nachwuchsgruppe einen etwas anderen Weg und untersuchen fluidische Aktuatoren. Bei diesen wird Druckluft an geeigneten Stellen am Flügel ausgeblasen, um gezielt den Auftrieb zu beeinflussen. Damit erhoffen wir uns, schnell und effizient auf dynamische Laständerungen reagieren zu können und somit eine deutliche Gewichts- und Emissionseinsparung am Flugzeug zu erzielen. Zudem kann so ein System den Komfort für die Passagiere steigern.
Was untersucht die Junior Research Group konkret?
Zu Beginn haben wir unterschiedliche Aktuatorkonzepte verglichen und diese unter den für uns relevanten Flugbedingungen an vereinfachten Flügelsegmenten untersucht. Die am besten geeigneten Kandidaten haben wir dann gezielt verbessert, so dass sie einen möglichst großen Einfluss auf den Auftrieb haben, aber gleichzeitig die aerodynamische Güte des Tragflügels nicht wesentlich verringern. Wir haben ein gutes Verständnis dafür entwickelt, wie sich diese Aktuatoren bei konstanter und zeitlich variabler Ausblasung verhalten und können deren Interaktion mit Böen sowohl experimentell als auch am Computer untersuchen. Diese Daten fließen auch in andere Disziplinen innerhalb des Exzellenzclusters SE²A ein, beispielsweise in den Flugzeugvorentwurf, um die Auswirkungen auf das gesamte Flugzeug zu untersuchen.
Welche Untersuchungen und Versuche stehen als nächstes an?
Wir sind dabei, die vielversprechendsten Aktuatorsysteme in eine zukunftsfähige Flugzeugkonfiguration zu integrieren. Daran werden wir das Lastreduktionspotenzial unserer neuen Aktuatoren quantifizieren und damit Aussagen über deren Umsetzbarkeit machen können. Hierfür werden wir auch die wechselseitige Interaktion mit anderen aktiven Systemen am Tragflügel untersuchen, beispielsweise einer Absaugung zur Laminarhaltung weiter vorne am Flügel. In einem abschließenden Windkanalversuch wollen wir außerdem ein vollständiges System zur Böenlastreduktion umsetzen, inklusive Böenerzeugung, Böendetektion, Regelung und Aktuation. Diese Demonstration der Leistung des Gesamtsystems ist ein wesentlicher Schritt dahin, ein solches System in einem realen Flugzeug einzubauen.
Simulationen oder Experimente – welche typischen „Werkzeuge“ kommen zum Einsatz?
Zum einen nutzen wir die Strömungssimulation am Computer, zum anderen experimentelle Versuche mit Demonstratoren im Windkanal. Aus beiden Quellen erhalten wir große Datensätze, die wir für die weitere Verwendung in anderen SE²A-Forschungsgruppen vereinfachen müssen. Wir entwickeln vereinfachte Datenmodelle – sogenannte Modelle reduzierter Ordnung – die diese großen Datensätze näherungsweise wiedergeben, aber mit erheblich reduziertem Rechen- und Speicheraufwand. Unsere Simulationen basieren überwiegend auf instationären, also zeitaufgelösten RANS Simulationen, bei denen die Navier-Stokes-Gleichungen, also die grundlegenden Gleichungen der Strömungsmechanik, zur Vorhersage des Strömungsfelds herangezogen werden. Außerdem geht es hier auch um typische Ingenieursprobleme wie die Konstruktion und Optimierung der Aktuatorgeometrie und um dessen Integration in einen realistischen Flügel.
Versuche im Windkanal sind für Ihre Forschung unerlässlich?
Richtig, mit unseren Windkanaluntersuchungen wollen wir zum einen die Simulationsergebnisse validieren. Zum anderen ermöglicht uns die reale Umsetzung der Aktuationskonzepte, die Anwendbarkeit an repräsentativen Flügelgeometrien zu demonstrieren und Kontrollstrategien zu implementieren. Hierzu generieren wir sogar unsere eigenen Böen im Windkanal, messen diese mit einer Sonde und steuern dann gezielt unsere Ausblasung so, dass die Lasten am Flügel möglichst gering bleiben.
Welche Relevanz hat das Thema für die Luftfahrt der Zukunft – gerade auch mit Blick auf die Reduzierung der Klimawirkung von Flugzeugen?
Bei zukünftigen Flugzeugen lassen sich Emissionen durch nachhaltig produzierte synthetische Kraftstoffe oder elektrische Antriebssysteme reduzieren. Allerdings müssen sie auch noch deutlich leichter werden, damit der Energiebedarf weiter verringert werden kann. Da der Flügel mit am meisten belastet ist, wiegt er dementsprechend auch viel. Unser Ansatz, dieses Strukturgewicht durch eine Reduktion der angreifenden Lasten zu reduzieren, ist deshalb für die zukünftige Luftfahrt sehr relevant. Die praktische Umsetzung unserer Ergebnisse im Flugzeug wird wohl noch einige Jahre brauchen, aber die Grundlagen, die wir hier schaffen, sind dennoch wichtig, um das Potenzial dieser Technologie zu untersuchen.
Was begeistert Sie an dieser Forschungsarbeit?
Für mich ist es eine große Motivation, an Themen zu forschen, bei denen eine klare Anwendungsperspektive erkennbar ist und die eine Relevanz für die Gesellschaft haben. Die Aufgabe, technische Lösungen zur Eindämmung des Klimawandels zu entwickeln, ist deshalb besonders motivierend. Auch der Forschungsansatz hat mich sehr gereizt, weil hier relativ viele Strömungseffekte zusammenwirken, wie instationäre Aerodynamik durch Böen, aktive Strömungskontrolle durch Ausblasung, abgelöste Strömungsfelder sowie Unter- und Überschallströmungen. Außergewöhnlich ist, dass unsere Forschung in dem multidisziplinären Umfeld von SE²A stattfindet, in dem man immer auch von anderen Forschungsrichtungen lernt.
Aus welchen Disziplinen kommen die Forschenden Ihrer Junior Research Group?
Wir sind überwiegend Aerodynamiker, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Hintergründen, beispielsweise in den Disziplinen Experimente und Simulationen. Da wir eng mit SE²A verknüpft sind, haben wir viele Anbindungen zu anderen Disziplinen wie dem Flugzeugvorentwurf, der Flugmechanik und -regelung und der strukturellen Flugzeugauslegung. Die JRG ist zudem international besetzt – mit Forschenden aus Italien, Marokko und Deutschland sowie mit Studierenden aus unterschiedlichen Ländern. Da die Gruppe überwiegend während der Pandemie geforscht hat, erfolgte ein Großteil der Zusammenarbeit bisher virtuell. Jetzt können wir uns aber zum Glück wieder persönlich austauschen, um unsere Forschung weiter voranzubringen.