5. Oktober 2020 | Magazin:

Lowtech heißt nicht No-Tech Prof. Elisabeth Endres zu energieeffizientem nachhaltigen Bauen

Wie viel Technik brauchen Häuser wirklich? Das ist eine Frage, die Professorin Elisabeth Endres umtreibt. Die Professorin für Gebäudetechnologie leitet seit vergangenem Wintersemester das Institut für Gebäude- und Solartechnik der Technischen Universität Braunschweig. Bianca Loschinsky hat mit ihr über energieeffizientes nachhaltiges Bauen und robuste Gebäude gesprochen.

Professorin Elisabeth Endres im Institut für Gebäude- und Solartechnik, das gerade umgebaut wird. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Frau Professorin Endres, das Institut für Gebäude- und Solartechnik hat sich als Motto auf die Fahnen geschrieben, CO2-Weltverbesserer zu sein. Was unternimmt das Institut, um dem Motto gerecht zu werden?

Wir lehren und forschen an der Schnittstelle passiver und aktiver Gebäudekomponenten in der Architektur. Dazu gehört die Forschung zur CO2-Neutralität in Erstellung und Betrieb von Gebäuden und Quartieren. Während im Betrieb das Nutzerverhalten und die Energieversorgung ausschlaggebende Faktoren sind, ist für die Erstellung die Materialität der Gebäude entscheidend. Diese Stellschrauben klimaneutralen Bauens bilden neben den Themen Stadtklima und Lowtech-Gebäudekonzepten einen Schwerpunkt am Institut. In der Forschung werden Fragestellungen der Effizienz von Baustoffen durch neue Herstellungsmethoden, wie 3D-Printing oder  die Substitution  herkömmlicher Baustoffe durch Lehm, Holz und Papier untersucht und bis hin zu 1:1 Tests im angegliederten Labor untersucht.

Hier am Institut selbst, das gerade umgebaut wird, wollen wir viele recycelte Materialien einsetzen und ein Real-Labor aufbauen, das einerseits mit recycelten Materialien oder wiederaufbereiteten Stoffen ein gutes Raumklima schafft, andererseits die Potentiale von Mikro- und Makroklima auf der Fläche aufzeigt. Wir wollen mit den Gegebenheiten, die vorhanden sind, und mit sehr gezielten Eingriffen die Räume optimieren. Ein wesentlicher Bestandteil werden zentrale Wände sein, die als Klimapuffer und aktive Scheiben agieren und über Solarstrom betrieben werden.

Ein weiteres Thema, welches in diesem Kontext anschließt, das mich seit Jahren sehr umtreibt, ist die Suffizienz. Fragestellungen wie „Brauchen wir das alles oder ist weniger mehr?“ und „Wie wenig ist eigentlich genug?“ begleiten mich in vielen Bereichen und vor allem in Hinblick auf den Einsatz technischer Systeme und Material.  Dies beginnt mit der Diskussion um Dämmstärken und geht weiter mit Fragen, wie: Auf welcher Fläche muss ich alleine leben, was kann ich teilen, ist ein Luftzug bei natürlicher Lüftung Nutzerinnen und Nutzern zumutbar? Oder sind an sehr kalten Tagen im Winter 19 Grad Raumtemperatur genug, wenn mit der Hälfte der Anlagentechnik 95 Prozent der auftretenden Fälle abgedeckt werden könnten? In den kommenden zwei Semestern wollen wir in Kooperation mit Professorin Folke Köbberling vom Institut für Architekturbezogene Kunst ein Projekt mit der Stadt Braunschweig entwickeln, bei dem das Thema Suffizienz eine große Rolle spielen wird.

„Eines der größten Problemfelder, die die Architektur auch weit in das 21. Jahrhundert hinein in Atem halten wird, ist ihr Verhältnis zur Technik“, haben Sie den Kunsthistoriker Professor Norbert Huse zitiert. Wieso ist das so?

Im Bauen haben wir die Superlativen Höher, Schneller, Weiter unglaublich vorangetrieben. Wir haben unendlich viele Produkte und damit für jedes Problem eine  Lösung. Mir fällt dies sehr oft im Planungsprozess auf. Aber ist es denn die Lösung, immer gleich mit einem Produkt zu reagieren oder könnte man es nicht auch wieder einfacher lösen – nämlich baukonstruktiv oder über Materialien und nicht immer nur über technische Vehikel, wie eine schnellere Lüftungsanlage, eine größere Kältemaschine oder das zusätzliche System, um den Spitzenlastfall nach Norm zu lösen? Die Frage ist doch: Brauchen wir überhaupt eine Lüftungsanlage, oder eine Kühlung? Und wenn ja, was leistet die Architektur und welche Lücken in der Performance müssen technisch gelöst werden?

