Geschichtsunterricht im digitalen Wandel Marcel Mierwald ist neuer Juniorprofessor am Institut für Geschichtswissenschaft
Wie sich historisches Lehren und Lernen im digitalen Wandel verändert, dazu forscht Marcel Mierwald. Seit März 2023 ist er neuer Juniorprofessor für die „Didaktik der Bildungsmedien mit dem Schwerpunkt Geschichte“ am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | GEI und am Institut für Geschichtswissenschaft der TU Braunschweig. Wir wollten von ihm wissen, ob das gedruckte Geschichts-Schulbuch heute noch das Mittel der Wahl sein sollte, inwiefern digitale Bildungsmedien Geschichte „erfahrbar“ machen können und was er den angehenden Geschichts-Lehrkräften mit auf den Weg gibt.
Herr Mierwald, Sie sind Juniorprofessor für die „Didaktik der Bildungsmedien mit dem Schwerpunkt Geschichte“ am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | GEI und der TU Braunschweig. Sind Sie bereits gut hier angekommen?
Ich bin im März 2023 sowohl am GEI als auch an der TU Braunschweig freundlich aufgenommen worden und gut gestartet. Ich freue mich sehr, mit vielen neuen Kolleg*innen in Zukunft vor allem im Bereich des Lehrens und Lernens mit digitalen Bildungsmedien zusammenzuarbeiten und forschen zu können. Nachdem ich in Bochum als wissenschaftlicher Mitarbeiter und in Dresden als Vertretung einer Professur in der Geschichtsdidaktik geforscht und gelehrt habe, bin ich zudem natürlich auf die Studierenden in Braunschweig gespannt.
Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?
Über den Ruf der TU Braunschweig in einem gemeinsamen Berufungsverfahren mit dem GEI habe ich mich sehr gefreut. Ich habe viel zur Wirkung von Lernmaterialien auf Überzeugungen und Kompetenzen von Schüler*innen, aber auch zu ihrem Umgang mit Medien im Fach Geschichte geforscht. In Braunschweig habe ich nun die Möglichkeit, meine Forschung zum Lehren und Lernen mit Bildungsmedien zu intensivieren.
Das GEI, an dem ich hauptsächlich verortet bin, bietet mir die Möglichkeit, meine Forschungsschwerpunkte im Bereich des historischen Lehrens und Lernens im digitalen Wandel und der empirischen Geschichtsunterrichtsforschung weiterzuentwickeln. Dabei ist besonders attraktiv, in „The Basement“, dem Digital Lab des Leibniz-Instituts für Bildungsmedien, zu forschen und mit Kolleg*innen zu kooperieren, die viel Expertise in der Erforschung von Medienpraktiken sowie der Aneignung von Medien und ihren Inhalten besitzen. Darüber hinaus wollen wir am GEI zukünftig auch interdisziplinär den Dialog zwischen verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachdidaktiken sowie Bildungs- und Kulturwissenschaften mit einem Fokus auf Chancen und Herausforderungen digitaler Bildungsmedien fördern.
Gleichzeitig möchte ich Zukunftsthemen wie Digitalisierung und den kritisch-reflektierten Umgang mit (digitalen) Medien auch in die Ausbildung der angehenden Geschichtslehrer*innen an der TU Braunschweig einfließen lassen. Dies lässt sich beispielsweise gut mit der Erprobung innovativer Lehr-Lernsettings und digitaler Bildungsmedien im Digital Lab des GEI verbinden.
Sie forschen im Bereich des historischen Lehrens und Lernens im digitalen Wandel. Sollten Geschichts-Schulbücher im Unterricht noch das Mittel der Wahl sein?
