17. Juni 2024 | Magazin:

Kunstschatz (aus)gehoben Erschließung und Sichtbarmachung der "Sammlung Straßner"

In der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig befindet sich eine Kunstsammlung, die derzeit erschlossen und sichtbar gemacht wird. Im Interview gibt die Kunstwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Universitätsarchiv Dr. Laura Breede einen Einblick in das von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz geförderte Projekt.

Laura Breede begutachtet das Gemäldes „Lilo“ von Rudolf Levy. Bildnachweis: Henning Peters/ TU Braunschweig

Was macht eine Kunstsammlung an der TU Braunschweig?

Die Kunstsammlung, die wir momentan »Sammlung Straßner« nennen, wurde zwischen den 1950er und 1970er Jahren für die damalige Pädagogische Hochschule zusammengetragen. Verantwortlicher Initiator war der Künstler und Professor für Kunstdidaktik Ernst Straßner – daher auch Sammlung Straßner. Die Sammlung diente zu seiner Zeit als eine Art Lehrsammlung im Rahmen des Kunst-Lehramtsstudiums – ein ehemaliger Mitarbeiter Straßners bezeichnete sie als »Lernort«. Darüber hinaus schmückte sie öffentlich zugängliche Räume der Pädagogischen Hochschule. Sie war also nicht nur an einem dafür vorgesehenen Ort oder lediglich einem kleinen Kreis zugänglich, sondern für alle Hochschulangehörigen sichtbar – zum Beispiel im Aula-Vorraum des heutigen Hauses der Wissenschaft. Dort hingen unter anderem zwei italienische Landschaftsgemälde und ein Blumenstillleben Hans Purrmanns aus den 1950er Jahren in leuchtenden Ölfarben auf Leinwand, Holzschnitte von Gerhard Marcks sowie Lithografien und Radierungen mit mythologisch-religiösen Motiven Lovis Corinths. In einer Nebenhalle wurde außerdem das älteste Werk der Sammlung präsentiert, eine kleinformatige, zarte Lithografie eines weiblichen Aktes in Rückenansicht des französischen Künstlers Aristide Maillol aus dem Jahre 1895.

Ist die Sammlung heute noch öffentlich zu sehen?

Bis auf wenige Ausnahmen sind die Werke momentan nicht zu sehen. Im Rahmen eines Projekts zur Erschließung und Sichtbarmachung der Sammlung arbeite ich gerade daran das zu ändern. Die Werke lagern in den Magazinen der Universitätsbibliothek. Dahin wurden sie in den 1980er Jahren übergeben, nachdem wertvolle Drucke und Zeichnungen aus öffentlich zugänglichen Räumen entwendet worden sind. Als dann während Bauarbeiten eine drei Zentner schwere Bronzeskulptur gestohlen wurde, ist die Sammlung an die Universitätsbibliothek übergeben worden, jedoch in den vergangenen Jahren beinahe in Vergessenheit geraten.

Seit etwa einem Jahr arbeite ich daran, die Sammlungsgenese und -historie zu ergründen und recherchiere zu den einzelnen Sammlungsstücken. Im nächsten Schritt werden diese Ergebnisse sichtbar gemacht, zunächst in Form eines Sammlungskatalogs und einer Online-Präsentation. Besonders freue ich mich, dass es gelungen ist, die gesamte Sammlung im Rahmen einer Ausstellung, deren Konzept ich derzeit entwickle, ab Anfang 2025 im Städtischen Museum Braunschweig zu zeigen. Darin wird auch die Geschichte der Sammlung thematisiert sowie der Sammlungsinitiator Straßner und seine Biographie kritisch beleuchtet. Vor allem aber werden die gesammelten Werke im Vordergrund stehen und im Kontext der Kunstdiskurse der Nachkriegszeit betrachtet.

Welches Werk aus der Sammlung gefällt Ihnen am besten?

Ein Gemälde des Künstlers Rudolf Levy mag ich besonders gerne. Dabei handelt es sich um ein vermutlich 1930 entstandenes etwas rätselhaftes Porträt einer jungen Frau mit dem Namen Lilo – so ist auch der Titel. Wir wissen nicht, wer sie ist oder in welchem Verhältnis sie zu dem Künstler stand. Mit uns Betrachtenden nimmt sie jedoch sehr direkt Kontakt auf, indem sie uns aus dem Bild heraus anblickt. Sie lächelt nicht, ihr Blick ist selbstbewusst, aber auch ein wenig melancholisch. Besonders auffällig ist das leuchtende Rot ihres Kleides, das sich in ihren Lippen widerspiegelt und das sehr hell gehaltene Inkarnat. Levys Lebensgeschichte ist bewegend und dramatisch: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist er in illustren Pariser Künstlerkreisen rund um Henri Matisse zu finden, lebte aber auch in anderen europäischen Ländern und den USA. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er als deutsch-jüdischer Künstler verfemt, seine Werke als entartet diffamiert und seine Bilder aus Sammlungen beschlagnahmt. 1944 wurde er von Mailand aus nach Ausschwitz deportiert, wo er vermutlich nicht mehr lebend ankam. Das Bild, so viel wissen wir bereits, kam aus dem Besitz eines engen Freundes und Sammlers Levys und wurde in der Nachkriegszeit über eine Galerie legal erworben.

Umfasst die Sammlung ausschließlich Gemälde und wie umfangreich ist das Konvolut?

Bei den Werken handelt es sich vor allem um Druckgrafiken verschiedenster Techniken, wie Lithografien, Radierungen, Holzschnitte, Siebdrucke und um Öl- oder Tempera-Gemälde sowie Aquarelle. Auch das Bronzerelief im Treppenaufgang des Gebäudes im Bültenweg 74/75 gehört dazu. Die Arbeiten umspannen einen Entstehungszeitraum von etwa 90 Jahren: die bereits erwähnte älteste Lithografie ist von Aristide Maillol aus dem Jahr 1895, die jüngsten Siebdrucke stammen unter anderem von Siegfried Neuenhausen, Gerd Winner und Friedensreich Hundertwasser aus den 1970er Jahren.

Die Sammlung hat ursprünglich fast 130 Werke umfasst – heute liegen uns noch knapp über 100 vor. Einige sind – wie schon erwähnt – leider nachweislich gestohlen worden, andere könnten sich jedoch noch in TU-Räumlichkeiten befinden, von denen wir bislang nichts wissen. In den vergangenen Monaten konnten wir erfreulicherweise einige Werke, die in Büros hingen, ausfindig und mit der Sammlung zusammenführen. Unser Ziel ist es, die Sammlung möglichst vollständig an einem Ort und unter konservatorisch unbedenklichen Bedingungen aufzubewahren.

Das bedeutet, dass einige Kunstwerke noch gesucht werden?

Das stimmt. Es wäre wunderbar, wenn sich noch weitere Kunstwerke anfinden würden, um das Sammlungskonvolut zu komplettieren. Wir freuen uns sehr, wenn sich Beschäftigte im Universitätsarchiv melden und uns Hinweise geben können, in welchen Räumlichkeiten – vielleicht sogar im eigenen Büro – Bilder, zum Beispiel Druckgrafiken, Zeichnungen oder Gemälde an der Wand hängen, über deren Herkunft bzw. Zugehörigkeit Unsicherheit besteht. Wir prüfen dann, ob die Bilder zur Sammlung gehören, und falls dass der Fall ist, hätten Sie uns sehr geholfen die Wege der Sammlungswerke besser nachvollziehen und besser schützen zu können!

Vielen Dank für das Interview!