Deshalb ist die Haltung, die wir zum Bauen entwickeln, so wichtig und nicht nur das Beherrschen und Erfüllen von  Normen und Richtlinien. An jedem Punkt der Welt, unabhängig vom Klima, können wir inzwischen Architektur platzieren und dank technischer Anlagen sogar Ski in der Wüste fahren. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Daher ist es umso entscheidender, eine gefestigte Haltung zur Technik und zu Anforderungen an unsere Umgebung zu entwickeln. Nur mit bewussten Entscheidungen aus einer Überzeugung heraus wird es gelingen, brauchbare Gebäude zu schaffen, die im Sinne der Baukultur nachhaltig sind. Dies ist die Haltung in der Architektur, die das Zitat von Huse gut beschreibt. Das hat uns er sehr oft eingebläut in der Architekturtheorie-Vorlesung, und das Verhältnis beschäftigt mich tagtäglich auf ein Neues.

Sie sagen Lowtech ist das neue Hightech. Wie kann man mit weniger Technik viel erreichen?

Die Frage ist, wie viel Technik brauchen wir wirklich, um ein behagliches Raumklima zu schaffen? Ein Beispiel: Die Berechnung der Norm-Heizlast bezieht sich zum Beispiel in Bayern immer auf minus 16 Grad. Im gesamten Haus müssen wir alles darauf auslegen, als ob es immer so kalt draußen wäre. Ziel der statischen Berechnungen ist es,  immer den schlechtesten Fall abdecken zu können. Der Einfluss von Sonne oder internen Wärmegewinnen durch Menschen oder technische Geräte werden nicht berücksichtigt. Lüftungsverluste der Menschen im Raum jedoch sehr wohl. Dynamische Simulationen zeigen, dass diese statischen Berechnungen zu Überinstallation führen, dennoch werden diese nicht als Planungsgrundlage akzeptiert. Dies muss meines Erachtens geändert werden.

Lowtech ist für mich nicht No-Tech.  Mir geht es bei diesem Begriff um eine robuste Optimierung des Betriebs von Gebäuden. Dieses robuste Betriebsoptimum ist das, was wir unter Lowtech verstehen. Wir erhalten es nicht für erstrebenswert, dass alles per App gesteuert werden kann, weil es sehr oft zu Fehlverhalten führt. Das Gebäude selbst soll so viel leisten, dass es ziemlich viele Betriebszustände mit einer einfachen Betriebsweise und Handhabung abbilden kann.

Auch in der Entwicklung der Baumaterialien und den Anforderungen an die Effizienz der Gebäudehülle sind wir inzwischen ziemlich weit, um  das passive Gebäudeverhalten zu optimieren. Wir haben keine Häuser mehr, in denen es bei null Grad draußen innen nur zwei Grad sind. Es wird in den Häusern, die wir heute bauen, nicht kälter als 16/17 Grad ­­­­­­­– ­selbst im kältesten Winter. Dennoch denken wir die Haustechnik, vor allem die Heiztechnik und deren Regelung, immer noch so wie in Zeiten, als Gebäude noch deutlich weniger leisten konnten.

Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur Sparen, sondern den richtigen Einsatz von Gebäuden, Material und Energie.

Was genau verstehen Sie unter dem Begriff „robust“?

Robust gegenüber unsicheren Randbedingungen, wie Nutzerverhalten und auch robust gegenüber unseren klimatischen Veränderungen. Wenn wir vollverglaste Häuser bauen, muss man sich der Konsequenz von Überhitzung und gegebenenfalls Kaltluftabfall bewusst sein. Man kann dann nicht erwarten, dass das Raumklima passt, ohne dass man mehr Technik einsetzt. Das ist für mich nicht ganz so robust wie ein Haus mit einer gewissen Speichermasse, mit weniger Fensterfläche, das vielleicht auch einen schönen Außenraum verschattet, das sich nicht nur auf sich selbst bezieht, sondern auch in Bezug auf die Stadt und das Stadtklima funktioniert.

Welche Randbedingungen müssen dabei und vor allem auch in der Zukunft beachtet werden?

Wir sind immer noch auf das Energiesparen im Winter fokussiert. Parallel überholen uns gerade diese krassen Hitzeperioden und die Extremwetterlagen. Durch die Verdichtung der Stadt, die sehr viele Vorteile hat, haben wir dort natürlich auch klimatische Auswirkungen wie Heat Island Effekte. Daher fordert uns die dichte Stadt auf, anders zu denken. Wie kann der Städtebau so reagieren, dass der Schatten auch etwas Positives ist? Dass die Untergeschosse vielleicht auch Nutzung erhalten, Bereiche, die sich vor der Sonne schützen sollten, wie Büros, die schon sehr viel Wärme mit sich bringen. Eine vertikal anders geschichtete Stadt.