Nach dem, was wir aus der Forschung vor der COVID-19-Pandemie wissen, ist das gedruckte Geschichts-Schulbuch zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer noch das Leitmedium des Geschichtsunterrichts. Dies mag daran liegen, dass Geschichts-Schulbücher flächendeckend verfügbar und als moderne Lern- und Arbeitsbücher didaktisch konzipiert sind. Damit bieten sie Lehrkräften Orientierung im Prozess der Wissensvermittlung und Kompetenzförderung, eröffnen unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten im Unterricht und können Schüler*innen auf ihren Lernwegen unterstützen. Ihre Wirkung auf Motivation und Kognition von Schüler*innen ist entsprechend einiger Studien eher gering.
Hier müssen sich aber auch digitale Bildungsmedien, die immer mehr Einzug in den Geschichtsunterricht halten, erst noch beweisen. Ich plädiere dafür, nicht pauschal digitale gegenüber analoge Bildungsmedien zu präferieren, sondern jedes Bildungsmedien zunächst kritisch hinsichtlich seiner Urheberschaft, Eigenschaften, Zielsetzungen, Konzeption, Inhalte und Aufgaben etc. zu reflektieren, bevor man sie im Unterricht einfach einsetzt. Zudem kommt es stark auf den Kontext der Verwendung des jeweiligen Bildungsmediums im Unterricht an. An die Wand projizierte digitale Geschichts-Schulbücher sprechen zum Beispiel nicht gerade für schüleraktivierenden und kompetenzorientierten Unterricht.
Wie sollte Geschichte heute im Geschichtsunterricht vermittelt werden?
Kurz gesagt: erstens kompetenzorientiert auf den Erwerb historischen Denkens angelegt, zweitens an bedeutsamen Themen und Problemen der Gegenwart und Zukunft orientiert und drittens sensibel für die Bereiche Sprachbildung, Heterogenität und Digitalisierung gestaltet.
Können digitale Bildungsmedien Geschichte „erfahrbar“ machen? Wie werden diese beim Lernen genutzt?
Die Arbeit mit einer digitalen Zeitzeug*innen-Lernplattform, die Nutzung von geschichtsbezogenen VR-/AR-Angeboten oder das Spielen von Computerspielen zu historischen Thematiken bieten im Geschichtsunterricht neue mediale Formate, um sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Wie genau etwa Lehrer*innen diese digitalen Bildungsmedien im Unterricht verwenden und sie hinsichtlich ihrer Chancen und Herausforderungen reflektieren oder Schüler*innen sich diese und ihre (geschichtsbezogenen) Inhalte aneignen, gilt es zukünftig intensiver zu erforschen. Darüber wissen wir momentan noch gar nicht so viel.
Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Bereich zu forschen?
Mich interessiert generell, wie sich der Geschichtsunterricht im digitalen Wandel verändert. Damit ist verbunden, wie Lehrkräfte und Schüler*innen mit digitalen und analogen Bildungsmedien situativ umgehen und wie sie sich diese und deren historische Inhalte aneignen. Wie bereits erwähnt, ist – empirisch gesehen – wenig dazu bekannt, welche medienbezogenen Praktiken im Unterricht eine Rolle spielen, wie digitale Bildungsmedien Geschichte „erfahrbar“ machen und wie Kompetenzen im kritisch-reflektierten Umgang mit diesen angebahnt werden können. Sinnverstehende rekonstruktive Unterrichtsforschung, die fachdidaktisch profiliert ist, bietet sich an, um Mikrostrukturen in Lehr-Lernprozessen in Form von Praktiken und Kommunikation genauer zu untersuchen.
Was sind Ihre weiteren Forschungsschwerpunkte?
Ich forsche unter anderem dazu, wie Kompetenzen historischen Denkens bei Schüler*innen erfasst werden können. Hierfür beteilige ich mich im Forschungsprojekt HiTCH (Historical Thinking: Competencies in History). Unter der Leitung des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung und der Initiative verschiedener Professuren für Geschichtsdidaktik aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben wir einen historischen Kompetenztest für Lernende der 9. Klasse entwickelt, der zur Zeit pilotiert wird.
