„Es gibt keine Silver Bullet, die das Klima rettet“ Prof. Jens Friedrichs über die Forschung zur nachhaltigen Luftfahrt im SE2A-Cluster
Das Exzellenzcluster „Nachhaltige und energieeffiziente Luftfahrtsysteme – SE2A“ hat das Ziel, die Grundlagen für eine Transformation im Luftverkehrssystem zu schaffen, um Emissionen deutlich zu reduzieren. Wir haben mit Professor Jens Friedrichs, Cluster-Sprecher und Leiter des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen an der TU Braunschweig, gesprochen: Welche Lösungen zeichnen sich ab und wie kommt das Cluster international an?
Was sind aktuell die größten Herausforderungen, vor denen das Cluster steht?
Der globale Luftverkehr hat inzwischen das Vor-COVID-Niveau erreicht. David Calhoun, CEO des amerikanischen Flugzeugbauers BOEING, ging in seinen strategischen Planungen von einer Erholung des Luftverkehrs ab 2027 aus. Wir haben also das Niveau von 2019 vier Jahre eher erreicht. Das macht meiner Ansicht nach deutlich, wie groß das Moment ist, die Luftfahrt in Richtung Nachhaltigkeit bewegen zu müssen. Meine Beobachtung ist: Offensichtlich regelt das Verbraucherbewusstsein nicht die Nachfrage. Es gibt sicher den Anspruch zu mehr Nachhaltigkeit, aber zu wenig Angebote.
Die größte Herausforderung aktuell ist, dass die Zeit extrem drängt. Wenn wir ab 2050 emissionsfrei fliegen wollen (laut einer Selbstverpflichtung der International Air Transport Association, IATA), haben wir nur noch 25 Jahre. Die neuen Technologien müssen in den nächsten fünf, höchstens zehn Jahren fertig werden, damit sie eine Chance haben, in den Markt zu kommen.
Im Cluster sind wir aus der Phase der breiten Grundlagenforschung zu den verschiedenen Treibstoffkandidaten in die nächste Phase der Down-Selection übergegangen: Wir forschen nun weiter an Sustainable Aviation Fuels (SAF), Wasserstoff-Antrieben und am batterieelektrischen Fliegen sowie natürlich der Frage, wie die optimalen Flugzeuge und die Verkehrsführung dafür aussehen müssen.
Sie sind mit dem Cluster voll am Puls der Zeit. Wie denken Sie das Clusterthema weiter, auch mit Blick auf eine Fortsetzung ab 2025?
Wir werden noch stärker unsere Bewertungen hinsichtlich von Klimawirkungen machen. Vor fünf Jahren stand noch sehr der Carbon Food Print im Mittelpunkt des Interesses. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht nur um CO2-Emissionen geht, sondern insgesamt um Klimaeffekte. Für das Ziel der Klimaneutralität müssen wir sehr viel mehr im Auge behalten als den reinen CO2-Ausstoss. Auch Wasseremissionen von Wasserstoff-Antrieben können schädlich sein. Welche Auswirkungen hat zum Beispiel das Wasser, das von Flugzeugen freigesetzt wird, im klimatologischen Sinne? Um das zu untersuchen, bauen wir dazu gerade eine Projektgruppe mit Nachwuchswissenschaftler*innen auf.
Wir werden uns außerdem noch intensiver mit der Transition des Luftfahrtsystems auseinandersetzen. Wie soll das Luftfahrtsystem in 25 Jahren aussehen? Es geht um die Integrierbarkeit von neuen Lösungen in bestehende Flotten, ein graduelles Austauschen von gegenwärtigen Technologien gegen nachhaltigere – sozusagen ein Rollout im laufenden Betrieb. Für Fluggesellschaften, Flughäfen und die gesamte Infrastruktur ist der Austausch eines herkömmlichen Flugzeugs gegen ein Wasserstoff-Flugzeug eine Riesenrevolution. Die Auswirkungen sind gigantisch. Die Grundlagen für diesen nahtlosen Übergang müssen wir deutlicher in den Fokus setzen.
