„March for Science“ in Braunschweig Science Bridges Cultures – Wissenschaft verbindet!
Erstmals beteiligten sich in Braunschweig Studierende, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am weltweiten „March for Science“, um ein Zeichen für die Freiheit der Wissenschaft zu setzen. Der Protestmarsch sammelte sich auf dem Universitätsplatz, um zum Schlossplatz in die Innenstadt zu ziehen. Zuvor hielten auf der Auftaktkundgebung David Ohse, Vorstandsmitglied der jungen Deutsche Physikalischen Gesellschaft und Professor Henning Menzel, Institut für Technische Chemie, auf dem Universitätsplatz eine Rede.
Die Rede von Professor Menzel im Wortlaut:
„Meine Damen und Herren,
Science Bridges Cultures – Wissenschaft verbindet! ist das Motto unter dem der Marsch hier in Braunschweig steht. Dieses Motto ist eine Aussage, die ich vollkommen bestätigen kann. Als Wissenschaftler an einer Universität kann ich reisen und andere Wissenschaftler auf Kongressen und Tagungen treffen. Dabei ist völlig egal, wo man auf der Welt ist und von woher der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin kommt, man hat die Wissenschaft als Gemeinsamkeit und lernt sich kennen. Überall auf der Welt auf jeder Tagung, die besucht habe, das gleiche Bild man spricht miteinander, tauscht Kontaktdaten aus und Freundschaften entstehen. Ich hatte das große Privileg, im letzten Wintersemester einen Forschungsfreisemester zu haben und konnte für 5 Monate an ein großes Forschungsinstitut in einem weit entfernten Land gehen. Dort hatte ich plötzlich viele neue Kolleginnen und Kollegen – aus aller Herren Länder: Australien, Iran, Indien, England, Spanien, China, Japan. Wir haben gemeinsam gearbeitet, Rückschläge hinnehmen müssen, aber auch gemeinsam Erfolge gefeiert und zum Teil unsere Freizeit gemeinsam verbracht. Ich habe dort neue Freunde gefunden! Wissenschaft verbindet! Ich würde mir wünschen, viel mehr Menschen könnten die Chance haben, mal einige Monate in einem fremden Land zu arbeiten und die Menschen dort kennenzulernen. Ich glaube die Welt würde ein ganzes Stückchen besser.
Die Gefährlichkeit von Dihydrogenmonoxid oder alternative Fakten
Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch noch ein anderes Problem ansprechen. Ein Problem das ganz explizit mit meinem Beruf als Chemiker zu tun hat. Ein Problem in dem die Wissenschaft eine wichtige Rolle spielt, dass aber von unserer Politik völlig ignoriert wird. Es ist ein Skandal, dass bestimmte Fakten einfach nicht zur Kenntnis genommen werden. Dazu nur ein Beispiel: In 2006 wurde es den Fischern von Sydney verboten weiter in der Bucht – dem Sydney Harbour – zu fischen, weil toxische Mengen des Gifts Dioxin in ihren Fischen gefunden wurden. Das Problem hatte offensichtlich aber schon länger bestanden, wurde aber ignoriert. So etwas geschieht immer wieder mit vielen Chemikalien. Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid sind gerade im Zuge des Dieselskandals in aller Munde, aber niemand spricht über Dihydrogenmonoxid (DHMO). Diese Chemikalie wird in allen Krebsgeschwüren gefunden, trotzdem wird sie weiter in der Industrie und auch in Kernkraftwerken in großem Umfang als Kühlmittel verwendet. DHMO wird in vielen Bereichen als Lösungsmittel und zum Beispiel als Hilfsstoff bei der Verteilung von Pestiziden verwendet. Und wenn die Pestizide bereits abgebaut sind, verbleibt das außerordentlich stabile DHMO in der Umwelt. Selbst bei der Herstellung von biologischen Waffen ist DHMO unverzichtbar. Obwohl es vielen Bereichen in der Industrie eingesetzt wird, ist DHMO so billig, dass es nach Gebrauch häufig einfach in die Umwelt abgegeben wird. DHMO trägt ganz wesentlich zur Bodenerosion bei. Längerer Kontakt mit DHMO im festen Zustand kann zu schwerwiegenden Gewebeschäden führen. Auch im gasförmigen Zustand ist DHMO äußerst gefährlich und kann Menschen erheblichen Schaden zufügen. Gelangt flüssiges DHMO in die Lunge, kann das zum Tod führen. Jährlich sterben auf diese Art weltweit mehrere tausend Menschen. Die Bundesregierung weiß um all diese Gefahren und unternimmt nichts. Dabei wird schon seit Anfang der neunziger Jahre vor den Gefahren von DHMO gewarnt. In Kalifornien hat sich schon zu der Zeit eine Bewegung gebildet, die sich für ein völliges Verbot von DHMO ausspricht. In vielen Umfragen sprachen sich Bürger, die auf die Gefahren durch Dihydrogenmonoxid angesprochen wurden, dafür aus, die Chemikalie zu verbieten. Im März 2004 wurde das Verbot von Styroporbechern auf die Tagesordnung des Stadtrats von Aliso Viejo in Kalifornien gesetzt, weil ein eifriger Mitarbeiter der Stadtverwaltung auf einer Internetseite gelesen hat, dass für deren Herstellung DHMO eingesetzt wird. Allerdings wurde dieser Punkt von den Politikern dort nicht behandelt, weil … ja weil einer von ihnen erkannte, dass Dihydrogenmonoxid, also die Verbindung von zwei Wasserstoffatomen mit einem Sauerstoffatom, H2O, nichts anderes ist als gewöhnliches Wasser.
