26. Juli 2022 | Magazin:

„Ich kämpfe für sehr viele Lösungen in der klimaneutralen Mobilität“

Michael Heere ist seit März 2022 Juniorprofessor an der Technischen Universität Braunschweig, genauer gesagt, am Institut für Verbrennungskraftmaschinen. Mit dem geplanten Aus der Benzin- und Dieselmotoren ab 2035 (für neue PKW und leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen) orientiert sich das Institut neu. Professor Heere möchte diesen Weg mitgestalten – durch seine Forschung zu Brennstoffzellen, die für verschiedene Anwendungen getestet werden. Und auch durch vielfältige Mobilitätskonzepte mit und ohne Auto. Hier beantwortet er unseren Fragebogen und stellt sich, seine Forschungsprojekte und Ideen in der Lehre vor.

Präsidentin Prof. Angela Ittel und Prof. Michael Heere, Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Professor Heere, sind Sie gut an der TU Braunschweig angekommen?

In einem Wort „ja“ – nach gut drei Monaten sind meine Familie und ich gut in Braunschweig angekommen. Die Arbeitsumgebung am NFF (also draußen am Flughafen) ist sicherlich immer noch ziemlich neu, wird aber Tag für Tag vertrauter. Tatsächlich schaffe ich es, täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit und auch zur Vorlesung in die Stadt zu fahren – da kommen dann auch schonmal 25 Kilometer zusammen. Da merkt man, wie vielfältig der Campus aufgeteilt ist. Aber die Stadt bietet sich sehr zum Radfahren an.

Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?

Insgeheim wollte ich immer Hochschullehrer werden. Dass es nun hier geschehen ist, ist toll, war aber auch nicht vorherbestimmt. Nach dem Abitur habe ich mich als Offizieranwärter verpflichtet und dort auch Maschinenbau studiert. Entsprechend wollte ich nach meinem Master auch noch promovieren, was mir aber nicht gewährt wurde – so bin ich den etwas umständlichen Weg gegangen: Raus aus der Bundeswehr, kurz bei VW (Bertrandt) einen Zwischenstopp eingelegt und dann über ein Marie-Curie-Stipendium nach Norwegen zum Promovieren.

Wie würden Sie Ihre Arbeit einer fachfremden Person erklären?

Ich beschäftige mich mit Brennstoffzellen. Hier reagiert ein kontinuierlich zugeführter Brennstoff (Wasserstoff) mit einem Oxidationsmittel (Sauerstoff aus der Luft) und erzeugt Wasser als Abgas, Wärme und Strom. Man nennt dieses Prinzip auch kalte Verbrennung, welche durchaus effizienter als die heutige heiße Verbrennertechnologie ist. Entsprechend komme ich zwar aus dem Maschinenbau, habe aber auch lange Jahre physikalisch-chemisch gearbeitet. Bspw. Habe ich auch lange als „Beamline Scientist“ gearbeitet, wo man eine bestimmte Methode (Neutronen-Pulverbeugung) anderen Wissenschaftler*innen zugänglich und mit ihnen zusammen ein Experiment macht. Etwas Ähnliches habe ich auch hier vor: Wir wollen vor allem Prüfstands-Kapazitäten im Bereich verschiedener Leistungsklassen von Brennstoffzellen aufbauen, die dann durch Nutzer aus Industrie, durch uns selbst und der TU Braunschweig genutzt werden können.

In einem Satz: Wir werden Brennstoffzellen für verschiedene Anwendungen testen und in ein Gesamtsystem verbauen. Da geht es um Fragestellungen zu Stoffströmen, Wärmeleitungen aber auch natürlich Degradationen, „Abgas“-Analyse und System-Integration.

In Hinsicht auf das von der EU angestrebte Verbot der Verbrennertechnologie werden wir uns alle einer Transformation unterzogen sehen und so wird sich auch die Aufgabenstellung des Instituts für Verbrennungskraftmaschinen zielgerichtet in Richtung Brennstoffzelle ausweiten.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Brennstoffzelle ein, wo wird sie zum Einsatz kommen? Wie anwendungsnah ist dabei Ihre Forschung?

