Schulpraktika im Homeschooling Dr. Claudia Schünemann zu den besonderen Herausforderungen für Lehramtsstudierende
Schule erleben aus der Lehrerperspektive, ist besonders wichtig für Lehramtsstudierende. Um zu überprüfen, ob es der richtige Beruf sein könnte, die richtige Schulform und ob man der Sache wirklich gewachsen ist. Deshalb sieht das Studium an der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften sowohl im Bachelor als auch im Master schulische Praktika vor. Dr. Claudia Schünemann koordiniert die Praktika. Bianca Loschinsky hat mit ihr über das Modell der frühzeitigen Praxisgewöhnung, über Herausforderungen durch Corona und das Projekt Lern-Buddies gesprochen.
Frau Schünemann, Sie betreuen an der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften die schulischen Praktika der Lehramtsstudierenden im Bachelor und Master. Wie genau sieht diese Aufgabe aus?
Wir haben an der TU Braunschweig in der Regel zwischen 400 und 600 Bachelor-Studierende im 1. und 2. Schulpraktikum, dem VBS/ASP, und ca. 200 Master-Studierende, die ein schulisches Praktikum machen müssen. Aktuell akquiriere ich Praktikumsplätze für das nächste Bachelorpraktikum und versuche einen ausgewogenen Verteilungsschlüssel für Schulen in der Stadt und der Region zu organisieren.
Für das GHR300-Praktikum im Master „Lehramt an Grundschulen“ oder „Lehramt an Haupt- und Realschulen“ teilt uns das Land die Schulen zu. Nach einem bestimmten Schlüssel wird berechnet, wie viele Praktikantinnen und Praktikanten eine Schule aufnehmen muss. Bei den Praktika sind meistens bestimmte Schulen beliebt. Deshalb ist das Ziel, die Praktika soweit zu koordinieren, dass alle Schulen im gleichen Maße belastet bzw. entlastet werden. Wir pflegen mit den Schulen eine gute Kooperation. Natürlich wünschen sich die meisten Studierenden einen Praktikumsplatz in den Stadtschulen. Jedoch müssen alle Schulen ausbilden, auch in der Fläche. Maßgabe ist deshalb, dass die angehenden Lehrkräfte nur eine Schule im Stadtgebiet wählen dürfen, für zwei weitere müssen sie sich in der Region entscheiden.
Man sieht: Es ist eine sehr umfangreiche Aufgabe, zumal die Praktika zum Teil parallel liegen. Aber für Spezialaufgaben war ich schon immer gut! (lacht)
Es wird immer wieder kritisiert, dass Lehramtsstudierende zu wenig praktische Erfahrungen während ihres Studiums sammeln.
An der TU Braunschweig gibt es seit vielen Jahren das Modell der frühzeitigen Praxisgewöhnung für die Lehramtspraktika, das im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt wurde. Das Besondere daran ist die enge Kooperation zwischen den Schulen und Lehrkräften der Region, den Dozentinnen und Dozenten der Abteilung für Schulpädagogik und den Lehramtsstudierenden. Unser Ziel ist es, die Studierenden gut vorbereitet in die Praktika zu schicken und professionell zu begleiten. Diese Engführung zwischen Universität, Studierenden und Schulen funktioniert wirklich gut.
Im Gegensatz zu anderen Universitäten bieten wir einen großen Anteil an Praktikumswochen im Bachelor und zwar für alle Studierenden, egal für welche Schulform sie sich entscheiden. Insgesamt sind es zehn Wochen. Im ersten Praktikum, den „Vorbereitende Studien I + II (VBS)“, das in Zukunft Orientierungspraktikum heißen wird, sollen die Lehramtsstudierenden überprüfen: Habe ich mir das richtige Studium ausgesucht? Will ich wirklich Lehrerin oder Lehrer werden oder sollte ich lieber fachwissenschaftlich weiter studieren? Die Studierenden werden im zweiten Semester auf dieses Praktikum vorbereitet, das sie am Ende des Semesters im September absolvieren. In der Schule gehen sie mit einer Mentorin oder einem Mentor mit, hospitieren also hauptsächlich. Sie sollen einen ersten Einblick aus der Lehrkraftperspektive erhalten, denn natürlich haben die Studierenden im zweiten Semester noch immer eher die Schülersicht. Es kommt durchaus vor, dass manche, die Grundschulehramt studieren wollten, sich nach dem Praktikum anders entscheiden. Aber viele fühlen sich nach dem Praktikum bestätigt, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Folgen dann noch weitere Praktika?
Das zweite Praktikum beginnt in der vorlesungsfreien Zeit nach dem dritten Semester, von Februar bis zu den Osterferien. Im ASP, dem Allgemeinen Schulpraktikum, sind die Studierenden sechs Wochen an der Schule: Sie müssen Unterrichtsentwürfe gestalten, Stunden halten, mit den Lehrkräften reflektieren, was gut oder schlecht gelaufen ist. Neu hinzugekommen, entwickelt durch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Qualitätsoffensiven Lehrerbildung, ist das sogenannte Classroom-Management-Training vom Insititut für Pädagogische Psychologie. Hier erwerben die Studierenden Kompetenzen, die ihnen als künftige Lehrerinnen und Lehrer helfen sollen, schwierige Situationen im Unterricht zu bewältigen.
Im Master gehen die Lehramtsstudierenden mit der Ausrichtung Grund-, Haupt- oder Realschule in das GHR300-Praktikum. 19 Wochen lang sind sie an einer Schule und werden dort wie eine Lehrkraft in den Unterricht eingebunden. Darauf werden sie im Master auch vorbereitet, durch Seminare, die von Lehrenden der TU Braunschweig zusammen mit Fachleiterinnen und –leitern der Studienseminare gegeben werden. Von diesen erhalten die Studierenden während ihres Praktikums Schulbesuche, ähnlich wie im Referendariat. Spätestens dann wissen die Lehramtsstudierenden, ob sie in diesem Beruf wirklich arbeiten möchten.
