13. Oktober 2021 | Magazin:

Flugzeugdesigns für eine umweltfreundliche Luftfahrt Interview mit der SE2A-Nachwuchsgruppen-Leiterin Dr. Camli Badrya

Camli Badrya leitet seit Juni 2019 am Institut für Strömungsmechanik der TU Braunschweig die Nachwuchsgruppe „Flow Physics of Laminar Wing and Fuselage“. Im Rahmen des Exzellenzclusters SE2A forscht sie zur Optimierung der Strömungsphysik an Tragflächen, um Lösungen für einen geringeren Treibstoffverbrauch zu finden. Wir haben sie gefragt, wie sie nach Braunschweig an die TU kam und was genau das Thema ihrer Forschung ist.

Dr. Camli Badrya am PTF Windtunnel des Instituts für Flugantriebe und strömungsmaschinen. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Wie sind Sie zur Wissenschaft gekommen?

Seit ich denken kann, habe ich mich immer für die Wissenschaft begeistert. Pioniere der Luftfahrt wie Amelia Earhart und die Gebrüder Wright sowie die großen Mathematiker Euler, Navier und Stokes, deren Arbeiten die Grundlage für meine Forschung bilden, haben meinen Traum geweckt, eines Tages Wissenschaftlerin zu werden. Diese Leidenschaft führte dazu, dass ich meinen Bachelor in Luft- und Raumfahrttechnik am Israel Institute of Technology (Technion), einen Master und schließlich einen Ph.D. in Luft- und Raumfahrttechnik an der University of Maryland (UMD) in den USA erwarb.

Mit dem Abschluss meiner Promotion wurde mir klar, dass ich in absehbarer Zukunft in der Wissenschaft bleiben wollte. Im Laufe meines Studiums in den USA habe ich mir ein fundiertes Wissen über numerische Methoden und die Aerodynamik von Hubschraubern angeeignet. Meine Forschungsarbeit konzentrierte sich auf instationäre viskose Strömungen, bioinspirierte Schlagflügel und das Verhalten bei großen Böen. Nach meiner Postdoc-Phase suchte ich nach neuen Forschungsmöglichkeiten, um mein Wissen zu erweitern und etwas in der Aerodynamik und Luftfahrt zu bewirken.

Warum haben Sie sich dann für TU Braunschweig entschieden?

Ende 2018 stieß ich auf die Stelle als Nachwuchsgruppenleiterin der „Physik der laminaren Strömung an Flügeln und Rumpf“ am Institut für Strömungsmechanik der TU Braunschweig. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich angenommen wurde. Die Stelle an der TU Braunschweig ist Teil des Exzellenzclusters SE2A in Deutschland.

Ich glaube, dass die vielen Kulturen, die ich während meiner Ausbildung erlebt habe, dazu beigetragen haben, mir mehr Perspektiven für schwierige Probleme zu geben. Ich war begeistert, meine Forschung in dem Land fortzusetzen, das so viele großartige Wissenschaftler hervorgebracht hat. Das Institut für Strömungsmechanik (ISM) hat eine beeindruckende Forschungsgeschichte. Gegründet und geleitet wurde es von dem bekannten Strömungsmechaniker Prof. Hermann Schlichting (1907-1982). Schlichting studierte bei Ludwig Prandtl (1875-1953), einem Physiker, Luft- und Raumfahrtwissenschaftler und bekannt für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Strömungsmechanik. Daher ist es eine große Ehre hier zu arbeiten.

Was sind Ihre Hauptforschungsgebiete an der TU Braunschweig?

Meine Forschungsgruppe mit dem Titel „Flow Physics of Laminar Wing and Fuselage“ ist eine Nachwuchsgruppe innerhalb des Exzellenzclusters SE2A. Unsere Hauptforschungsziele konzentrieren sich auf die Kontrolle laminarer Strömungen, insbesondere durch Grenzschichtsog.

