Meer Zukunft Parlamentarischer Abend der Deutschen Allianz Meeresforschung
Wie kann die Nordsee für den Ausbau regenerativer Energie genutzt, aber gleichzeitig als maritimer Raum geschützt werden? Dieser Interessenkonflikt stand kürzlich im Mittelpunkt des Parlamentarischen Abends der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) in Hannover ebenso wie die Auswirkungen des Klimawandels auf den Küstenschutz. Die DAM verbindet 23 führende deutsche Meeresforschungseinrichtungen mit dem Ziel, den nachhaltigen Umgang mit den Küsten, Meeren und dem Ozean zu stärken. Dazu gehört auch das Forschungszentrum Küste, eine gemeinsame Einrichtung der Technischen Universität Braunschweig und der Leibniz Universität Hannover.
Beim Parlamentarischen Abend im Alten Rathaus Hannover gab die DAM Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags und Vertreter*innen aus Ministerien, Landesbetrieben und Nichtregierungs-Organisationen einen Einblick in laufende Forschungsaktivitäten. Der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Falko Mohrs, und der Vizepräsident des Niedersächsischen Landtags, Markus Bosse, stellten in ihren Grußworten klar das Interesse der Niedersächsischen Politik an der DAM heraus, nicht zuletzt aufgrund der längsten Küstenlinie deutscher Bundesländer, die in Niedersachsen geschützt und besiedelt wird.
Als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik bot der Abend Raum für Dialog. Mit einem Impulsvortrag der Präsidentin der TU Braunschweig Angela Ittel zur Küstenforschung unter dem Dach des Forschungszentrums Küste, einer Keynote von Professor Helmut Hillebrand, Direktor des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität und einer Podiumsdiskussion zum Thema „Konflikte zwischen Schutz und Nutzung in der Nordsee – Energieversorgung, Küsten- und Naturschutz“ wurde dieser eingeleitet.
Zwischen Schutz und Nutzung
Bei diesem Konflikt spielt der beschlossene Ausbau der Windenergie auf See als die Primärenergiequelle in der Nordsee eine entscheidende Rolle. „Konflikte entstehen unter anderem durch den Einbau“, erklärt Dr.-Ing. Oliver Lojek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) der TU Braunschweig. „Hierbei wird der Meeresboden gestört, Kleinstlebewesen verlieren im Nahfeld ihre Lebensumgebung und die darauf aufbauende Nahrungskette ebenfalls punktuell.“ Außerdem sei der Bau der Anlage mit erhöhtem Seeverkehr und Baulärm durch das Einbringen in den Seeboden verbunden. Einfluss auf den Meeresboden habe auch die Verlegung der Stromtrasse.
Verschiedene Forschungsprojekte an TU Braunschweig und Leibniz Universität Hannover beschäftigen sich mit Themen rund um die Windkraftanlagen. So ist die Forschung zu Erosionsmulden, die durch die Anlagen entstehen können, Bestandteil eines Sonderforschungsbereichs in Hannover. Darüber hinaus wird durch die Exposition der Anlagen in der sandigen Nordsee der Korrosionsschutzanstrich abgerieben und verbleibt im Meer. Dazu wird in Braunschweig im Rahmen des EU-Projektes Anemoi geforscht. Auf großer Skala beeinflussen die Parks aus mehreren Dutzend von Anlagen in geometrischen Mustern angeordnet die Tideströmungen und den Seegang sowie gekoppelte Transportprozesse unter Wasser. Die Wirkung wird in Hannover und Braunschweig im DAM-Projekt CoastalFutures untersucht.
„Bei all den aufkommenden Konflikten stellt der Ausbau der Offshore-Windenergie eine der unverzichtbaren Säulen der Energiewende in Europa dar und hat damit hohe gesellschaftliche Relevanz“, betont Oliver Lojek. „Geopolitische Abhängigkeiten entwickeln sich schnell zu Problemen, die ganze Volkswirtschaften ins Wanken bringen – wodurch der Bedarf nach energetischer Autarkie gestärkt wird. Die Wissenschaft ist hierin gefordert, in sehr kurzen Zeitfenstern von wenigen Jahren Handlungswissen zu generieren, um informierte Entscheidungen für zerstörungsarme und nachhaltige Nutzungskonzepte zu ermöglichen.“
Virtuelle Insel Spiekeroog
In der Podiumsdiskussion stellten Dr.- Anne Rickmeyer (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz), Prof. Dr. Corinna Schrum (Institut für Küstensysteme, Hereon) sowie Bettina Taylor (BUND Meeresbüro) und Prof. Torsten Schlurmann (LUH) verschiedene Ansichten und Herangehensweisen an die aufkommenden Konflikte zwischen Schutz und Nutzung der Nordsee dar. Lebhaft diskutiert wurde das Spannungsfeld Energieversorgung in Anbetracht der aktuellen Ausbaupläne bis 2030 circa 15.000 Windkraftanlagen in der Nordsee zu errichten.
Ins Gespräch kamen die Teilnehmenden auch zwischen den Exponaten der Forschungsausstellung. Die TU Braunschweig zeigte hier die virtuelle Insel Spiekeroog. Diese war im Rahmen des Förderprogramms Promoting Digital Education through Global Interconnection (ProDiGI) der Stiftung Innovation in der Hochschullehre in der Zusammenarbeit des Instituts für Computergrafik und des LWI entwickelt worden. In der virtuellen Realität kann die Insel im heutigen Zustand sowie zu verschiedenen Meeresspiegelszenarien erlebt werden. Die VR-Technik ist Teil des digitalen Lehrkonzepts und wird für den Wissenstransfer aus dem Reallabor Spiekeroog erstmalig in die Lehrveranstaltungen Küsteningenieurwesen angewendet. „Studierende können mit der VR-Technik die Herausforderungen im Küsteningenieurwesen am Beispiel der Insel Spiekeroog erleben und somit aktuelle Forschungsergebnisse zu nachhaltigen Küstenschutzkonzepten sowie sich das Hintergrundwissen sehr anschaulich aneignen“, erklärt Dr. David Schürenkamp vom LWI.