„Gedenken bedeutet mehr als die Erinnerung an die Vergangenheit“ TU Braunschweig gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus
Am 27. Januar 2025 jährt sich die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz zum 80. Mal. Rund 1,5 Millionen Menschen wurden hier umgebracht, davon rund eine Million Jüdinnen und Juden. Auschwitz wurde zum Symbol für die Schoa bei der 6 Millionen Juden und Jüdinnen ermordet wurden. Gemeinsam mit Angehörigen der TU Braunschweig legten Präsidentin Angela Ittel und Jakob Stahlhofen vom Referat für Antifaschismus und Antirassismus des AStA zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus Blumen an der Stolperschwelle vor dem Altgebäude nieder. In einer hochschulweiten Schweigeminute wurde auch der über 50 Angehörigen unserer Universität gedacht, die durch den Nationalsozialismus von der Hochschule vertrieben, entlassen und ermordet wurden.
„In Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus an unserer Hochschule. Diskriminiert, entlassen, vertrieben, verfolgt, ermordet,“ lautet die Inschrift der Stolperschwelle, die seit 2014 vor dem Altgebäude liegt. Dort versammeln sich am 27. Januar jährlich Angehörige der TU Braunschweig, um gemeinsam der Opfer zu gedenken, die vom Nationalsozialismus verfolgt, entrechtet und ermordet wurden.
Die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig zu halten und in der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit, Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft zu übernehmen, sind die zentralen Botschaften an diesem Gedenktag, achtzig Jahre nachdem das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit wurde.
TU-Präsidentin Angela Ittel mahnte in ihrer Ansprache, dass das Gedenken mehr ist, als die Erinnerung an die Vergangenheit, und hob die Universität als Ort der Verantwortung hervor.
(Auszug aus der Rede)
Gedenken bedeutet mehr als die Erinnerung an die Vergangenheit. Es gilt, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen und daraus auch Konsequenzen zu ziehen. Unser wissenschaftliches und gesellschaftliches Handeln muss sich stets an den Grundwerten von Demokratie, Menschenrechten und Toleranz orientieren.
Weltweit erleben wir ein Erstarken autoritärer Strömungen, von Rassismus und Antisemitismus. In Deutschland häufen sich Übergriffe auf Jüdinnen und Juden, werden Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Identität ausgegrenzt – bis hin zu „Abschiebetickets“, die in Briefkästen landen. Rechtes Gedankengut hält wieder Einzug in Parlamente sowie in gesellschaftliche Diskurse und verbreitet sich über soziale Netzwerke, die nicht selten als Verstärker für Hass und Hetze fungieren.
Es ist unsere Aufgabe als Universität, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, durch Bildung, durch Dialog und durch Aufklärung, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse als „Fake News“ herabgewürdigt werden. Und es ist unerlässlich, dass wir uns klar und entschieden gegen Diskriminierung, gegen Antisemitismus und gegen jede Form von Menschenverachtung positionieren. Auch deshalb sind wir auf der Plattform X nicht mehr aktiv und unterstützen den gemeinsamen Aufruf von mehr als 60 Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die Kommunikation dort einzustellen. Die zunehmende Verbreitung von Falschinformationen, Hate Speech und Hetze ist mit dem Wertesystem der TU Braunschweig nicht vereinbar.
Unsere Universität versteht sich als Ort des kritischen Denkens, um sich fundierte Meinungen zu bilden und diese in offenen Debatten mit sachlichen Argumenten zu verteidigen. Unsere Universität versteht sich aber auch als Ort der Verantwortung. Durch die Erforschung der NS-Geschichte unserer Hochschule oder Projekten gegen Rassismus sowie zur Stärkung von Diversität und Inklusion tragen wir dazu bei, die Lehren aus der Geschichte lebendig zu halten. Doch Verantwortung endet nicht an den Mauern einer Hochschule. Sie beginnt bei jedem Einzelnen von uns. Es sind unsere täglichen Entscheidungen, unser Handeln, unser Widerspruch gegen Ungerechtigkeit, die den Unterschied machen. Der 27. Januar erinnert uns daran, dass wir nicht tatenlos zusehen dürfen, wenn Unrecht geschieht.
