27. August 2024 | Magazin:

Faszination Raumfahrt: Vom Hörsaal in Richtung All Studentische Initiative ERIG e.V. baut Raketen und Höhenforschungsexperimente für die Raumfahrt

Unendliche Weiten, kreisende Planeten, Schwerelosigkeit: Das Weltall begeistert schon seit jeher die Menschheit und ist Grundlage zahlreicher Filme, Bücher und Mythen. Die studentische Initiative ERIG e.V. (ExperimentalRaumfahrt-InteressenGemeinschaft) bietet Studierenden und Lehrenden der TU Braunschweig die Möglichkeit, in Eigenregie Raketen zu bauen, Kleinsatelliten zu entwickeln, Rover-Demonstratoren zur Erkundung fremder Planeten zu konstruieren und somit der Faszination Raumfahrt auf den Grund zu gehen.

Alexander Lambrecht, Moritz Förster und Hanna Gottwald sind Teil der studentischen Vereinigung ERIG e.V. Bildnachweis: Hannah Kreß/TU Braunschweig

Ein bisschen wie ein Geheimlabor wirken die bunkerartigen Kellerräume des Instituts für Raumfahrtsysteme in der Hermann-Blenk-Straße 23 am Braunschweiger Forschungsflughafen. An den kahlen Wänden, zwischen Neonröhren und Betonboden, hängen und stehen die verschiedenartigsten Raketen. Jede von ihnen erzählt ihre eigene Geschichte. Da ist zum Beispiel das Modell „FAUST“, eine Hybridrakete, die mit Schallgeschwindigkeit knapp sechs Kilometer hochflog. Oder „Rhea“, die beim Start wegen eines Elektronikproblems Spitze und Fallschirm verlor und trotzdem einen Geschwindigkeitsrekord knackte. Am Eingang lehnt ein besonders großes Exemplar, eine Heißwasserrakete aus dem Jahr 1997. Damit hat alles angefangen.

So imposant die Sammlung auch aussieht – all diese Raketen gehören zu keiner großen Raumfahrtagentur, sondern wurden von Studierenden der studentischen Vereinigung ERIG e.V. selbst gebaut. Ziel der Initiative ist es, Studierenden die Möglichkeit zu geben, theoretische Vorlesungsinhalte im Bereich der Raumfahrt praktisch umzusetzen, sich mit gleichgesinnten Raumfahrt-Enthusiasten auszutauschen und sich dabei persönlich weiterzuentwickeln. Während einige Raketen von einzelnen Vereinsmitgliedern gebaut werden, ist der Großteil der Raketen Teamarbeit, aufgeteilt in verschiedene Teilgruppen. Die eine baut den Raketenmotor, eine andere die Flugcomputer, wieder eine andere konstruiert den Fallschirm und die Raketenstruktur.

Alles wird selbst gebaut

Ein paar Räume weiter, dort wo Drehbänke herumstehen und sich Rohre und Kabel unter den Neonröhren stapeln, entstehen die Einzelteile dafür. An die Hauptwerkstatt grenzt der Laminierraum an, hier werden aus Kohle- und Glasfasern die Raketenrohre hergestellt. Vakuuminfusion nennt sich das Verfahren. „Bis auf besondere Einkaufsteile wie Kameras oder spezielle Motoren baut die ERIG alles selbst“, sagt ERIG-Sprecher Moritz Förster, der sich seit zwei Jahren in der Vereinigung engagiert.

Jedes halbe Jahr lassen die Mitglieder der ERIG ihre Raketen starten. Raketen, die bis zu 600 Meter hochfliegen, werden in Deutschland gestartet. Für größere Raketentests fährt das Team auf ein Militärgelände in Polen, nach Kiruna in Nordschweden oder zu Wettbewerben wie der European Rocketry Challenge nach Portugal. „Manchmal misslingen uns auch Raketenstarts“, sagt Förster. Dann müssen die Raketen oft von mehreren Personen aus dem Boden gezogen werden. „Wir nennen das dann liebevoll Spatenbergung.“ Auf den Namen kam das Team, als es feststellte, dass ein Spaten eines der wichtigsten Werkzeuge ist, um abgestürzte Raketen zu bergen.

