Post aus dem Eis (1) Magnus Asmussen und Dr.-Ing. Falk Pätzold berichten von Arktis-Expedition
Im Mai 2023 startete das Forschungsschiff „Oden“ in die Arktis. Auf der schwedischen Expedition „ARTofMELT“ (7. Mai bis 15. Juni) beobachten die Forscher*innen Wetter, Luft und Wasser. Sie möchten herausfinden, warum und wann das Eis zu schmelzen beginnt und welche Prozesse für das Schmelzen wichtig sind. Auch zwei Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig gingen mit an Bord. Anhand ihrer E-Mails bekommen wir einen kleinen Einblick in Arbeit und Alltag während ihrer Forschungsreise. Mit den gesammelten Messdaten kann untersucht werden, welche Prozesse dabei welchen Einfluss haben. Außerdem werden die Daten verwendet, um Modelle zu prüfen und zu verbessern.
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Von: Falk Gesendet: 10.05.2023, 22:32 Uhr
Nach normaler Anreise (gestartet am Samstag um 03:15 am Hauptbahnhof Braunschweig, Zug kam 55 Minuten später, Samstagnachmittag Prachtwetter in Oslo), einem sonnigen Start gen Longyearbyen [größter Ort der Inselgruppe Spitzbergen – d.R.] und einer kleinen Bootsfahrt haben wir uns am Montag in den Kabinen und Containern eingerichtet, den Erläuterungen und Demonstrationen zur Sicherheit auf und neben dem Schiff gelauscht und dann am späten Nachmittag mit der Deckcrew das Kranen des HELiPOD auf das Helikopterdeck erprobt. Punkt Mitternacht nach Lokalzeit tuckerte das Schiffchen los.
Am darauffolgenden Dienstag haben wir am Nachmittag (die Bordzeit wurde inzwischen zwei Stunden auf UTC zurückgestellt) die Eiskante erreicht und dann ca. drei Stunden später an einer größeren Scholle in der sog. margial ice zone (MIZ) geparkt.
Das HELiPOD-Kran-Training vom Vortag hat sich ausgezahlt, weil in Anbetracht der nicht so tollen Wettervorhersagen für die kommenden drei Tage für den Abend noch ein Flug angesetzt und absolviert wurde. Der Pilot konnte mit Außenlasten sehr gut umgehen und hatte das Aufnehmen und Absetzen auf dem Helideck sehr sicher erledigt. Wir waren bei diesem Flug vom Schiff aus knapp 50 km nach Norden und danach gen Süden geflogen und konnten signifikante Gradienten einiger Messwerte sehen. 23 Stunden nach Abfahrt haben wir den ersten Messflug im Kasten!
Während ich mit dem HELiPOD eine gewisse Monokost habe, gönnt sich mein Kollege Magnus diverse andere Baustellen und hat heute mit seinem Team die Sonde für Tiefsee-Untersuchungen (CTD = Conductivity, Temperature, Depth) zu Wasser gelassen. Heute gab es bei trübem Wetter und leichtem Frost wieder ganztägig diesen fluffigen, seichten Märchenbuchschneefall. Seit 18:00 Uhr (UTC) bewegen wir uns wieder und fahren nordwestwärts gen Nordost-Grönland, um einem sich bildenden Hochdruckgebiet näher zu kommen.
Von: Magnus Gesendet: 12.05.2023, 19:45
Bei der Ausfahrt von Spitzbergen gab es vereinzelt Pilotwale zu sehen. Am Folgetag konnten wir direkt schon den ersten schwarzen Punkt auf der Eisscholle (Eisbär) beobachten. Vorgestern gab es dann einen sehr neugierigen Bären, der auf einer Scholle auch recht nah am Heck herumtigerte und sich nach drei Schiffshupen dann doch von dannen machte.
