Post aus … Tonbridge Bachelorstudent Leonard Lüer berichtet von seinem Auslandsaufenthalt in England
Allgemeine Informationen
Hier lebe ich momentan:
Seit Oktober lebe und arbeite ich in Tonbridge, einer Kleinstadt in der Grafschaft Kent im Südosten Englands. Nur unweit von London entfernt, pendelt jeden Tag ein großer Teil der Einwohner*innen zur Arbeit in die Großstadt. Innerhalb einer Dreiviertelstunde ist man dort. Dadurch ist Tonbridge sehr ruhig und fühlt sich kleiner an, als es ist.
Das mache ich in Tonbridge:
Ich arbeite als Fremdsprachenassistent für Deutsch an einer Grammar School. Meine Hauptaufgabe besteht darin, mit Schüler*innen der 10. bis 13. Klassen das freie Sprechen zu üben. Dazu arbeite ich meist mit Kleingruppen, wodurch ich alle gut kennenlernen kann.
Mein Aufenthalt dauert insgesamt:
Insgesamt verbringe ich acht Monate in England, von Oktober bis Mai. Der Austausch findet über das Fremdsprachenassistenzprogramm des Pädagogischen Austauschdienstes statt.
Darum habe ich mich für einen Auslandsaufenthalt entschieden:
Abgesehen davon, dass ein Auslandsaufenthalt für das gymnasiale Lehramtsstudium in Englisch verpflichtend ist, hat es mich schon länger gereizt, in einem anderen Land zu leben und zu arbeiten. Über dieses Programm hatte ich die perfekte Möglichkeit, sowohl längere Zeit ins Ausland zu gehen, als auch praktische Erfahrung im Unterrichten zu sammeln.
Leben vor Ort
So wohne ich in Tonbridge:
Für die ersten zwei Monate habe ich im Haus einer Kollegin gewohnt, das hatte sie mir bereits im Vorfeld angeboten. Der große Vorteil daran: Ich brauchte mich nicht von Deutschland aus um eine Unterkunft kümmern. Sowohl Haus als auch Gesellschaft waren hervorragend, nur leider ziemlich ab vom Schlag. So bin ich Ende November umgezogen. Seitdem wohne ich typisch britisch in einem kleinen Reihenhaus aus rotem Backstein, das ich mir mit zwei Briten teile. Das Haus liegt nicht weit entfernt von der High Street in Tonbridge und der örtliche Country Park ist auch gut zu erreichen. Sogar den Turm meiner Schule kann ich von meinem Fenster aus sehen!
Was unterscheidet das Arbeiten in England von dem in Deutschland?
Das Schulsystem in England unterscheidet sich deutlich von dem in Deutschland. Schülerinnen und Schüler müssen hier Uniform tragen. Obwohl es am Anfang befremdlich wirkt, gewöhnt man sich schnell an den Anblick und erkennt den Nutzen der Uniformen.
Worauf ich nicht vorbereitet war, war das House System, welches ich vorher nur aus den Harry Potter Büchern kannte. Ich dachte, es wäre ausschließlich Internats- und Privatschulen vorbehalten. Doch in England ist es an allen Schulen üblich, die Schüler*innen und Mitarbeiter*innen einem Haus zuzuordnen. Für die Angestellten hat das nur eine geringe Bedeutung, die Schülerinnen und Schüler unterstützen sich jedoch gegenseitig und wetteifern gemeinsam, um am Ende des Schuljahres den Hauspokal zu gewinnen.
Außerdem haben die Lehrkräfte hier deutlich weniger Spielraum als in Deutschland, was die Gestaltung ihres Unterrichts angeht. Jede Lehrerin und jeder Lehrer muss einem Plan folgen, den die Fachleiter*innen für jede Klassenstufe erstellen und der vorgibt, was wann wie gelehrt wird. Auch die Tests sind standardisiert, sodass alle Klassen in einem Jahrgang dieselben Prüfungen ablegen. Als Fremdsprachenassistent habe ich jedoch etwas außerhalb dieses Planes gearbeitet und hatte etwas mehr Freiheit bei der Wahl meiner Materialien oder Methoden.
Besonders typisch für mein Aufenthaltsland ist:
Allgegenwärtig ist hier die britische Höflichkeit. Auch wenn das geordnete Schlangestehen mir nicht schwergefallen ist, habe ich einige Zeit gebraucht, um mich an den Smalltalk zu gewöhnen und ihn nicht als „um den heißen Brei herumreden” zu sehen.
