Nachhaltigkeit studieren: Neue Technologien und mehr Folgenabschätzung Neuer Bachelorstudiengang folgt Wunsch nach mehr Klima- und Umweltschutzthemen im Lehrplan
Im Wintersemester 2022/23 startet an der Fakultät für Elektrotechnik, Informationstechnik, Physik der TU Braunschweig der neue Studiengang „Nachhaltige Energiesysteme und Elektromobilität“, kurz NEEMO. Ganz besonders im Fokus steht dabei die Energiewende – weg von fossilen Brennstoffen hin zu nachhaltiger Stromerzeugung. Absolvent*innen sollen dafür nicht nur die technologischen Grundlagen, sondern auch Akzeptanz für neue Technologien schaffen. Professor Bernd Engel, Leiter des elenia Instituts für Hochspannungstechnik und Energiesysteme, erklärt im Gespräch mit Mark Winter, wie Studierende darauf vorbereitet werden.
Herr Professor Engel, was ist eigentlich ein nachhaltiges Energiesystem? Was unterscheidet es von nicht-nachhaltigen Systemen?
Ein nachhaltiges Energiesystem ist zunächst einmal ökologisch, sozial und steht im Einklang mit den 17 Zielen der UN zur nachhaltigen Entwicklung. Das bedeutet vor allem, dass das Energiesystem klimaneutral ist. Die Energieerzeugung soll auf Basis erneuerbarer Energien geschehen. Das wäre vor allem Photovoltaik, Windkraft, aber auch Biogas. Und natürlich brauchen wir für die sogenannte Dunkelflaute, die durchaus zwei bis drei Wochen im Winter andauern kann, eine Rückfallebene, die dann zum Beispiel aus Wasserstoffverbrennung in Gaskraftwerken bestehen kann.
Was sind soziale Aspekte im Kontext der Energiesysteme?
Dazu gehört erstens die Bezahlbarkeit, aber auch ganz wesentlich die Bürgerbeteiligung. Also, dass sich beispielsweise Energiegemeinschaften mit starker Beteiligung der Menschen vor Ort bilden, die nach den Richtlinien der EU selbst Strom erzeugen, speichern und verkaufen dürfen.
Welche Bedeutung werden nachhaltige Energiesysteme in der Stadt der Zukunft haben?
In der Stadt der Zukunft wird es Quartierslösungen geben, in denen sich die Bürger*innen viel mehr mit der Erzeugung und dem Verbrauch von Energie beschäftigen. Dadurch können sie selbst das Quartier klimaneutral gestalten. Sie können hier die Energie-, Klima- und Verkehrswende ganz lokal selbst bestimmen. Im Forschungsschwerpunkt „Stadt der Zukunft“ forschen wir dazu beispielsweise gemeinsam mit dem Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (IBEA) an der Speicherung von selbst erzeugter Energie in Lehmwänden.
Absolvent*innen des NEEMO-Studiengangs sollen also auch die Stadt der Zukunft mitgestalten?
Das würde ich mir wünschen.
Wie werden die Studierenden im Studiengang auf diese Rolle vorbereitet? Was lernen Sie konkret?
Neben den ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fächern setzen wir in unserem neuen Studiengang NEEMO auch einen Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. Außerdem wird dort die interdisziplinäre Diskussion von Technikfolgen geübt. Hier werden zum Beispiel die Vor- und Nachteile von batterieelektrischen Fahrzeugen gegenüber Wasserstoff-Fahrzeugen abgewogen. Welche Technik hat den größeren Einfluss auf die Umwelt? Was ist wirtschaftlicher? So sollen die Studierenden an eine multikriterielle Bewertung der Technologien herangeführt werden. Wir wollen sie in die Lage versetzen, dies auch mit der Bevölkerung zu diskutieren.
Was war der Anlass, den Studiengang ins Leben zu rufen?
Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Der erste war, dass wir gemerkt haben, dass viele Schulabsolvent*innen ihr Studium gern auf erneuerbare Energien und Elektromobilität ausrichten wollen und sich von sich aus mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Und der zweite Grund ist, dass gerade die Themen Batterien, Wasserstoff und erneuerbare Energien doch auch breitere Grundlagen im Studium brauchen. Und diese Grundlagen wollen wir auch schon in einem Bachelor-Studiengang vermitteln. Außerdem werden auch auf dem Arbeitsmarkt für das Ziel Klimaneutralität 2045sehr viele gut ausgebildete Ingenieur*innen gebraucht.
Also übernehmen Ingenieur*innen hier die tragende Rolle?
Wir brauchen hier nicht nur die technischen Grundlagen, die die Absolvent*innen schaffen können. Wir brauchen auch die politische Akzeptanz für solche Technologien. Die ist im Moment besonders groß. Stichwort „Freiheitsenergien“ – also erneuerbare Energien, die Deutschland aus energiepolitischen Abhängigkeiten lösen. Hier müssen wir sehen, wie es weitergeht. Die Akzeptanz, auch in der Bevölkerung, schwankt sehr häufig. Windkraftanlagen an Land finden zum Beispiel nicht immer ungeteilte Zustimmung, gerade wenn man das Windrad von seinem Garten aus sehen kann. Aber wir brauchen die erneuerbaren Energien und auch einen gewissen Netzausbau, damit die Energie zu den Verbraucher*innen transportiert werden kann. Ich hoffe, dass sich die Akzeptanz dafür auf einem hohen Niveau stabilisiert.
Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit auch in anderen Ingenieursberufen?
Der Stellenwert der Nachhaltigkeit wird auch hier wachsen. Das ist ganz sicher. Und es gibt natürlich auch weitere Studiengänge an unserer Universität, zum Beispiel Sustainable Engineering of Products and Processes im Maschinenbau, die sich schon jetzt mit dem Thema befassen. Wir glauben, dass wir die Klimaneutralität aber nur erreichen, wenn wir viele Prozesse elektrifizieren. Das heißt, im Kern ist eine solide elektrotechnische Ausbildung notwendig für die Energie-, Mobilitäts- und Klimawende. Dafür haben wir den geeigneten Studiengang an der Fakultät für Elektrotechnik, Informationstechnik, Physik geschaffen.
Für den Studiengang wird mit dem Slogan „Ingenieur*in der Zukunft“ geworben? Wie sieht denn Ihrer Meinung nach der oder die Ingenieur*in der Zukunft aus?
Der oder die Ingenieur*in der Zukunft hat solide Grundlagen in Elektrotechnik und in den Naturwissenschaften wie beispielsweise der Elektrochemie oder Thermodynamik. Darüber besitzen die Absolvent*innen wichtige Fachkenntnisse zu den Energiesystemen sowie der Elektromobilität. Er oder sie kann Forschung und Technologie kommunizieren und mit verschiedenen Interessentengruppen diskutieren und dort eine Akzeptanz schaffen. Er oder sie kann nachhaltige Produkte entwickeln und die Energienetze der Zukunft betreiben. Damit hat sie oder er vielfältige Einsatzmöglichkeiten in der Berufswelt. Im Bachelor-Studiengang können hierfür die Grundlagen gelegt werden und wir wünschen uns, dass die Absolvent*innen sich dann in den Masterstudiengängen, beispielsweise in Elektrotechnik (mit dem Wahlbereich „Energiesysteme und Antriebstechnik“), Elektromobilität oder nachhaltiger Energietechnik, weiter spezialisieren.
Vielen Dank für das Interview.