Bild des Monats: Mikrostruktur der Magenwand – Schlüssel für eine gesunde Verdauung Aus dem Institut für Mechanik und Adaptronik
Ob Herzklappen, Harnblasen oder Luftröhren: Durch Gewebekonstruktion und Gewebezüchtung, dem sogenannten Tissue Engineering, konnten diese Organe bereits erfolgreich künstlich bei Patient*innen ersetzt werden. Andere Organe, wie der Magen, sind noch wesentlich komplexer aufgebaut. Sie bestehen aus verschiedenen Geweben, aus unterschiedlichen Zelltypen und sind zudem von unzähligen Blutgefäßen durchzogen. Um die Lebensqualität von Patient*innen mit einer Magenresektion durch eine neue Magerersatztherapie zu erhöhen, erforscht das Biomechanik-Labor die mechanischen Eigenschaften eines gesunden Magens auf verschiedenen Größenskalen.
Mechanische Eigenschaften verstehen
Die Magenresektion, die teilweise oder vollständige chirurgische Entfernung des Magens, hat sich zu einem zuverlässigen Eingriff entwickelt, um eine vollständige Entfernung der Tumorläsion zu erreichen. Trotz ihres Heilungspotenzials sind Komplikationen nach wie vor ein häufiges klinisches Problem, das mit einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität einhergeht. Um die Lebensqualität zu verbessern, wurden verschiedene Magenersatztechniken entwickelt, wobei ein wesentlicher Kritikpunkt die anschließend begrenzte Kapazität für die Nahrungsaufnahme ist. Eine Alternative kann ein mittels Tissue Engineerings hergestellter Magen bzw. Teilmagen sein. Diese Art der Gewebekonstruktion hat ein enormes Potenzial für die regenerative Medizin.
Zur erfolgreichen Realisierung einer solchen Idee, sollten ideale Materialien im Sinne des Tissue Engineering biologische Kompatibilität und mechanische Zuverlässigkeit aufweisen. Dafür ist es notwendig, die mechanischen Eigenschaften des gesunden Magens auf verschiedenen Größenskalen vollständig zu verstehen.
In einem Forschungsprojekt beschäftigt sich das Institut für Mechanik und Adaptronik in ihrem Biomechanik-Labor mit der experimentellen, Multiskalencharakterisierung des Magens, das heißt von der einzelnen Zelle über das Magengewebe bis hin zum gesamten Magen. Das mechanische Verhalten von Ingenieurmaterialien wird durch ihre heterogene Mikrostruktur beeinflusst. Auf Grund großer Längenskalenunterschiede ist es meistens nicht möglich, diesen Einfluss in Bauteilsimulationen explizit zu erfassen. Daher setzt das Biomechanik-Labor des Instituts auf Multiskalen-Ansätze in der Materialmodellierung. Die heterogene Mikrostruktur wird auf einer kleinen Längenskala explizit und mit Hilfe numerischer Homogenisierung ihr Einfluss auf das makroskopische Materialverhalten in gemittelter Form bestimmt. Dabei werden nicht nur die passiven Eigenschaften auf den unterschiedlichen Längenskalen bestimmt, sondern auch die aktiven Eigenschaften, die notwendig sind, um den Magenbrei innerhalb des Magens zu transportieren und zu zerkleinern.
Der Magen, als wichtigster Teil des gastrointestinalen Traktes, ist ein J-förmiges, kontrahierendes Organ, das sich zwischen der Speiseröhre und dem Zwölffingerdarm befindet und an Bändern im Körper verankert ist.
Wesentlich für die drei Hautaufgaben des Magens – speichern, zerkleinern und Transport des Speisebreis – ist die hoch strukturierte Mikrostruktur der Magenwand. Mittels immunhistologischer Techniken wurden am Institut für Mechanik und Adaptronik die Mikrostruktur der Magenwand optisch sichtbar gemacht.
Mikrostruktur der Magenwand
Bei dem histologischen Schnitt durch die Magenwand sind die Muskelzellen gelb, Kollagen rot und Fettstrukturen weiß eingefärbt. Es ist leicht ersichtlich, dass die Magenwand unterschiedliche Schichten aufweist, die die komplexen mechanischen Eigenschaften, sowohl aktiver als auch passiver Art, ermöglichen. Wie die Studie zeigt, kontrolliert die Mikrostruktur das makromechanische Verhalten der Magenwand. Auch zeigt das Projekt, dass die Mikrostruktur der Magenwand von der Magenwandposition abhängt. So wird der Magen anatomisch in Fundus, Corpus und Antrum unterteilt. Auch hier zeigen sich im Vergleich deutlich unterschiedliche Mikrostrukturen, was unter anderem die komplexen Magenwandkontraktionen erklärt.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden jüngst in der international renommierten Fachzeitschrift Acta Biomaterialia veröffentlicht.1 Diese Daten dienen weiterhin dazu, Multiskalen-Mehrfeld-Modelle zu entwickelt, die das Kontraktionsverhalten des Magens sehr eindrucksvoll beschreiben können. Ein erster numerischer Ansatz wurde ebenfalls in Acta Biomaterialia veröffentlicht.2 Zukünftig wird das Modell Forschenden bei der Vorhersage von Magenkontraktionen, – auch an erkrankten Mägen – dienen, was ein jüngster Buchbeitrag unterstreicht.3