Das habe ich hier in den ersten drei Tagen gelernt:
Die Brit*innen sind in Sachen Bürokratie mindestens genauso gut wie die Deutschen. Mein erster Tag an der Schule bestand fast ausschließlich daraus, die für mich relevanten Schulrichtlinien zu lesen. Von A wie Anti-Bullying bis W wie Whistleblowing hat die Schule insgesamt 30 Richtlinien, in denen fast alle wichtigen Regeln und Verhaltensweisen niedergeschrieben sind. Selbstverständlich musste ich im Nachhinein auch ein Formular ausfüllen, um das Lesen der Richtlinien zu bestätigen. Auch wenn es in dem Moment ein wenig lästig war, hat es sich im Nachhinein als nützlich erwiesen zu wissen, wo man die Informationen findet und wie man bestimmte Situationen zu handhaben hat.
Die bisher größte Herausforderung während meines Aufenthaltes:
Während des Lockdowns von Dezember bis März konnte ich nur online unterrichten. Damals hatte ich kaum Erfahrung mit der Technik, die die Schule nutzt. Diese Zeit war sehr anstrengend und frustrierend. Trotzdem konnte ich meine Fähigkeiten ausbauen und werde definitiv das ein oder andere, was ich hierbei gelernt habe, mit nach Deutschland nehmen und in meinen Unterricht einbauen.
Das nehme ich von hier mit nach Hause:
Eine Schulkrawatte der Oberstufe in der Farbe meines Hauses, so habe ich ein schickes Andenken, das ich auch meinen zukünftigen Schüler*innen in Deutschland als Anschauungsobjekt zeigen kann, wenn das britische Schulsystem auf dem Plan steht.
Gut zu wissen
Diese landestypischen Speisen sollte man unbedingt probieren:
Toad in the Hole. Dieses klingt nicht besonders appetitlich, macht seinem Namen aber gar keine Ehre. Wenn man neugierig ist und im Pub diese Speise bestellt, erwarten einen ein paar in einen Yorkshire-Pudding eingebackene Würstchen, serviert mit Gravy und Gemüse. Eine gute Grundlage für einen anschließenden Pub-Crawl!
Welches Fettnäpfchen sollte man in Irland vermeiden?
Als Gastgeschenk normales Kaffeepulver mitzubringen. Ich wollte meiner Mentorin etwas Typisches aus der Region schenken, das ich gut im Koffer transportieren konnte. Deswegen habe ich eine Packung Heimbs Kaffee eingepackt. Was ich nicht wusste: Im Vereinigten Königreich sind Filterkaffeemaschinen eine Seltenheit und die meisten Leute trinken hier löslichen Kaffee. Ich hatte aber Glück, denn meine Mentorin hat als gebürtige Deutsche auch nach 30 Jahren in England immer noch keinen Geschmack an Instant-Kaffee gefunden und eine Maschine zuhause. So hat mein Gastgeschenk doch noch seinen Zweck erfüllen können und meine Mentorin hat ein kleines bisschen Braunschweig schmecken können.
Diesen Tipp gebe ich anderen Studierenden, die ins Ausland gehen möchten:
Macht es! Es gibt keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt ins Ausland zu gehen, also wartet nicht zu lange. Weder der Brexit noch eine globale Pandemie konnten mir meine Zeit hier vermiesen.
Pandemie
Diese besonderen Vorkehrungen habe ich im Vorfeld wegen des Corona-Virus getroffen:
Da die Regelungen bezüglich des Corona-Virus sich gefühlt täglich verändert hatten, war es schwierig zu wissen, was auf mich zukommen und welche Vorkehrungen nötig sein würden. Es hat sich jedoch als sehr hilfreich erwiesen, flexibel zu bleiben und auf alles gefasst zu sein.
So beeinflusst das Corona-Virus meinen Aufenthalt:
Der größte Einfluss war sicherlich, dass von Anfang Dezember bis Anfang März kein Präsenzunterricht stattgefunden hat und seine Schüler so nur über das Internet sehen konnte. Vorausgesetzt, sie hatten ihre Kameras eingeschaltet. Auch wenn das Unterrichten so weniger Spaß gemacht hat als in Präsenz, war es doch sehr lehrreich und ich konnte viele praktische Erfahrungen für den Distanzunterricht sammeln.
So habe ich mir trotz der Pandemie am liebsten die Zeit vertrieben:
Kent wird auch als der Garten Englands bezeichnet und große Teile gelten als Area of Outstanding Natural Beauty. So konnte ich trotz Lockdown das gelegentlich gute Winterwetter genießen und die Sehenswürdigkeiten, wie diverse Burgen und Schlösser, in der Gegend erkunden. Hierzu zählt beispielsweise die Burgruine in Tonbridge, eine ursprünglich normannische Burg deren Turmhügel einen guten Ausblick über die Stadt liefert. Oder Knole Park, ein wunderschöner Landschaftspark, der mit sehr zutraulichen Rehen bevölkert ist.