Die Studierenden mit der Ausrichtung Gymnasium haben im Master ein sechswöchiges Fachpraktikum, da die fachwissenschaftlichen Anteile im gymnasialen Lehramtsstudium größer sind.
Corona hat an den Schulen vieles verändert. Was sind die großen Herausforderungen für die Lehramtsstudierenden?
Die Studierenden freuen sich immer sehr auf die schulischen Praktika, weil sie endlich das machen können, was sie möchten: mit jungen Menschen arbeiten und das in der Theorie Gelernte anwenden. Und natürlich wollen sie sich auch etwas von den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen abschauen. Es ist die erste Begegnung mit der Praxis. Die Studierenden verstehen dann, dass sie ein solides Wissen haben müssen, um es auch vermitteln zu können. Es reicht eben nicht, den Schülerinnen und Schülern drei Seiten im Buch voraus zu sein. Aber für viele klärt sich beim Praktikum auch, ob sie der Sache gewachsen sind. Der Umgang mit Schülerinnen und Schülern ist wirklich harte Arbeit. Und das müssen die Studierenden erleben. Durch Corona fiel das für die meisten im März und April, als es zum Lockdown kam, komplett flach.
Wie konnten die angehenden Lehrerinnen und Lehrer dennoch Praxiserfahrung sammeln?
Die GHR300-Studierenden haben von ihren Seminarleitungen praxisbezogene Aufgaben erhalten, zum Beispiel anhand von videografierten Unterrichtssequenzen Unterricht zu analysieren oder Ähnliches. Dieses konnte dann in dieser besonderen Situation als Ersatz für das Praktikum anerkannt werden.
Und Sie haben das Projekt „Lern-Buddies“ entwickelt.
Ja, durch guten Kontakt zu Schulen und Lehrkräften bin ich auf die Not aufmerksam geworden, die in Corona-Zeiten an Schulen existiert. Gerade auch bei Schülerinnen und Schülern, deren Eltern sie nicht unterstützen können. Oder weil Homeoffice und Homeschooling mit kleinen Kindern nicht funktioniert. Als Lern-Buddies helfen Studierende Schülerinnen und Schüler beim Lernen Zuhause. Online oder auch telefonisch.
Wie waren die Reaktionen?
Das Projekt hat so eine Welle gemacht, mit der ich nicht gerechnet hatte. Wir hatten im Sommersemester nahezu 100 Anfragen. Unsere Studierenden hatten wirklich gut zu tun. Direkt nach den Sommerferien habe ich ein Seminar organisiert, damit das Lern-Buddies-Projekt jetzt auch im Wintersemester weiterlaufen kann. Mit 50 Bachelor- und Masterstudierenden und einigen, die nicht ins BA-Praktikum gehen konnten, weil es an ihrer Schule einen Corona-Fall gab, sind wir jetzt wieder gestartet. Das ist eine Win-Win-Situation für die Schulen und unsere Studierenden.
Inzwischen haben wir Kooperationen mit Schulen geplant. In der Nachmittagsbetreuung an einigen Grundschulen können Studierende mit Kleingruppen bis zu fünf Kindern lernen oder mit einzelnen Schülerinnen und Schülern. Außerdem arbeiten wir mit der Jugendhilfe der Stadt Braunschweig zusammen, um dort Schülerinnen und Schüler in den Jugendzentren zu unterstützen.
Die Lern-Buddies sind ein Projekt, das sich ständig weiterentwickelt. Natürlich müssen sich immer auch Studierende bereit erklären, diese Aufgabe zu übernehmen. Wir haben sehr positive Rückmeldungen erhalten, von Eltern, Schulleitungen und natürlich auch Schülerinnen und Schülern. Auch das Migrationsbüro der Stadt Braunschweig hat mich gebeten, das Projekt im Netzwerk Eltern mit Migrationshintergrund vorzustellen.
Es gibt sehr unterschiedliche Anfragen, unter anderem von Eltern mit Grundschulkindern, die Angst haben, dass sie den Anschluss verpassen. Dann Anfragen von Schülerinnen und Schüler ab der 8./9. Klasse, die ganz konkrete Probleme in einzelnen Fächern haben. Unser Ziel ist es, Schülerinnen und Schülern dabei zu helfen, den Anschluss an den Lernstoff ihrer Klassen wieder zu finden. Wunder können wir allerdings auch nicht vollbringen. Und wir wollen auf keinen Fall in Konkurrenz zu kommerziellen Nachhilfe-Instituten treten!
Wie sieht die Planung für das nächste Praktikum aus?
Wir planen jetzt für Februar. In der Hoffnung, dass es dann auch für die Studierenden losgeht. In diesem Durchgang sind es rund 400 Bachelor-Studierende und etwa 200 Master. Das GHR300-Praktikum läuft zeitgleich an allen Universitäten Niedersachsens. Im Sommerhalbjahr sind an allen Schulen 19 Wochen die Masterstudierenden. Das ist inzwischen ein gut erprobtes Konzept.
Wir werden auch im kommenden Praktikum versuchen, die Studierenden möglichst viele Wochen an den Schulen zu halten und ihnen praktische Erfahrungen zu ermöglichen. Und auch das Lern-Buddies-Projekt wird so lange laufen, wie es benötigt wird. Aber es kann nie ein vollwertiger Ersatz sein. Wir müssen weiterhin alle improvisieren und extrem flexibel sein.