Zahlreiche Raketen sind in fast 30 Jahren Geschichte der ERIG in den Kellerräumen des Instituts für Raumfahrtsysteme gebaut worden. Bildnachweis: ERIG e.V./TU Braunschweig

Missglückte Raketenstarts werden mittels "Spatenbergung" wieder ausgegraben. Bildnachweis: ERIG e.V./TU Braunschweig

Der selbstgebaute ORTHOS-Rover auf der European Rover Challenge 2023. Bildnachweis: ERIG e.V./TU Braunschweig

Die „Wall of Shame“. Bildnachweis: ERIG e.V./TU Braunschweig

Verschiedene Höhenforschungsprojekte

Doch die ERIG baut nicht nur Raketen. Im größten der Kellerräume – zwischen Tischen, Sofas und Süßigkeitenschränken – entstehen die Höhenforschungsprojekte der ERIG, also Experimentierprojekte, die im Weltraum Anwendung finden können. Dazu gehört das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geförderte Kleinsatellitenprojekt iLOOP. Ziel des Projekts ist es, einen 3D-Drucker für den Weltraum zu entwickeln. Damit könnten in Zukunft Strukturen im All hergestellt werden, die den Transport von der Erde ins All nicht überstehen würden oder deren Volumen die Nutzlast der Rakete übersteigt. Anfang Juli 2024 haben die Studierenden in Zusammenarbeit mit dem Institut für Raumfahrtsysteme dazu ein Paper verfasst, das im Herbst auf einer ESA-Konferenz in den Niederlanden vorgestellt werden soll. „Die Chance, während des Studiums eine eigene, voll finanzierte Arbeit zu schreiben, ohne den Druck, immer alles sofort richtig machen zu müssen, das bekommt man in keinem Praktikum, in keiner Vorlesung, nur bei der ERIG“, sagt Moritz Förster, für den iLOOP das persönliche Herzensprojekt ist.

Ein weiteres erfolgreiches Projekt, das hier umgesetzt wurde, ist das REXUS-Programm des DLR. Das Programm bietet europäischen Studierenden die einzigartige Möglichkeit, bereits während ihres Studiums in knapp 18 Monaten ein komplettes Raumfahrtprojekt durchzuführen und Einblicke in alle Aspekte einer Mission zu erhalten. Die Teilnehmer*innen der ERIG konnten im März ihre dritte REXUS-Mission erfolgreich abschließen und bewerben sich aktuell für die vierte.

Mit eigenem Rover über eine künstliche Mars-Landschaft

Im Raum der Höhenforschungsexperimente fällt außerdem der Rover ORTHOS auf, dessen runde Spitze von einem kleinen Elch aus Filz gekrönt wird. Es handelt sich um ein Bastlerprojekt, das den Studierenden die Möglichkeit bietet, das multidisziplinäre Gebiet der Robotik durch den Bau eines Rover-Demonstrators praktisch zu erfahren und an der European Rover Challenge (ERC) teilzunehmen. Die ERC ist ein internationaler Wettbewerb in Polen, bei dem die Teams den Rover über eine Nachbildung der Marslandschaft steuern und dabei verschiedene Aufgaben lösen müssen. Das Team hat bereits dreimal daran teilgenommen, in mehreren Unterkategorien gewonnen und 2020 sogar den Gesamtsieg geholt. Derzeit arbeiten die Mitglieder dieser Teilgruppe daran, den Rover für die diesjährige Challenge im September weiter zu verbessern.

Alle Fachbereiche sind willkommen

Der hintere Teil des großen Raumes ist gemütlich mit Sofas eingerichtet. Hier ist genügend Platz, um sich auszutauschen und Zeit mit den anderen Mitgliedern zu verbringen. Außerdem treffen sich die rund 25 Mitglieder jeden Dienstagabend um 18 Uhr zu einem gemeinsamen Arbeitstreffen im angrenzenden Versammlungsraum. Dort werden Vereinsangelegenheiten besprochen, Ausgaben abgestimmt und neue Gesichter begrüßt. Wer mitmachen will, kann einfach vorbeischauen, sagt Moritz Förster. ERIG ist offen für Studierende und Lehrende aller Fachrichtungen und Semester. Vorkenntnisse seien nicht erforderlich, nur Spaß und Motivation an der Raumfahrt.

Gesammelte Bruchstücke

An einer der Ziegelwände neben den Sofas hängt an einer weißen Sperrholztafel ein Sammelsurium von Blechteilen. „Wall of Shame“ ist in großen schwarzen Buchstaben darübergeschrieben. Es sind gesammelte Bruchstücke, hauptsächlich vom Rover. Teile, die nicht funktioniert haben. Die Wand steht für etwas, das die ERIG ausmacht: „Dass nicht immer alles sofort klappen muss, dass wir Fehler machen und Dinge ausprobieren dürfen“, erzählt Moritz Förster. „Nicht die Leistung steht an erster Stelle, sondern die Freude am Tüfteln. Daran, aus der Theorie etwas Praktisches entstehen zu lassen und die Begeisterung für die Raumfahrt zu teilen.“