Der Tagesablauf gestaltet sich um die ordentlich getakteten Essenzeiten herum. Von 12 bis 18 Uhr habe ich außerdem Akustik-Schicht auf der Brücke und überwache mit Unterstützung einer Irin ein Multibeam (Topographie des Bodens), ein SBP (Schichtung der oberen Sedimentschichten) und zwei akustische Instrumente, die die Schichtung im Wasser auflösen. Außerdem habe ich gerade noch die Fischkamera in meiner Obhut, die will vor jedem CTD Cast mit viel Feingefühl eingestellt werden.
Für morgen ist schlechtes Wetter vorhergesagt, ordentlich Wind und Niederschlag (über die Form des Niederschlags wird noch gestritten). Da morgen aber Samstag ist, wird es beim Dinner etwas feiner zugehen und auch das Essen soll noch besser sein. Die „Oden“ hat sich gerade auf einer Scholle festgefahren, um das Schlechtwetter auszusitzen.
Das Essen hier ist einfach super gut, die Küche zaubert immer wieder spannende und super leckere Essen – Vegetarier essen meist vegan, aber man kann sich zum Glück ne Stulle mit Käse auf die Faust schmieren 😀 Am Donnerstag gibt es übrigens immer Pfannkuchen mit Eis und außerdem Erbsensuppe. Erfahrene „Oden“-Fahrer meinen, dass sei später der beste Beweis, dass wieder Donnerstag ist. Durch das ständige Sonnenlicht verliert man etwas die Zeitreferenz.
Nach den Wirren des Eisbrechens ist es jetzt das Ziel, sich nach Norden durchzubrechen. Momentan sitzen wir bei 80 27.4637N und 0 28.2157E auf einer Scholle, also quasi auf dem Nullmeridan 🙂
Von: Magnus Gesendet: 15.05.2023, 13:38
Der HELiPOD ist 10:30 UTC heute wieder in die kalten, weißen Weiten aufgebrochen. Nachdem es am Wochenende ordentlich gestürmt und geschneit hat, versucht sich der Kutter jetzt mit aller Gewalt nach Norden durchzuschlagen. Das Wetter klart mittlerweile wieder etwas auf. Der Plan ist, Dienstag/Mittwoch an einer Scholle festzumachen und eine dauerhaftere Station für die Untersuchungen aufzubauen.
Da wir außerdem in Grönländischen Gewässern feststecken, dürfen wir die ozeanografischen Dauermessungen gerade nicht pingen und aufzeichnen. Bei der Eisstation geht es dann aufs Eis für alle möglichen Messungen, Mikroprofile der Wassersäule, Eis und Schneeproben, Löcher sägen/schneiden/bohren, und noch viel mehr schönen Kram.
Gestern war wieder ein Geburtstag auf dem Schiff. Das hieß lecker Kuchen, und abends gab es einen Spieleabend. Damit bleibt erneut festzuhalten, die Küche ist hier ausgezeichnet, und weder Falk noch ich werden hier vom Fleisch fallen. Die Stimmung ist allgemein gut und die erste Woche ist geschafft.
Von: Falk Gesendet: 17.05.2023, 18:22 Betreff: Wasserstandsmeldung
„Eis- oder Sonnenstand“ geht natürlich auch, denn beides haben wir gerade ausgiebig. Wir liegen seit Sonntag im Einfluss einer Hochdruckbrücke zwischen einem Tiefdruckgebiet im Bereich des Nordpols und einem südlich durchziehenden Tiefdruckgebiet. Der Wind kommt aus verschiedenen Richtungen, zumeist mit 15 bis 25 km/h; die Temperaturen schwanken sonnenstandsabhängig zwischen -8 und -15 °C.
Der HELiPOD ist am Montagvormittag wissenschaftlich erfolgreich geflogen. Mit neuem Elan sind wir dann in den gestrigen Tag gestartet, und so wurde es gestern ein Deck- und Flugbetrieb, der nicht nur wissenschaftlich deutliche Spuren von Zufriedenheit hinterlassen hat. Mit den drei Flügen haben wir nun eine sehr gute Basis für den Zustand vor der einsetzenden Schmelzsaison.
