Role Model: C. Gabriel David Erfahrungen als First Generation Akademiker
Das Projekt Role Models: First Generation Akademiker*innen an der TU Braunschweig macht im Rahmen des Fokus 2022 soziale Vielfalt an unserer Universität sichtbar, ermöglicht das Kennenlernen verschiedener Bildungsbiografien und schafft akademische Vorbilder für First Generation Students. Anhand von kurzen Interviews stellen sich verschiedene Mitglieder der TU Braunschweig vor, die als Erste*r in ihrer Familie studiert haben. Dieses Mal: Dr. C. Gabriel David, Nachwuchsgruppenleiter „Future Urban Coastlines“ am Leichtweiß-Institut für Wasserbau.
Wann haben Sie sich für ein Studium entschieden und was hat diese Entscheidung beeinflusst?
Im Grunde habe ich in meiner gesamten Schulzeit immer nur stückweise Entscheidungen getroffen und mich dann für die bestmögliche Option entschieden. Ich hätte nie gedacht, dass ich das Abitur schaffen würde. In der Mittelstufe – trotz Gymnasium – war für mich klar, dass ich eine Ausbildung mache, weil ich es aus der Familie und Verwandtschaft nicht anders kannte. Als die Möglichkeit Abitur zu machen im Raum stand, habe ich es versucht. Natürlich habe ich mich dann später auch für ein Studium entschieden, als sich diese Option für mich auftat. In dieser Entscheidung haben mich auch meine Eltern bestärkt.
In welchen Situationen wurde Ihnen bewusst, dass Sie Erstakademiker sind?
Schon bei der Studienwahl. Als Studienfächer habe ich nur solche in Erwägung gezogen, bei denen auch ein sofort erkennbarer Beruf dahintersteht: Nach einem Lehramtsstudiengang wird man Lehrer*in, studiert man Bauingenieurwesen wird man Bauingenieur*in und studiert man Architektur wird man Architekt*in, usw. Das sehe ich heute anders – das Studium ist keine Berufsausbildung, sondern soll dabei helfen, Interessen zu fördern. Zum Glück habe ich das rechtzeitig gemerkt und konnte so im Master meinem Interesse an Wasser und Wellen nachgehen. Diese Linie habe ich in meiner Promotion fortgeführt und mich über die klassischen Küsteningenieurthemen zusätzlich in Aspekte der Geo- und Sozialwissenschaften eingearbeitet sowie mich mit verschiedenen Programmiersprachen und anderen „Computer“-Themen auseinandergesetzt (High Performance Computing, Mikrocontroller und Single-Board-Computer im Rahmen von Messtechnik, GNU-Software, etc.).
Auf welche persönlichen Ressourcen konnten Sie zurückgreifen?
Aus meinem Elternhaus habe ich gelernt, dass man sich für die richtigen Ziele aus seiner Komfortzone hinaus zu begeben sollte, neue Wege zu beschreiten und dafür zu arbeiten. Darüber hinaus haben meine Eltern mich auch finanziell durch das Studium hinweg unterstützt, indem sie mir Miete und einen Teil meiner Lebenshaltungskosten finanziert haben. Nebenher habe ich fast durchgängig als Hiwi gearbeitet und konnte noch auf mein Erspartes aus dem Zivildienst zurückgreifen. Mein Auslandsaufenthalt wurde durch die Förderung aus dem ERASMUS-Programm erst möglich.
Darüber hinaus waren die Lerngruppen während meines Bachelor-Studiums an der Hochschule Mainz relativ klein, sodass ich einen guten Draht zu den Professoren aufbauen konnte, die mir zusätzlich Tipps mit auf den Weg gegeben haben. Durch einen dieser Tipps wusste ich zum Beispiel, dass die Leibniz Universität Hannover und die TU Braunschweig, mit ihrer Gemeinschaftseinrichtung dem großen Wellenkanal, exzellente Standorte für Küsteningenieurwesen sind und ich an einer dieser Universitäten im Master studieren wollte. An der Leibniz Universität Hannover haben mich dann die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (u.a. Prof. Nils Goseberg, damals noch wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hannover), mein Doktorvater (Prof. Torsten Schlurmann) und mein Co-Betreuer (Prof. Volker Roeber, heute Université de Pau et des Pays de l’Adour, UPPA) gefördert – und tun es, wie auch meine Kolleg*innen hier in Braunschweig, bis heute!