Was diese kleine Geschichte zeigt, ist, dass man Fakten nicht mal erfinden oder fälschen muss. Alles was ich eben an Fakten genannt habe, ist wahr. Menschen sterben durch Wasser, sie ertrinken. Wasser wird in vielen industriellen Prozessen eingesetzt und danach häufig über Kühltürme oder durch Einleiten in Gewässer in die Umwelt abgeben. Ich habe nur die Fakten etwas emotional dargestellt und durch die Nähe mit Dioxin und Stickoxiden eine Gefahr suggeriert. Ich denke, die meisten von Ihnen haben mich schnell durchschaut. Aber was wäre, wenn ich nicht über Wasser, sondern über einen anderen unbekannten aber ähnlich gewöhnlichen Stoff wie Wasser gesprochen hätte. Was wäre gewesen, wenn ich mit den gleichen Methoden diesen Stoff schlecht gemacht und ein Verbot gefordert hätte, ein Kollege von mir aber versucht hätte, Sie davon zu überzeugen dass dieser Stoff ganz ungefährlich ist. Wem hätten Sie geglaubt? Wären Sie wissenschaftlich vorgegangen und hätten die Argumente abgewogen, hätten versucht Hintergrundinformationen zu bekommen, vielleicht die Studien, die meinen oder seinen Aussagen zugrunde liegen, gelesen? Hätten Sie die statischen Methoden, die in diesen Untersuchungen angewandt wurden, hinterfragt und auf ihre Anwendbarkeit für dieses Problem überprüft. Wahrscheinlich nicht. Sie hätten wahrscheinlich einfach dem überzeugenderen Redner geglaubt.
Es sind nicht allein die Fakten, sondern es sind auch ihre Darstellung und Interpretation auf die wir achten müssen! Die Wissenschaft schafft Wissen, und dieses Wissen sollte die Grundlage für Entscheidungen jedes Einzelnen von uns, aber eben auch der Politik und unserer Gesellschaft sein. Mir scheint es, als würde die Wissenschaft ihren Einfluss auf die Gesellschaft und ihre Entwicklung verlieren. Denn auf Wissen und Fakten basierende Entscheidungen finden in Zeiten von alternativen Fakten und Echokammern im Internet nur selten statt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erzeugen Daten und stellen Hypothesen auf. Neben den Daten und Hypothesen veröffentlichen sie aber auch die Methoden, mit denen die Daten erhalten wurden. Mit der Veröffentlichung werden die Daten, die Methoden und die Hypothesen zur Diskussion freigegeben. Andere können unsere Methoden und Daten überprüfen oder die Daten auch anders interpretieren. Auf diese Weise entstehen viele kleine Puzzleteile, die meisten passen zusammen und werden allgemein akzeptiert, andere bleiben eher Einzelmeinungen. Endgültige und unumstößliche Beweise sind selten in der Wissenschaft.
Das Problem in der heutigen Gesellschaft ist, dass es leicht fällt, alternative Fakten zu finden. Es gibt sicherlich viele Daten, die die Hypothese stützen, dass es eine menschengemachte globale Erwärmung gibt, aber gibt eben auch einige Studien, die genau das Gegenteil belegen (sollen). So findet sich immer ein Bericht, der das eigene Weltbild stützt, sei es auch noch so fern – niemand muss seine Echokammer verlassen und sein Weltbild korrigieren.
Wir müssen wieder mehr Wissenschaft in die Gesellschaft bringen! Nicht mehr Chemie und Biologie, mehr Physik oder Psychologie lehren, sondern wir müssen der Gesellschaft beibringen, dass es viele Fakten gibt und dass man Fakten unterschiedlich darstellen und interpretieren kann. Wir müssen den Menschen beibringen, dass Sie die Informationen aus verschiedenen Quellen abwägen müssen – weder dem Internet, noch dem Fernsehmagazin, noch den Experten (und seien es Nobelpreisträger) darf man einfach so glauben!
Gehen Sie heute nach Hause und nehmen ein bisschen Wissenschaft mit und verteilen dieses bisschen Wissenschaft in ihrem Umfeld, auch so können wir Brücken bauen!