Lassen Sie uns erinnern, um die Zukunft menschlicher zu gestalten. Oder wie die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sagt: „Respektiert Menschen, das ist doch das Wesentliche.“
Jakob Stahlhofen vom Referat für Antifaschismus und Antirassismus des AStA warnt vor dem wiedererstarkenden Rechtsextremismus
(Auszug aus der Rede)
Heute stehen wir hier, um all den Menschenleben zu gedenken, die der Faschismus genommen hat. Aber ein Gedenken alleine, ein Niederlegen von Kränzen und sprechen von warmen Worte, reichen nicht aus. Gedenktage wie dieser sind viel mehr eine Erinnerung an unsere eigene historische und politische Verantwortung. Denn faschistische, menschenfeindliche Ideologie, die Leben in wert und unwert einteilt, ist nach 1945 nicht verschwunden. Seit vielen Jahren wachsen und gedeihen in Deutschland so wie in der ganzen Welt rechtsextreme Ideen und Kräfte. Wir leben in Zeiten, in denen eine in Teilen als rechtsextrem gesicherte Partei die zweitstärkste in Deutschland ist. Und in der konservative Kräfte bereits offen über Zusammenarbeit reden. In Zeiten, in denen der reichste und vielleicht mächtigste Mann der Welt auf offener Bühne einen Hitlergruß zeigt und dafür Applaus kassiert.
Auch seit dem Ende des zweiten Weltkriegs hat rechtsextreme Gewalt weiterhin viele Menschenleben gekostet. Seien es die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen in den 90er Jahren, die Terroranschläge von Halle und Hanau oder die NSU-Morde. Rechte Gewalt und rechter Terror sind längst wieder allgegenwärtig. Und extrem rechte Ideologie wird seit Jahren lauter, stärker, und normaler, und ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Nazis von heute tragen ihr neues Selbstbewusstsein auf die Straße: CSDs werden gezielt bedroht und angegriffen, Politiker*innen beim Aufhängen von Wahlplakaten überfallen, die Räumlichkeiten von antifaschistischen Gruppen mit Hakenkreuzen und Drohungen beschmiert.
Und während diese Gewalt in den letzten Jahren weiter steigt, laufen etablierte Parteien weiter und weiter rechten Forderungen hinterher, überbieten sich in unmenschlichen Asylrechtsverschärfungen und Abschiebedebatten. Wenn gleichzeitig legitimer Protest dagegen von massiv aufgerüsteter Polizei gewaltsam niedergeknüppelt wird, und selbst parlamentarische Beobachter von der Staatsmacht bewusstlos geschlagen werden, dann muss uns klar sein, dass Gedenken auch Widerstand bedeutet.
An Tagen wie heute erinnern wir uns an die Lehre, die wir aus unserer Geschichte ziehen müssen. Es ist Zeit, unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung auch an der Uni wahrzunehmen. Es ist Zeit, dass wir uns organisieren und solidarisch zusammenstehen. Es gibt bereits jetzt starke und wachsende studentische Protestbewegungen. Gerade jetzt müssen wir durchhalten, unsere Kommiliton*innen organisieren, ausdauernd bleiben, Bündnisse halten und weitere schmieden, um der wachsenden Gefahr von Rechts gemeinsam, entschieden und dauerhaft entgegenzutreten. Lasst uns gemeinsam so handeln, wie wir es den Opfern des Faschismus schuldig sind – und lasst uns diesen Opfern heute gemeinsam gedenken.
Wir gedenken heute 6 Millionen jüdischen Menschen, 1,8 Millionen nichtjüdischen polnischen Zivilist*innen, 5,7 Millionen sowjetischen Zivilist*innen, 312.000 serbischen Zivilist*innen, 250.000 Menschen mit Behinderungen, 250.000 Sinti:zze und Rom:nja, Tausenden Angehörige der LGBTQ* Community, einer ungezählten Anzahl an politischen Gegner:innen und Widerstandskämpfer:innen und allen Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in den Jahren nach 1945.