20. Juni 2023 | Magazin:

Post aus dem Eis (3) Magnus Asmussen und Dr.-Ing. Falk Pätzold berichten von Arktis-Expedition

Im Mai 2023 startete das Forschungsschiff „Oden“ in die Arktis. Auf der schwedischen Expedition „ARTofMELT“ (7. Mai bis 15. Juni) beobachten die Forscher*innen Wetter, Luft und Wasser. Sie möchten herausfinden, warum und wann das Eis zu schmelzen beginnt und welche Prozesse für das Schmelzen wichtig sind. Auch zwei Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig gingen mit an Bord. Anhand ihrer E-Mails bekommen wir einen kleinen Einblick in Arbeit und Alltag während ihrer Forschungsreise. Mit den gesammelten Messdaten kann untersucht werden, welche Prozesse dabei welchen Einfluss haben. Außerdem werden die Daten verwendet, um Modelle zu prüfen und zu verbessern.

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Ein Bild auf die Forschungsumgebung der ARTofMELT-Expedition, eingefangen vom HELiPOD. Bildnachweis: IFF/TU Braunschweig

Von: Falk
Gesendet: 05.06.2023, 21:42
Betreff: Es macht sich rar und es wimmelt

Bei Temperaturen um -3 bis -5 °C ist wegen Vereisungsgefahr nicht an Fliegen zu denken. Die Arbeit auf der Scholle wegen teilweise geringer Sichtweite und deshalb schwerlich rechtzeitig erkennbaren Eisbären eingeschränkt.

Ja, und von denen wimmelt es, relativ gesehen. Gestern Morgen trafen sich zwei erwachsene Exemplare von ihnen in knapp einem Kilometer Entfernung und tauschten sich aus. Der „Austausch“ sah durchaus robust aus, war aber nicht von fliegenden Krallen geprägt. Der Eisbär heute Nacht hat sich für Equipment auf dem Eis interessiert, jedoch nur sehr zaghaft an der Isolierung einer Kiste geknabbert. Am heutigen Nachmittag begab sich dann eine Eisbärenmutter mit ihrem Nachwuchs in handykamerataugliche Nähe zum Schiff. Beim späteren Streifzug über die von der Wissenschaft okkupierte Scholle warfen sie dann ein Instrument um, nicht ohne dass zuvor der Albedowert des Eisbärennachwuchs gemessen wurde. Diese Begegnungen mit den König*innen der Arktis sind dabei jedes Mal von einer schwer beschreibbaren Faszination umgeben.

Desweiteren „wimmelt“ es inzwischen hier in der Framstraße von Forschungseisbrechern! Laut AIS befindet sich die Polarstern ca. 30 NM östlich, die Kronpris Haakon ca. 70 NM südwestlich.

Und dann wimmelt es an Schollen, die die schon besagte von der Wissenschaft hier herausgepickte Scholle kaputtmachen wollen. Dieses Fragmentieren der Schollen ist ein ganz natürlicher Prozess, bei dem die kleineren Schollen sehr schnell zwischen den größeren zerrieben werden. Nach gewissen Defragmentierungen ist „unsere“ Scholle eben nicht mehr die größte. Geplant ist aktuell, dass die Oden mit dieser Scholle bis zum Ende der Expedition driftet und sich  am 14.06. gen Longyearbyen zurück auf den Weg begibt.

Von: Falk
Gesendet: 08.06.2023, 21:00
Betreff: Leise rieseln die Eiskristalle

Aus dem tiefhängenden Grau da draußen rieseln sehr feine Eiskristalle und die Luft ist derart aerosolarm, dass der Atem nicht kondensiert. Die Aerosolfraktion an Bord ist gerade sehr zufrieden. Nicht zufrieden war die HELiPOD-Fraktion. Kurz nach dem Start meldete sich nichts mehr in der WebApp. Also Flugabbruch. Das „Go!“ vom Fahrtleiter für einen zweiten Versuch eingeholt, die Messtechnik neu gestartet. Zunächst schaute alles super aus, jedoch zeigten nach dem ersten Steigflug auf 6000 ft die messbusbasierten Daten Ausfälle. Nachbereitung: Fehler an Messbuskabel gefunden. Die Liste mit den zu verbessernden Details am HELiPOD hat sich entsprechend verlängert, meine Stimmung wieder erholt.

Nicht recht erholt sich meine Laune bezüglich der uns umgebenden elektronischen Helferleins. Ist es zu Hause ein Quell steten Unmuts, dass Dinge nicht irgendwie online erledigt werden können, so zeigt sich hier die Kehrseite: Die verschiedenen Softwareprodukte reagieren unterschiedlich knurrig/penetrant/verschnupft auf den fehlenden Zugang zu diesem Internet. Windows 11 scheint noch mehr als sonst mit sich selbst beschäftigt zu sein, meine Smartwatch mag ohne Netz gar nicht mit der zugehörigen Software auf dem Mobiltelefon reden, Spotify stellte ihren Dienst ein.

