Mehr Risikovorsorge: ja, Abschottung: nein Professor Christian Leßmann über Wirtschaft und Corona-Krise
Geschlossene Geschäfte, geschlossene Grenzen, aufwendige Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und Quarantäne-Ausfälle – die Corona-Krise greift tief in unseren Alltag ein. Welche Folgen wird die Pandemie für die Wirtschaft haben? Liegt in der Krise auch eine Chance? Professor Christian Leßmann vom Institut für Volkswirtschaftslehre hat sich dieser und weiterer Fragen angenommen und ausführlich beantwortet.
Magazin: Welchen Auswirkungen auf die Wirtschaft – Unternehmen, Arbeitnehmer, Versorgungsengpässe – sehen Sie angesichts der andauernden Krise?
Professor Leßmann: Wir stehen vor einer der größten Rezessionen seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Lage ist sehr unsicher, sodass Prognosen nur mit großen Unsicherheiten möglich sind. Ich bin Forschungsprofessor am ifo Institut – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München. Die Kollegen des ifo berechnen im Negativszenario – Shutdown für drei Monate – einen Einbruch der Wirtschaftsleistung von bis zu 20 Prozent. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel geht von 9 Prozent aus, allerdings unter etwas anderen Annahmen. Damit könnte diese Krise die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 in den Schatten stellen.
Ich bin aber optimistisch, dass sich die Wirtschaft in Deutschland mittelfristig gut erholen wird. Die Ursache der Krise ist ja nicht struktureller Natur wie in der letzten großen Krise. Dort waren Banken unzureichend reguliert und Staaten systematisch überschuldet. Wichtig ist, dass die Krise nicht den Finanzsektor erfasst, aber hier hat die EZB mit der Bereitstellung von Liquidität bereits interveniert.
Was sagen Sie zu den Maßnahmepaketen der Regierung – Rettungsschirme, Kurzarbeitergeld, Soforthilfe usw.? Können diese Milliarden Euro ein Wirtschaftssystem retten?
Die Volkswirte sind sich ziemlich einig darüber, dass die Maßnahmen die Folgen der Rezession mildern werden. Ob der Umfang ausreichend ist, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Für die nächsten Monate ist das aber sicher ausreichend. Sehr erfreulich finde ich, dass die Regierung in zuletzt guten wirtschaftlichen Zeiten trotz heftiger Kritik die Verschuldung abgebaut hat. Wir sind mit außergewöhnlich guten Arbeitsmarktdaten und relativ geringem Schuldenstand in die Krise gestartet und haben jetzt den Spielraum, um der Krise entgegen zu treten.
„Damit ist der Spielraum für geldpolitische Impulse klein.“
Besorgt bin ich schon seit längerem darüber, dass die EZB nach der Staatsschuldenkrise nicht wieder in einen Normalmodus der Geldpolitik zurückgefunden hat. Damit ist der Spielraum für geldpolitische Impulse klein. Und mit Blick auf wichtige Handelspartner wie Italien, Spanien und Frankreich bin ich besorgt, ob diese die Krise wirtschaftlich ähnlich gut überstehen werden, wie wir es vielleicht tun. Das dämpft dann natürlich auch die Erholung bei uns.
Befinden wir uns in einer zu starken Abhängigkeit vom Welthandel und insbesondere von Ländern wie China?
Wir alle werden durch Handel reicher und können mehr konsumieren, als dies in einer autarken Ökonomie der Fall wäre. Handel bedeutet aber zugleich gegenseitige Abhängigkeit. Das mag man in der aktuellen Situation als Nachteil sehen, aber der Handel schafft Frieden und auch kulturellen Austausch. Und grundsätzlich erlaubt Handel es uns, in einem Krisenfall Mangelgüter zu importieren. Dass in dieser speziellen Krise in Bezug auf Schutzmasken und andere Gesundheitsgüter ein globaler Mangel herrscht, ist ein Problem. Aber ich bezweifele, dass wir als autarke Ökonomie besser dagestanden hätten. Und ich bin mir sicher, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe einen Plan entwickeln wird, dass wir in Zukunft auf einen solchen Fall besser vorbereitet sind.
Das DLR baut 3D-Drucker zur Herstellung von Medizinbedarf um, Textilfirmen stellen Stoffmasken her, Spirituosenhersteller produzieren Grundstoff für Desinfektionsmittel. Zeigt sich jetzt, wie agil und flexibel unsere Wirtschaft/Gesellschaft wirklich ist?
