20. November 2018 | Magazin:

Forschung über Fach- und Hochschulgrenzen hinaus 15. Jubiläum des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies

Ob im Alltag, in der Schule, der Arbeitswelt oder der Wissenschaft: Überall spielt Geschlecht eine Rolle, und oft, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Der bewusste Blick auf Geschlecht ist eine Möglichkeit, Vielfalt zu erforschen und ein Bewusstsein für Stereotype und Diskriminierungen in der Gesellschaft zu schaffen. Dies ist das Ziel des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies (BZG). In diesem Jahr feiert das Zentrum sein 15-jähriges Bestehen. Zusammen mit Geschäftsführerin Juliette Wedl blicken wir auf Highlights, Herausforderungen und Veränderungen.

Juliette Wedl, Geschäftsführerin des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies blickt anlässlich des 15-jährigen Jubiläums auf die Höhepunkte, Herausforderungen und Veränderungen zurück. Bildnachweis: Anna Krings/TU Braunschweig

Seit seiner Gründung im Jahr 2003 fördert das Zentrum die Gender Studies an den drei Hochschulen. Warum braucht es die Gender Studies? „Die Antwort ist klar: Weil Vorurteile und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts noch immer aktuell sind“, erklärt Juliette Wedl, die seit zehn Jahren im BZG arbeitet. „Gesellschaftlich geprägte Vorstellungen von Geschlecht und daraus entstehende Stereotypen sind unbewusst in unserem Alltag verfestigt, sehr viel häufiger als wir denken. Wir gehen davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gibt – und übersehen, dass nicht alle Menschen sich als Mann oder Frau identifizieren. Das Bild, dass Mädchen lieber kuscheln und lesen während Jungen lieber toben und bauen begegnet uns vielfach in der Werbung. Und nicht zuletzt stoßen wir auf Fachkulturen, die geschlechtlich geprägt sind. Wenn wir mehr Frauen in den Ingenieurwissenschaften haben wollen, dann ist eine Auseinandersetzung mit Geschlecht notwendig.“ Hier setzt die Forschungs-, Lehr- und Aufklärungsarbeit des Braunschweiger Gender Zentrums an, das eine Kooperationseinrichtung der Technischen Universität Braunschweig, der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften ist.

#letsbetrue

Von Forschung, Lehre und Projekten über Wissenstransfer bis zu Vernetzungsaktivitäten und Beratung, das Aufgabenspektrum des Braunschweiger Zentrums für Gender Studies ist breit gefächert. Mit dem Kooperationsprojekt „Hochschule lehrt Vielfalt!“ unterstützt das BZG beispielsweise Lehrkräfte, der Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Identitäten im Schulalltag gerecht zu werden. Das studentische Projekt #letsbetrue, das sich im Rahmen des interdisziplinären Ringseminars entwickelt hat, weist mit Postkarten auf Sexismus im Alltag hin.

„Identitätenlotto. Ein Spiel quer durchs Leben“ soll mit einer Crowdfunding-Kampagne auf den Markt gebracht werden. Bildnachweis: Luisa Neumann/TU Braunschweig

Wichtige Projekte in den vergangenen 15 Jahren waren für Juliette Wedl unter anderem die Veröffentlichung des Lehrbuchs „Teaching Gender?“ und die Einwerbung der Maria-Goeppert-Mayer-Professur für „Gender, Technik und Mobilität“. Aber auch das Identitätenlotto. Ein Spiel quer durchs Leben“ – ein Themenspiel auch für die Hochschullehre, bei dem die Spielenden unterschiedliche Identitäten annehmen und so Lebensthemen und Alltagssituationen durchlaufen. Es soll jetzt mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne auf den Markt gebracht werden.

Das studentische Projekt #letsbetrue weist mit Postkarten auf Sexismus im Alltag hin. Bildnachweis: TU Braunschweig

Teamwork über Fach- und Hochschulgrenzen hinaus

In den Gender Studies wird die Bedeutung des Geschlechts für Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft betrachtet. Im BZG liegen die Schwerpunkte dabei auf den Bereichen Science and Technology Studies, Schule und Bildung, Partizipation und Versorgung, Stadt und Raum sowie Medien, Kommunikation und Gestaltung. „Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von verschiedenen Fachkulturen ist ein ständiger Lernprozess“, sagt Wedl. „Den Dialog zwischen den verschiedenen Fächern auf Augenhöhe zu gestalten, ist gleichzeitig sehr bereichernd.“

Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Hochschultypen mit ihren jeweiligen Schwerpunkten, die von Technik bis Kunst und von anwendungs- bis theorieorientiert reichen, ist eine weitere Herausforderung. Die drei Hochschultypen ergänzen sich sehr gut und so entstünden produktive Diskussionen und Kooperationen. Eine Basis dafür sei die Unterschiedlichkeit der Perspektiven in den Gender Studies zu respektieren. „Interdisziplinäres und hochschulübergreifendes Arbeiten ist eine Antwort auf aktuelle Herausforderungen der Wissenschaft“, so Wedl.

Ein Zeichen setzen

Im Laufe der 15 Jahre habe sich vieles verändert, nicht nur im Braunschweiger Zentrum für Gender Studies, sondern auch in der Gesellschaft. „Die Debatten im Bereich Gender sind sichtbarer und umkämpfter geworden. Sie haben eine neue Relevanz erhalten. Dadurch sind natürlich auch die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Diskussion stärker in den Fokus gerückt. Bedrückend ist, dass mit den Gender Studies die Freiheit der Wissenschaft an sich angegriffen wird. Ein Beispiel dafür ist Ungarn, wo die Gender Studies in diesem Herbst aus den Hochschulen verbannt worden sind, “ so Wedl. In Deutschland sei dagegen neben Angriffen auch die Akzeptanz der Gender Studies gestiegen. „Als ich an das Zentrum kam, war ich die einzige Mitarbeiterin, jetzt sind wir fünf. Auch die Nachfrage nach Beratungsgesprächen und Kooperationen ist stark angestiegen“, erzählt Wedl.

Für die Zukunft wünscht sich die Soziologin eine Verstetigung des Zentrums: „Denn es gibt einen großen Bedarf. Auch Studierende wollen mehr Lehrveranstaltungen mit Genderschwerpunkt. Mit dem Zentrum bringen wir wichtige Themen in sehr unterschiedliche Disziplinen und erweitern den Blick auf soziale Fragen. Nicht zuletzt zeigt der Umgang mit Heterogenität das demokratische Verständnis einer Gesellschaft.“