Können Sie kurz erklären, was „laminare Strömungskontrolle“ ist?

Wenn ein viskoses Fluid (z. B. Luft) auf eine feste Oberfläche trifft, bildet sich eine Grenzschicht, die von der Viskosität des Fluids und der stationären Oberflächengeschwindigkeit abhängt. Aufgrund der Viskosität in der Grenzschicht entsteht der „Reibungswiderstand“ oder „Hautreibungswiderstand“. Obwohl diese Grenzschicht auf Tragflächen dünn ist, kann der Reibungswiderstand bei größeren Flugzeugen beträchtlich werden.

Diese Grenzschichten können laminar sein, das heißt gleichmäßig über die Oberfläche fließen, oder turbulent, das heißt voller Wirbel und Strudel. Die laminare Strömung erzeugt einen geringeren Reibungswiderstand und ermöglicht einen effizienteren Flug, ist jedoch von Natur aus instabil und kann aufgrund von instabilen Bedingungen oder Unvollkommenheiten der Oberfläche in eine turbulente Strömung übergehen. Durch aktive und passive Maßnahmen können wir die laminare Strömung an den Auftriebsflächen ausweiten und aufrechterhalten. Es gibt drei Ansätze zur Kontrolle der laminaren Strömung an einem Flügel:

  • Passive Mittel: Hauptsächlich durch die Formgebung des Flügels, um eine laminare Strömung zu erreichen. Dies kann auch als natürliche Laminarströmung (NLF) bezeichnet werden. Da die natürliche laminare Strömung von vielen Parametern abhängt, ist sie nicht so zuverlässig.
  • Aktive Mittel: Auch bekannt als Laminar Flow Control (LFC). Prandtl hat 1935 gezeigt, dass die laminare Grenzschicht durch Absaugung kontrolliert werden kann. Indem man eine kleine Menge Luft aus der Grenzschicht entfernt, bevor diese turbulent wird, kann die laminare Strömung leichter aufrechterhalten werden.
  • Hybride Mittel: Die hybride laminare Strömungskontrolle (HLFC) kombiniert LFC- und NLF-Ansätze und nutzt fortschrittliche Schaufelkonstruktionen in Verbindung mit Grenzschichtabsaugung, um eine stabile, laminare Grenzschicht unter realen Bedingungen aufrechtzuerhalten.

Die in meiner Gruppe durchgeführten Forschungsarbeiten sind sowohl numerisch als auch experimentell und zielen darauf ab, die physikalischen Prinzipien und die Auswirkungen der Grenzschichtabsaugung auf den Übergang von der laminaren zur turbulenten Strömung zu untersuchen, Flügel und Rumpf für einen geringen Luftwiderstand zu entwerfen und zu optimieren und ein auf Absaugung basierendes System für die LFC/HLFC-Anwendung in Synergie mit neuartigen 3D-Druck- und Mikroperforationstechnologien zu entwickeln.

Natürlich konnte diese reichhaltige Forschung nur durch die Beteiligung der exzellenten Forschungsgruppe ermöglicht werden, die aus hoch motivierten Masterstudenten und Doktoranden aus dem In- und Ausland besteht.

Dr. Camli Badrya mit ihrem Team: Michelangelo Correlli Grappadelli, Adarsh Prasannakumar , Anand Sudhi, Fabian Zwilling. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Welchen Beitrag sehen Sie durch Ihre Arbeit im Exzellenzcluster SE2A in Bezug auf die nachhaltige Luftfahrt?

Die Forschung, die wir in meiner Gruppe und anderen Forschungsgruppen innerhalb des Exzellenzclusters SE2A betreiben, könnte zu einem Durchbruch in der Zukunft der umweltfreundlichen und energieverträglichen Luftfahrt führen. Wie oben erläutert, ist die Idee der laminaren Strömungskontrolle durch Grenzschichtsog nicht neu. Die Konstruktion eines Flügels mit aktivem Sog ist jedoch keine triviale Aufgabe. Wir arbeiten an der Entwicklung von Konstruktionswerkzeugen, die in der Lage sind, die physikalischen Zusammenhänge der HLFC zu erfassen, und an der Entwicklung von Schlüsseltechnologien für die tatsächliche Herstellung der Konstruktionen, die diese Werkzeuge ermöglichen.