Die deutsche Wirtschaft ist sehr innovativ und sicher auch agil und flexibel. In den Medien nehmen wir in Bezug auf die Ethanolherstellung für Desinfektionsmittel einige Lichtblicke wahr. Allerdings sieht es bei der Bereitstellung von Schutzausrüstung derzeit nicht gut aus. Ich hoffe, dass die Bundesregierung auf potentielle Hersteller mit attraktiven Angeboten zugegangen ist. Es ist klar, dass wir die Ausrüstung jetzt nicht für die Preise des Jahres 2019 kaufen können.
„Große Solidaritätsanstrengungen nötig.“
Die Gesellschaft ist sehr flexibel und kann eine solche Krise für einige Wochen oder wenige Monate recht gut meistern. Aber ähnlich wie in der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wird das persönliche Engagement und die Zustimmung für die Maßnahmen mit der Zeit wieder zurückgehen. Zum Schutz der älteren Bürger und Personen mit Vorerkrankungen werden wir aber bis zur Zulassung eines wirksamen Impfstoffes dauerhaft große Solidaritätsanstrengungen benötigen.
Wie lange wird es nach dem Ende der Schutzmaßnahmen (Aufhebung von Schließungen und Kontaktverbot) dauern, bis sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert hat bzw. wieder alles reibungslos funktioniert?
Die wirtschaftliche Lage wird sich nur langsam normalisieren. Und dies hängt kritisch davon ab, wie lange die Schutzmaßnahmen andauern. Ich gehe davon aus, dass die Schutzmaßnahmen Schrittweise angepasst werden. Gesunde Unternehmen können mithilfe des Kurzarbeitergeldes und möglicher staatlicher Kredite einige Wochen überbrücken. Unternehmen mit schlechter Liquidität werden nicht lange durchhalten und in die Insolvenz gehen. Gleichzeitig müssen sich natürlich auch unsere Handelspartner von der Krise erholen. Ich fürchte, dass wir eine erhebliche globale Rezession bekommen.
Wie kann sich die Wirtschaft bzw. wie können sich Unternehmer*innen künftig auf solche Krisensituationen einstellen?
Diese Wirtschaftskrise ist tatsächlich das, was wir Ökonomen einen exogenen Schock nennen. Es ist eine Krise, die nicht von bekannten Indikatoren abhängig ist und damit weder vorhersehbar, noch leicht zu kurieren ist. Wir erleben quasi gerade Wirtschaftsgeschichte. Letztlich müssen Unternehmen darauf schauen, dass ihre Eigenkapitalquote und Liquidität auch das Überstehen solcher unvorhersehbaren Ereignisse erlauben.
„Nicht aus Angst vor der Pandemie die Globalisierung opfern.“
Unternehmen, die stark im Außenhandel involviert sind, sollten über die Sicherheit Ihrer Zulieferketten und Absatzmärkte nachdenken. Aber das sollte auch nicht übertrieben werden. Wir sollten nicht aus Angst vor Infektionskrankheiten die Globalisierung opfern. Mehr Risikovorsorge: ja, Abschottung: nein.
Liegt in der Krise nicht auch eine Chance?
Mit Blick auf die Krisenpolitik in Südkorea, Singapur und Taiwan sehe ich die Chance, dass wir Daten in Zukunft besser nutzen. In Deutschland ist es aus historischen Gründen extrem negativ belegt, Daten von Mobilfunk- und Internetprovidern für wissenschaftliche und andere Zwecke zu nutzen. Im konkreten Fall haben solche Daten aber ein riesiges Potential, die Infektionsausbreitung zu verzögern. Ich würde mir wünschen, dass Behörden und Wissenschaftler*innen in Zukunft bei begründeten Anfragen Zugang zu Providerdaten bekämen.
Es gibt eine Petition für ein Grundeinkommen. Wäre das eine Lösung für Selbstständige, Künstler, Studierende? Ist so eine Krisenzeit nicht das richtige Zeitfenster, um optimistischer über solche Lösungen nachzudenken?
Eine Krise ist sicher nicht der richtige Moment, um fundamentale strukturelle Reformen durchzuführen, die auch in Nichtkrisenzeiten gelten. Wir haben in Deutschland ein Grundeinkommen, nur ist es eben nicht bedingungslos. Mit Blick auf die drohenden, schrecklichen sozialen Zustände durch Corona in der Welt – man denke an die USA mit selektivem Gesundheitssystem um wenig Sozialhilfe oder die Situation in Indien – bin ich mir sicher, dass wir Deutsche auf unseren zuverlässigen Sozialstaat bald mit Stolz blicken werden. In Krisenzeiten wirken diese Instrumente. Danach muss man krisenunabhängig über notwendige Reformen diskutieren.