Welche Hürden gab es auf Ihrem bisherigen Karriereweg? Was hat Ihnen geholfen, diese zu überwinden?
Ich habe zunächst an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ein Semester lang Mathematik auf Lehramt studiert. Ich hätte den Grundkurs wahrscheinlich gerade so bestanden, jedoch hat mich die sehr freie Lernatmosphäre zunächst abgeschreckt – das war ich so aus der Schule nicht gewohnt! Ich habe mich dann für etwas „Handfestes“ entschieden, nämlich Bauingenieurwesen an der Hochschule Mainz, um dann am Ende vom Bachelor, in meinem Auslandsjahr in Schweden, zu bemerken, dass mich das freie wissenschaftliche Arbeiten, wie es an der Universität praktiziert wird, doch fasziniert. Zum Glück konnte ich für meinen Master von einer Hochschule an eine Universität wechseln und hatte das Glück, auch über meinen Master hinaus dort bleiben zu können.
Geholfen hat mir außerdem, die Erwartungshaltung meiner Verwandtschaft zu überwinden („Was macht der eigentlich da und was wird danach aus ihm?“) und gleichzeitig das Vertrauen und die Geduld meiner Eltern, dass ich schon den richtigen Weg wählen werde.
Welche Ideen haben Sie, um die Chancengleichheit für First Generation Students zu verbessern?
- BAföG für alle – und zwar unkompliziert! Ich kannte Studierende, deren Vater zum Beispiel die Familie verlassen hat und die lediglich den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestsatz von ihm bekam, während ihre Mutter sie nicht in vollem Umfang unterstützen konnte. Während ich durch sparsames Haushalten mit dem leben konnte, was mir meine Eltern an Hilfe anboten und was ich mir dazu noch z. B. als Hiwi verdienen konnte, hangelten sich andere von Nebenjob zu Nebenjob und waren mehr mit dem Geldverdienen als mit dem Studium beschäftigt. Andere Mitschüler*innen konnten nicht studieren gehen, weil bereits die großen Geschwister studierten und die finanziellen Möglichkeiten der Eltern erschöpft oder gar nicht erst vorhanden waren. Einige Kommiliton*innen konnten nicht an die „Umwege“ denken, die ich mir leisten konnte, wie ein Auslandsjahr, eigene Vorarbeiten für Bachelor- und Masterarbeit, und konnten daher ihr Potenzial wahrscheinlich nicht so entwickeln wie es mir möglich war. Ich habe in meiner Zeit als Doktorand viele studentische Arbeiten betreut und aus meiner Erfahrung heraus, sind die meisten Studierenden bereit, den Extraschritt zu gehen, wenn es ihrer Ausbildung zugutekommt und sie es sich „leisten“ können. Das soll kein Freifahrtschein sein, aber meiner Meinung nach lohnt es sich in Talente zu investieren, ihnen das Studium zu ermöglichen und es nicht zu erschweren (siehe zum Beispiel das Interview mit Doro Bischoff).
- Role Models. Ich war nicht nur in meiner Familie, sondern auch in der engeren Verwandtschaft, der Erste, der studiert hat. Mir haben damals Vorbilder gefehlt, an denen ich mich hätte orientieren können, ohne jedoch meinen Weg schon im Voraus vorgezeichnet zu bekommen. Ich hatte und habe seit jeher das Glück die richtigen Kolleg*innen und Förderer*innen zu haben und das wünsche ich allen Talenten, die wir zweifelsohne an der Uni haben.
Welche Botschaft geben Sie Ihrem studentischen Ich mit auf den Weg?
Ich würde mir keine Botschaft mit auf den Weg geben, da ich den Lauf der Dinge nicht ändern wollen würde. Der Weg, den ich gegangen bin, ist nicht sehr geradlinig und hat etwas länger als „normal“ gedauert, aber das hat mich nie gestört. Ich habe viel auf diesem Weg gelernt. Das würde ich aber gerne allen Studierenden mitgeben: Es ist ein Studium und keine Ausbildung und ihr habt die Möglichkeit euren Weg zu gehen – welcher das auch immer sein mag! Daraus folgen die nötige Neugier, das Engagement und die Kraft, die einen antreiben und die einem helfen, leichter mit den Herausforderungen auf dem Weg umgehen zu können.