Mit besseren experimentellen Daten in Verbindung mit verbesserten Berechnungsmöglichkeiten können wir die optimale Physik beobachten, verstehen und vorhersagen. Dieses Wissen wird es uns ermöglichen, Flugzeuge mit der HLFC-Anwendung zu entwerfen. Flugzeuge mit erweiterter laminarer Strömung werden zu einer erheblichen Verringerung des Luftwiderstands im Vergleich zu modernen Transportflugzeugen führen. Weniger Luftwiderstand bedeutet weniger Treibstoffverbrauch und weniger Emission von CO2 und anderen Gasen.

Was war Ihre schönste Erfahrung als Wissenschaftlerin?

Nach meinem Bachelor-Abschluss bin ich nun seit fast zehn Jahren im akademischen Leben tätig. Ich kann mich an zwei Erfahrungen erinnern, die mich als Forscherin besonders geprägt haben. Das erste wichtige Erlebnis war, als ich am Ende meiner Doktorarbeit vor einem Ausschuss von fünf Professoren meine mündliche Prüfung bestand. Als sie mich in den Prüfungsraum zurückbrachten, um mir mitzuteilen, dass ich bestanden hatte, war ich nicht länger einer ihrer Studentinnen, sondern einer ihrer Kolleginnen.

Das zweite Erlebnis war die Verleihung des Amelia Earhart Fellowship Award und die Übergabe der symbolischen Flügel, die Teil der Auszeichnung sind. Amelia Earhart, eine Pionierin der Fliegerei, war und ist immer noch eine meiner Heldinnen.

Ein Blick in die Zukunft: Was sind Ihre Pläne?

In den kommenden Jahren möchte ich weiter an meiner Forschung arbeiten, um an der Zukunft der Luftfahrt mitzuwirken. Außerdem möchte ich mein Fachwissen und meine Kenntnisse in angewandter Aerodynamik und Strömungskontrolle vertiefen, insbesondere mit der Arbeit an transsonischen Flugzeugen. Meiner Meinung nach müssen wir noch viel mehr Grundlagenforschung betreiben, die fortgeschrittene experimentelle und numerische Methoden erfordert. Außerdem muss ich mein Forschungsgebiet auf Anwendungen für Hochgeschwindigkeitsüberschallströmungen und die Lösung komplexer Strömungsphysik ausweiten.

Was die akademische Laufbahn betrifft, so möchte ich weiterhin junge Luft- und Raumfahrtingenieur*innen anleiten und ausbilden, damit sie mit Hilfe von Wissenschaft und Technik Lösungen für die Herausforderungen finden, mit denen wir in unserer sich ständig verändernden Welt konfrontiert sind.

Welche Botschaft möchten Sie Studierenden mit auf den Weg geben?

Ich möchte ihnen drei Botschaften mitgeben: Seid neugierig! Neugier und unkonventionelles Denken sind wichtige Eigenschaften, um ein guter Forscher oder Wissenschaftler zu sein. Seid resilient! Das Leben in der Forschung ist kein leichter Weg. Seien Sie sich bewusst, dass es in der Forschung kein „Scheitern“ gibt. Alle großen Erfindungen in der Wissenschaft wurden nicht beim ersten Versuch gemacht. Lernen Sie aus Ihren Rückschlägen und machen Sie weiter. Seien Sie furchtlos! Scheuen Sie sich nicht, „sich selbst“ einzubringen und dem Diskurs und der Kultur in der akademischen Welt und der Industrie Ihren Stempel aufzudrücken.

Vielen Dank.