Mein Lieblingszitat ist: “Don’t fight what you hate, save what you love” aus Star Wars. Entsprechend will ich mit meinem Team vor allem dafür kämpfen, dass es in Zukunft sehr viele Lösungen für die klimaneutrale Mobilität geben wird, um den Klimawandel abzuschwächen. Da zählen für mich auch die dazu, die auf das Auto verzichten – wie E-Bikes und Wasserstoff-Lastenrad. Aufs Auto bezogen ist das Batterieauto gerade klar im Vorteil, und es ist super effizient. Chapeau! Aber es gibt auch andere Faktoren, die für Menschen interessant sind. Einige wollen in ihrem Urlaub vielleicht in die Toskana und nur alle 500 bis 600 Kilometer in drei bis fünf Minuten „tanken“. Das ist schon heute mit Wasserstoff möglich. Der Reichweiten-Rekord liegt ähnlich wie beim batteriebetriebenen Auto auch beim Wasserstoffauto in der Größenordnung von 1000 Kilometern (mit deutlich geringeren Tankzeiten im Anschluss).

Oder im Bereich der Großstädte: Auch hier gibt es viele Fragestellungen. Wir haben sehr lange in München gelebt und hatten eine Tiefgarage mit gut 200 Autos – die Hausleistung war aber schon ausgereizt, das heißt, Wallboxen waren nicht zulässig. Auch hier sind Konzepte, die unser derzeitiges Tankstellennetz weiter ausbauen, auch in Hinsicht auf Schnellladefähigkeit für Batterien oder Wasserstoff, nötig, denn niemand wird den Kilometer bis zur nächsten Ladesäule freiwillig jeden Tag gehen – ein ähnliches Beispiel sind da sicherlich auch die ganzen Hybrid-Dienstwägen, die nie oder selten geladen werden – der Mensch ist halt bequem – dort müssen wir ansetzen.

Was wird Ihr erstes Projekt hier am Institut sein?

Eines unserer ersten Projekte wird ein E-Scooter-Projekt sein, in dem wir batteriebetriebene Scooter auf Wasserstoff umbauen. Das ist vor allem für Master-, Bachelor- und Studierenden-Arbeiten gedacht – ein Projekt für die Studentenschaft, auch zum Fahren und zum Erfahren. Natürlich ist auch mir bewusst, dass sich ein wasserstoff-betriebener E-Scooter bei den derzeitigen Preisen für batteriebetriebene Modelle nicht durchsetzen wird.

Aber es gibt auch andere Länder, andere Anforderungskataloge. In Indien ist es teilweise noch wichtig, dass man die Gasflasche vom Scooter abends auch zum Kochen anschließen kann – das ist mit Propan/Butan gut möglich, wird bei Wasserstoff aber schon schwieriger und funktioniert mit reinen Batterielösungen eher gar nicht. Dieses Beispiel soll nur aufzeigen, dass wir immer von Deutschland mit seinen 83 Millionen Menschen reden. In Indien leben rund 1,4 Milliarden und es werden dort schätzungsweise 15 Millionen Scooter und Motorräder im Jahr verkauft. Als Vergleich: In Deutschland waren es ca. 200.000 Motorräder in 2021.

Mit welchen Forschungsschwerpunkten und Projekten werden Sie sich an der TU Braunschweig auseinandersetzen?

Natürlich arbeite ich in erster Linie am NFF, also werden meine Themen vor allem die bodengebundene Mobilität beinhalten. Aber auch im Exzellenzcluster SE2A werde ich mich aktiv einbringen und versuchen Mittel zu akquirieren, um hier auch simulationsgestützte Modelle für die Luftfahrt aufzusetzen. Ein schönes Stichwort ist hier machine learning – wie viele Daten brauche ich eigentlich, bis mir ein Algorithmus glaubhaft voraussagen kann, ob meine Brennstoffzelle in den nächsten 1000 Stunden eine Wartung benötigt? Hier haben wir bereits mit Forschern vom KIT aus Karlsruhe und China erste Vorerfahrungen sammeln können, die ich gern einbringen möchte. (J. Zhu, et al., Nature communications, 2022, https://doi.org/10.1038/s41467-022-29837-w)

Was war Ihr schönstes Erlebnis als Wissenschaftler? Was begeistert Sie an Ihrer Forschung?

Ich arbeite nun knapp zehn Jahre in der Wissenschaft und am meisten fasziniert mich immer noch, dass man sich selbst kleinste Fragestellungen ausdenken kann, diese über Jahre in einem starken Verbund mit anderen Wissenschaftler*innen erforscht. Denn Wissenschaft ist immer auch eine Teamleistung. Und dann gibt es Menschen, die sich genau dasselbe schon über Jahre gefragt haben – faszinierend!