Dienstagvormittag hat das Schiff an einer Scholle festgemacht, die nun in Beschlag genommen wird. Hier hat sich dann Magnus Auslauf verschafft und tollt wie einer junger Hund im Schnee. Da gleichzeitig der sog. Helikite (ein Heliumfesselballon mit einer richtungsstabilisierenden Finne darunter) etwas länger in der Luft bleibt, ist für den Helikopter Zwangspause, die jedoch zwecks Sortierung und Behebung diverser Kleinbaustellen ganz gut kommt (hier ist wieder Lutz am Start, der die vielen Kleinigkeiten per E-Mail klären darf). Auf der Scholle werden Eiskerne gezogen, Schneepröbchen genommen, ein meteorologischer Mast aufgebaut, und was man sonst so macht. An dieser Scholle soll voraussichtlich bis Samstag gearbeitet werden, dann hofft man auf die einsetzende Schmelzsaison, und es soll dorthin gehen, wo es den Wettermodellen zufolge Warmlufteinbrüche geben soll, um die dann einsetzenden Prozesse genauer zu untersuchen.
Von: Magnus Gesendet: 18.5.2023, 14:00
Nach dem erfolgreichen HELiPOD-Flug, der sogar dem nordschwedischen (wortkargen) Helikopterpiloten ein Lächeln entlockte, ergab sich für mich die Möglichkeit, nach dem Abendessen nochmal bis 21 Uhr aufs Eis zu stapfen. Zur Erheiterung unserer schwedischen Begleiter mühten ein Kollege und ich uns dann am Eisloch ab, das am Ende eine ungefähre Größe von 1,2 x 1,1 m haben soll. An dem Tag haben wir ein paar Durchbrüche durch das Eis geschafft, aber durch die Eisdicke von ca 1,8 m waren die Eissägen einfach nicht lang genug.
Von: Falk Gesendet: 20.05.2023, 22:30
Am gestrigen Freitag konnten zwei HELiPOD-Flüge absolviert werden. Während es früh wegen nichtvorhergesagten sehr tiefen Wolken zunächst nicht gut aussah, konnte es dann gegen halb elf zur ersten Runde losgehen. Das Wetter war jedoch nur halbstabil und der mögliche Flugweg eingeschränkt: Wir sind zwar nicht an der Eiskante, jedoch hatte die Dynamik aus Meeres- und Luftströmungen südlich und westlich unserer Position eisfreie Flächen geschaffen, für deren Größeneinstufung mindestens der Bodensee herhalten muss. Flüge über offenem Wasser unterliegen jedoch starken Einschränkungen, und so ging es eben in die zwei anderen Himmelsrichtungen. Wichtig ist bei der Bewertung der gestrigen zwei Flüge das Timing, denn es war der Tag der beginnenden Schmelzsaison. Welche Prozesse in dieser Phase des arktischen Klimas stattfinden, darum geht es bei der ganzen Reise. Bei MOSAiC gab es just in dieser Zeit eine Zwangspause, und insgesamt ist diese Phase gegenüber dem herbstlichen Gegenstück bislang wohl eher schlecht verstanden.
Nach diesem ersten sehr phantastischen Flug habe ich den Fahrtleiter um einen weiteren gebeten, den dieser in unnachahmlich ruhiger Art ermöglicht hat. 5 Flüge im Kasten … läuft.
Und draußen läuft es derweil ebenfalls feucht über die Decks, denn das aktuelle Tiefdruckgebiet bringt nun leckeren Schneeregen. Der damit einhergehende Nebel = aufliegende Wolken hat dann heute wegen polarbärentarnender geringer Sichtweiten das Arbeiten auf dem Eis zum Erliegen gebracht. Morgen soll nochmal auf der Scholle gearbeitet und alles abgeräumt werden, und dann geht es wieder gen Norden. Die Wettervoraussetzungen für weitere Helipod-Flüge werden nun schwieriger.
Nach knapp zwei Wochen hat nun eine gewisse Müdigkeit in der Truppe eingesetzt.
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