Aber hej, und dieser Gruß geht raus an alle Programmierer: Gewiss gibt es technische Gründe, und rechtliche und finanzielle, warum die Dinge so funktionieren, wie sie es tun. Und gewiss sind ein paar Randgestalten der Gesellschaft am Rande des nördlichen Eisschildes keine Zielgruppe. Aber bitte, etwas mehr Erbarmen würde die Arbeit hier und an ähnlichen vom Glasfasernetz abgeschnittenen Orten schon ernsthaft erleichtern.

Grünschleiher statt blauschimmerndes Eis. Bildnachweis: IFF/TU Braunschweig

Von: Falk
Gesendet: 10.06.2023, 17:06
Betreff: Nebelstandsmeldung

Die auf der Brücke ausliegenden Ferngläser finden heute keine rechte Beachtung, denn es ist neblig da draußen, 50 bis100 m Sichtweite. Damit fallen sowohl Aktivitäten mit dem Helikopter aus, als auch Arbeiten auf dem Eis, denn die Eisbären streifen auch bei diesem Wetter umher und sind dabei recht gut getarnt.

In der Tat sind sie hier gerade tagtäglich leibhaftig und nicht nur deren Fußspuren auf vielen der Schollen. Auch beim gestrigen 12. Helipodflug überflogen wir am südöstlichsten Punkt des Flugweges einen von ihnen, dann später auch zwei große dunkle Wale. Beschäftigt mit allerlei Tipperei am Rechner habe ich sie auf Hinweis des Helikopterpiloten gerade so für ein Sekündchen erhaschen können.

Gemessen haben wir u.a. die Kohlenstoffdioxidverteilung. Der starke Konzentrationsanstieg mit zunehmender Höhe ist typisch für die Nordhalbkugel zu dieser Jahreszeit, weil die Wachstumsperiode derzeit erst einsetzt, gleichzeitig der arktische Ozean eine starke CO2-Senke ist. Für diesen Senkeneffekt sind unter anderem die Myriaden an Kleinstexistenzen verantwortlich, die das sonst auch unter Wasser blauschimmernde Eis hier mit einem Grünschleier umfärben.

Von: Magnus
Gesendet: 11.06.2023, 14:06

Seit wir an der Eisscholle festgemacht haben, ist die Arbeit deutlich intensiver geworden. Neben einer Schichtänderung der Arbeit auf der Brücke verbrachten wir eine ganze Menge Zeit auf dem Eis. Die Hauptbeschäftigungen waren dabei das auf 500 m Tiefe Herunterlassen einer Sonde, um damit Salz und Wärmeflüsse in der Wassersäule zu bestimmen, und die ständigen Evakuierungen vor Eisbären, teils mehrfach an einem Tag.

Diese Eisbären gibt es immer häufiger. Wir müssten jetzt circa 28 Adulte gesehen haben, meist kommen sie in der Nacht und werden durch die Schiffshörner, in hartnäckigen Fällen auch von Flare-Pistolen verscheucht. Da sie aber gerne in der Nacht auftauchen, wecken einen häufiger Horn und Schussgeräusche aus dem Schlaf. Mittlerweile hat man sich daran aber auch gewöhnt.

Dienstag ist nochmal ein Fancy Dinner angesetzt, nebenbei finden noch die Finalspiele des Tischtennisturniers statt, und am Mittwochabend kommen wir in Spitzbergen an, um am Morgen des 15.6 nach erfolgreicher Kojenkontrolle wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich bin persönlich sehr gespannt darauf, einen sich nicht bewegenden Boden mit ständigen Motor- oder Generatorvibrationen zu haben.

Dann geht es nach Oslo, wo es wahrscheinlich nochmal einen gemeinsamen Barabend gibt, und am 16.6. landen Falk und ich am BER. Wie ist dort momentan die Streiklage? 😀
Neben den ganzen organisatorischen Vorbereitungen auf die Heimreise gibt es immer häufiger jetzt auch Gespräche über Besuche, Wiedersehen und darüber, wie schade es doch ist, dass die Zeit vorbei geht. Ein wenig Wehmut schwingt doch vermehrt bei vielen Gesprächen mit. Ständiges weiteres Gesprächsthema ist, ob man nach der Fahrt Urlaub hat, oder direkt weiter arbeitet. Die meisten scheinen sich direkt in die Auswertung werfen zu wollen/zu müssen. Einige planen, ein paar Tage frei zu haben.


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