Meine schönste Erfahrung war tatsächlich die Zeit während meiner Promotion. Über das von der EU geförderte Projekt „Ecostore“ durfte ich damals nach Oslo in Norwegen und dort meine Forschungen im Bereich der Metallhydride vertiefen. Diese Zeit war natürlich entbehrungsreich, stressig aber auch lehrreich. Ich war in den drei Jahren, rein dienstlich circa neun Monate außer Landes – zwei Monate in England, Dänemark, Frankreich, aber auch in Japan, den USA und natürlich in der restlichen EU unterwegs – teils für Forschungsaufenthalte oder Seminare, Konferenzen oder Young Researcher Workshops. Wirklich ein Traum für jeden Doktoranden! Aber natürlich auch ein Albtraum für jede Familie. Meine Frau und ich haben es überstanden und jetzt freut sich unsere kleine Tochter jeden Tag, dass wir alle zusammenwohnen.

Sie legen sehr großen Wert auf Teamleistung.

Auf jeden Fall! Noch ein Beispiel: Im Anschluss an die Promotion haben wir, die 13 angehenden Wissenschaftler*innen, uns zur Aufgabe gemacht, einen Review-Artikel zu schreiben und zu veröffentlichen – was ebenfalls eine tolle Herausforderung war. Wir haben es mit einer tollen Teamleistung geschafft, einen 75-seitigen Aufsatz über die entstandene Forschung zu verfassen, und zwar komplett ohne unsere Betreuer – denn das lernt man in der Wissenschaft recht schnell: Man muss unabhängig werden und sein (Hadjixenophontos, E., et al.; Inorganics, 2020. 8(3): p. 17. DOI:10.3390/inorganics8030017).

Was macht für Sie gute Lehre aus?

Gute Lehre – starkes Stichwort: Das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Ob ich gute Lehre halte, kann ich schlecht beurteilen, aber ich probiere viele neue Sachen aus. Beispielsweise habe ich mir für die Vermittlung geschichtlicher Aspekte zum Thema Wasserstoff ein Online-Quiz ausgedacht. Laut Feedback der Studierenden war das zumindest besser, als einfach stumpf den Inhalt in sie reinzudrücken.

Ich bin ja noch nicht so weit weg von der jüngeren Generation oder zumindest bilde ich mir das ein und mochte selbst auch nie die Frontal-Vorlesungen, die 150 Folien in 90 Minuten gezeigt haben. Ich denke, das ist nicht mehr zeitgemäß und ich selbst bin zu solchen Veranstaltungen auch nie hingegangen. Mein Limit liegt bei 30 Folien für 90 Minuten und ich schreibe sehr viel selbst auf die Folien drauf – natürlich sind da auch mal langweilige Teile dabei, aber ich versuche auch immer mit Videos und ähnlichem die Vorlesung aufzupeppen. Zurzeit stelle ich gerade einen Antrag für neue Lehrmittel und –methoden. Zu viel möchte ich noch nicht verraten, aber es wird spannend für die Studierenden und: Es sollen jede Menge Rätsel gelöst werden!

Was möchten Sie noch hinzufügen?

Bedanken möchte ich mich auch heute schon bei dem enormen Interesse im Bereich des Wasserstoffs hier an der TU Braunschweig. Ich glaube, dass ich die Stelle zu einem guten Zeitpunkt angetreten habe. Und ich möchte auch jeden Studierenden und Mitarbeitenden einladen, mich einfach anzusprechen, wenn er Fragen hat. Wir werden hier sehr viele neue Stellen im Bereich Wasserstoff und Brennstoffzellen besetzen, und haben auch immer Kapazitäten die Stärken der Studierenden in entsprechende Studien-, Bachelor- und Masterarbeiten einzubeziehen.

Bedanken möchte ich mich auch bei der Fakultät 4 und beim Fraunhofer IST – ohne diese wären die Anschaffung eines Brennstoffzellenprüfstands der VW AG nicht möglich gewesen, welcher aber essentiell für die künftige Forschung meines Teams hier an der TU Braunschweig sein wird! Danke!

Vielen Dank auch für Ihre Antworten.