Let’s talk: Kultur und Wandel in Studium und Lehre gestalten Lehrstrategien – Regeln, Anreizsysteme und Freiräume
Studium und Lehre an Hochschulen sind in einem stetigen Wandel. Doch wie lässt sich dieser Wandel an einer Hochschule erfolgreich steuern? Wie gelingt der Transfer von Strategien in die Praxis? Dieser Frage gingen vier erfahrene Gäste auf Einladung des Präsidiums und des Projekthauses im digitalen „Let’s talk: Lehrstrategien – Kultur und Wandel in Studium und Lehre gestalten“ nach. Über die Diskussion und die Ideen zu den Themen wie der Veränderung von Lehre und Studium durch die Digitalisierung und die Covid 19-Pandemie, der Rolle der unterschiedlichen Hochschulgruppen an Change Prozessen sowie der Kulturveränderungen in der Lehre, der Bedeutung von Freiräumen für die Weiterentwicklung der Lehre, Erfolgsfaktoren für Strategieprozesse und der Messbarkeit erfolgreicher Strategieumsetzung berichtet die Organisatorin der Veranstaltung Anika Düring aus dem Team Innovation in der Hochschulentwicklung des Projekthauses.
Zu Besuch auf dem digitalen Podium waren Professorin Sylvia Heuchemer, Vizepräsidentin für Studium und Lehre der Technischen Hochschule Köln, Lavinia Ionica, Programmmanagerin beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Professor Frank Ziegele, Leiter des Studiengangs „Hochschul- und Wissenschaftsmanagement“ der Hochschule Osnabrück und Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, sowie das studentische Senatsmitglied der TU Braunschweig, Franziska Iglisch. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Angela Borgwardt.
Auswirkungen der Digitalisierung – ein Paradigmenwechsel für die Lehre?
Nach ihrem Schub durch die Covid 19-Pandemie könnte die Digitalisierung laut Professorin Sylvia Heuchemer zu einem Paradigmenwechsel von der studierendenzentrierten Lehre seit Bologna hin zu einem auf das Ökosystem zentrierten Ansatz der Lehre, also einer dynamischen, bruchfreien Online- und Präsenzlehre, führen. Die Grenzen von physischen und digitalen Räumen würden verschwimmen und ein individualisiertes und vielfältigeres Lehren und Lernen wäre die Folge. Die Hochschulen müssten sich nun die Frage stellen, wohin Studium und Lehre steuern sollen und welchen Mehrwert Lehre in Präsenz noch bieten kann. Professor Frank Ziegele ergänzte, dass die hohe Bedeutung des Campus als Lern- und Sozialraum in der Pandemie offensichtlich geworden ist und bei der Frage des Anteils von Blended Learning und Präsenz unbedingt berücksichtigt werden sollte. Die Auswirkungen von neuen Lehrstrategien werden auch unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der Lernräume haben. Franziska Iglisch erinnerte daran, dass sich auch die Studierenden erstmalig in neuen Lernräumen befinden, sie für sich neue Lernwege finden müssen und auch dafür Freiräume und Unterstützung benötigen. Darüber hinaus sollten Lernorte an der Hochschule so gestaltet werden, dass sie individuelle Lernwege berücksichtigen.
Kommunikation und Wertschätzung als Grundbedingung
In einem waren sich die Expert*innen auf dem digitalen Podium einig: Wertschätzende Zusammenarbeit, Wissenschaftlichkeit und eine systematische und regelmäßige Kommunikation zwischen allen Beteiligten, den Lehrenden, den Studierenden, der Administration, den Wissenschaftsmanager*innen und der Hochschulleitung sind eine Grundvoraussetzung für die Weiterentwicklung von Lehre. Um der Lehre eine Reputation auf Augenhöhe mit der Forschung zu geben, sei es Aufgabe der Hochschulleitung eine entsprechende Kultur zu verankern, so Professor Frank Ziegele. Außerdem sei es eine wichtige Aufgabe der Hochschulleitung, Räume zum Erproben von Neuerungen in der Lehre und für den Erfahrungsaustausch zu bieten.
Für Freiräume der Lehre seien die Faktoren Geld, Zeit, Bürokratiefreiheit und Unterstützungsstrukturen, zum Beispiel bei der Produktion von Lehrvideos, sehr wichtig. Damit zu viel Freiheit an den Hochschulen aber nicht zur Orientierungslosigkeit führten, sei es auch notwendig, einen Weg zwischen Freiräumen und vorgegebenen Standards zu finden.
Lavinia Ionica vom Hochschulforum Digitalisierung betonte die Bedeutung der Qualifizierung der Lehrenden für die neue Lehr-Lern-Umgebung. Learning on the job, fallbasiertes Lernen, Unterstützungsstrukturen in der Hochschule sowie Netzwerke seien wichtige Elemente dieser Weiterqualifizierung. Um die Lehre weiterzuentwickeln, sei neben einer klaren Ausrichtung auch eine Analyse und ständige Reflexion der eigenen Lehre durch die Lehrenden nötig. Für eine hilfreiche, begleitende Vorgehensweise hat Professorin Heuchemer einen Tipp: Die Anwendung der Methode des „Scholarship of teaching and learning“, der wissenschaftlichen Befassung von Hochschullehrenden in den Fachwissenschaften mit der eigenen Lehre und/oder dem Lernen der Studierenden. Für die Lehre im Allgemeinen sei es wichtig, ein gemeinsames Absolvent*innenprofil und die Kompetenzen, die Studierende am Ende eines Lernprozesses erworben haben sollen, die sogenannten learning outcomes, auf Modulebene zu definieren. Es sollte den Hochschullehrenden aber innerhalb ihrer eigenen Fachkultur überlassen werden, die richtigen Prüfungsformen für die Feststellung der learning outcomes auszuwählen.
Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Umsetzung von Lehrstrategien sehen die Expert*innen in Netzwerken, im Austausch und einer Grundwertschätzung für die Lehre, die auch durch Führungsverhalten und einen moderierenden, partizipativen Führungsstil gelebt wird. Die Hochschulleitungen sollten einen Rahmen aus Regeln, Anreizsystemen und Freiräumen bieten. Neben der Standardisierung, so sind sich die Talk-Gäste einig, sollte aber auch eine Abweichungstoleranz für erfolgreiche Lehraktivitäten abseits der Strategie bestehen.