Zudem berate ich im BMBF-Verbundprojekt EMPATHIA³ (Empowering Police Officers and Teachers in Arguing, Against Antisemitism). Ich arbeite daran mit, eine Lehrveranstaltung für angehende Lehrer*innen und Polizist*innen zu entwickeln, die diese für das Problem Antisemitismus in ihren beruflichen Kontexten sensibilisiert. Neben der Planung soll die Lehrveranstaltung möglichst auch in meiner lehramtsbezogenen Lehre an der TU Braunschweig durchgeführt und anschließend evaluiert werden.
Mit welchen Projekten werden Sie sich an der TU Braunschweig beschäftigen?
Konkrete Projekte sind momentan noch in der Entwicklungsphase. Ich bin aber optimistisch, mit den Kolleg*innen in der Geschichtsdidaktik aber auch gerne anderen Fachdidaktiken, der Erziehungswissenschaft und Pädagogischen Psychologie neue Projekte zu starten. Für eine Kooperation bietet sich zum Beispiel die Mitarbeit im Research Institute of Teacher Education an der TU Braunschweig an.
Gegenwärtig beschäftige ich mich damit, wie Schüler*innen der Oberstufe mit Zeitzeug*innen-Interviews auf der digitalen Lernplattform MiBLabor umgehen. Zudem untersuche ich die Effekte eines ausgewählten Lernmoduls zur Integration türkischer „Gastarbeiter“ im Ruhrbergbau auf die Methodenkompetenz der Schüler*innen. Dabei nutze ich Daten, die im Rahmen ethnografischer Beobachtungen und einer experimentellen Studie im Schülerlabor der Ruhr-Universität Bochum und dem Projekt „Menschen im Bergbau“ entstanden sind.
Welche Schwerpunkte werden Sie in der Lehre setzen?
Der Denomination der Juniorprofessur entsprechend, biete ich Lehrveranstaltungen an, in denen das historische Lehren und Lernen mit (digitalen) Bildungsmedien im Geschichtsunterricht, aber auch der Geschichtskultur thematisiert wird. Dabei lege ich individuelle Schwerpunkte. So wird beispielsweise danach gefragt, inwiefern sich bestimmte Bildungsmedien für den sprachsensiblen Geschichtsunterricht eignen und was es bei der Erstellung von eigenen Lernmaterialien zu beachten gilt. Oder es werden verschiedene digitale Zeitzeug*innen-Angebote erprobt und erörtert, inwiefern diese Chancen und Herausforderungen für das historische Lernen bereithalten. Es geht mir – knapp gesagt – darum, dass die Studierenden in diversen Lehr-Lernsettings ein Verständnis für ausgewählte Inhalte der Fachdidaktik Geschichte aufbauen und diese als angehende Geschichtslehrer*innen reflektieren und diskutieren.
Was möchten Sie den Studierenden mit auf den Weg geben, die später Geschichte in der Schule unterrichten werden?
Ich möchte meinen Studierenden gerne mitgeben, dass Geschichte ein wirklich interessantes und wichtiges Schulfach ist, das Relevanz für Gegenwart und Zukunft besitzt. So kann zum Beispiel die inhaltliche Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Vergangenheit uns sensibler für judenfeindliche Aussagen und Stereotype in der Gegenwart machen. Methodisch kann die im Geschichtsunterricht erlernte Quellenkritik wichtige Impulse für den kritisch-reflektierten Umgang mit Medien im Alltag geben.
An diesen Themen sieht man, wie wichtig vertiefte Kenntnisse und Kompetenzen im Bereich Geschichtsdidaktik sind. Dies hilft, das Fach Geschichte theoretisch reflektiert, empirisch informiert und pragmatisch versiert in der Schule zu unterrichten. Dabei ist nicht zuletzt bedeutsam, eine Balance zwischen den Anforderungen des Faches und den Interessen, Orientierungsbedürfnissen und Vorkenntnissen der Lernenden zu finden.