Das andere Thema ist Recycling. Wir bauen heute maßgeschneiderte Schulen, die nur auf ein pädagogisches Konzept ausgelegt sind. Wenn sich dies ändert, kann es sein, dass der Abriss schnell zur Diskussion steht, da eine Sanierung unverhältnismäßig teuer würde und nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Da stellt sich schnell die Frage nach der Robustheit in Strukturen, die wir heute in abstandsoptimierten und maximal flächeneffizienten Gebäuden erreichen. Was ist also eine robuste Struktur, die viele Jahre hält und auch Umbauten aushält? Und wie sehen Strukturen aus, die nicht auf einen langen Lebenszyklus konzipiert sind, sondern nach fünf bis zehn Jahren dem Stoffkreislauf zurückgeführt werden?

Momentan wird unheimlich viel abgerissen. 60 Prozent des Müllaufkommens aus dem Bauwesen kann nicht recycelt werden. Das ist einfach zu viel! In der Bewertung spielt die graue Energie, die wir ständig vernichten, bislang nie eine Rolle.

Durch steigende Bevölkerungszahlen vor allem in den Städten gibt es auch einen steigenden Ressourcen- und Energiebedarf. Wie kann Architektur dort unterstützen? Können Sie sich auch vorstellen, nachhaltige Produktion, eines der Schwerpunktthemen im Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik, in die Stadt zu bringen?

Wir sollten überlegen, wie wir mit der Stadt Energie gewinnen können. Wie kann die Stadt die vielen Energieströme maximal gut nutzen? Ein Beispiel kann die mehrfache Nutzung des Rücklaufes der Fernwärme sein.

Hier setzt meines Erachtens auch die Frage nach der Produktion in der Stadt an. Ich bin kein Fan des Separierens von Produktion in die Gewerbegebiete und einer Versiedelung in suburbane Kontexte. Die Produktion gehört meiner Meinung nach zurück in die Stadt. Wir sollten Verdichtung nutzen, um  Qualitäten zu stärken. Die dichte Stadt, wie wir sie heute noch in Gründerzeitvierteln finden, zeigt uns, wie viel Qualitäten sich ergeben, wenn die Stadt enger zusammenrückt. Ein Leben in der Stadt ist ein anderes als auf dem Land, dieses Bewusstsein fehlt häufig in den Diskussionen. Es wird heute zu sehr vermischt und führt zu diesem Flächenfraß.

In diesem Zusammenhang steht auch direkt die Frage, ob man in Deutschland wirklich im Durchschnitt 47 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf benötigt. Ziel sollte es meines Erachtens nicht sein, die Flächen zu vermehren und mittels technischer und baukonstruktiver Maßnahmen die Effizienz zu erhöhen. Aus meiner Sicht sollte darüber nachgedacht werden, weniger Fläche zu verbrauchen und Architekturen zu schaffen, die heutigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. Ein damit verbundener Aspekt, der  wichtig ist, Dichte zu generieren ist, dass die Stadt energetisch anders bewertet werden sollte als das Land. Das Haus in der Stadt muss aktuell die  gleiche Effizienz pro Quadratmeter erfüllen wie das Einfamilienhaus auf dem Land. Die Kilowattstunde pro Quadratmeter wird immer gleich bewertet. In der Stadt wäre es jedoch möglich, die Effizienz der Dichte in die Berechnung miteinzurechnen bis hin zu Modellen, die einen CO2 Verbrauch pro Kopf als Maß der Effizienz deklarieren statt den Flächenbezug zu bemühen.

Sie haben in der Ringvorlesung „Kernbegriffe für die Stadt der Zukunft“ ein außergewöhnliches Projekt für die IBA Thüringen in Apolda vorgestellt. In einem Eiermann-Bau, ursprünglich gebaut als Weberei, wurden einfache Gewächshäuser als Arbeitsräume eingebaut.

Ohne diese ungewöhnliche Idee würde das Haus noch immer leer stehen. Es erfordert genau dieses Umdenken: nicht mehr den Anspruch auf 20 Grad überall um mich herum zu haben. Und zu überlegen, wie vorhandene Strukturen so genutzt werden können, dass der Aufwand gering bleibt. Es geht darum, situativ Antworten zu finden.

Wie wenig ist genug? Das ist ein ganz entscheidender Satz für mich. Das betrifft die Lowtech-Debatte, das betrifft die Suffizienz, unser Bauen, die Technik.

Wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft aus?

Lebendig, mit viel öffentlichem Verkehr und weniger Individualverkehr, gutem öffentlichem Raum und neuen Wohnformen. Sehr dicht und von den Nutzungen gemischt und energetisch gut vernetzt. Für mich ist die Stadt der Zukunft die produzierende Stadt. Das betrifft ganz viele Bereiche, sowohl Gärtnern in der Stadt als auch Energieproduktion und Gewerbe.