Der Druck auf die Luftfahrtbranche wird immer größer, nachhaltige Technologien einzuführen. Bekommen Sie den auch zu spüren?
Auf uns kommen Flugzeug- und Triebwerkshersteller zu. Bei ihnen merkt man, dass ein sehr großer Druck besteht: Es muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Technologien in zehn Jahren in die Flugerprobung gehen soll. Das beobachten wir natürlich auch in Gesprächen mit den industriellen Kontakten.
Auch von politischer Seite besteht Beratungsbedarf, vor allem von Gremienvertreter*innen. Wir hatten gerade mehrere Workshops mit dem „Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (ABFTA)“ im Bundestag. Hier ging es um die Frage, welche politischen Rahmenbedingungen für Regel- und Anreizsysteme im Bereich der Klimaneutralität geschaffen werden müssen. Klar ist: Es gibt keine „Silver Bullet“, die das Klima rettet – es gibt verschiedene Technologien, die sich für verschiedene Segmente jeweils am besten eignen.
Die Herausforderung liegt also nicht nur im eindimensionalen Wandel der Luftfahrt. Für Hersteller heißt es, dass sie auf mehrere Technologien setzen müssen (SAF, Wasserstoff, elektrische Energie). Im Vergleich zu heute haben sie also den dreifachen Investitionsaufwand. Das betrifft natürlich auch die Rahmenbedingungen.
Was wird sich für Passagier*innen ändern?
Die absoluten Superbilligflüge – zum Beispiel von einem innerdeutschen Flughafen an eine Mittelmeer-Touristenlocation – gibt es nicht mehr. Das waren Kabinenauffüllpreise. Ich halte das für eine vernünftige Entwicklung. Wie stark sich die Preise verändern, hängt davon ab, wie stark die Nutzungsbereitschaft in Richtung Nachhaltigkeit umschaltet.
Allgemein gesagt wird es keine radikalen Änderungen für Passagier*innen geben. Was aber zum Beispiel eine Rolle spielen wird, ist die Frage, ob es noch Langstreckenflüge (mehr als 8.000 km), die als besonders umweltbelastend gelten, geben wird. Das bedeutet für Fluggäste, dass sie häufiger umsteigen müssten.
Ist absehbar, welche Lösungen oder Szenarien, insbesondere bei den Antrieben, in den nächsten Jahren in Frage kommen?
Ganz klar, Sustainable Aviation Fuels (SAF) wird die große Technologie sein, zumindest als „Brückentechnologie“, bis wir neue Technologien fertiggestellt haben. Auf der Langstrecke wird SAF langfristig die Lösung bleiben; hier muss man die Produktionsroute klären, also welche Ausgangsrohstoffe und Produktionswege im nachhaltigen Sinne die besten sind. SAF ist ein Ersatz für fossilen Flugzeugkraftstoff und wird aus biologischen Rohstoffen (Zucker, Altfette, erneuerbare Biomasse, Algen) hergestellt oder synthetisch produziert, wobei letzteres mit zusätzlichem CO2 aus der Atmosphäre die nachhaltigste Variante ist – aber leider auch die teuerste.
Der zweite Energieträger ist Wasserstoff – entweder in der direkten Verbrennung in der Gasturbine oder in Form einer Brennstoffzelle. Diese beiden Varianten werden langfristig zusammen mit dem SAF mindestens 85 Prozent des Transportvolumens abdecken. Die Elektrofliegerei (batterieelektrisch) wird mittel- bis langfristig auch mit sehr optimistischen Annahmen nicht mehr als 10 bis 15 Prozent abdecken. Das Problem beim Batteriebetrieb ist, dass man kurze Strecken oder geringe Lasten oder sogar beides zusammen in Kauf nehmen muss.
Im Cluster schauen Sie sich das gesamte Flugverkehrssystem an, wobei Sie von einem radikalen Umbau des Systems ausgehen, um es fit für die Zukunft zu machen. Zeichnet sich bereits ab, wo welche Maßnahmen als erstes umgesetzt werden sollten?
Zum Beispiel andere Routenführungen. Hierbei passt man die Routen so an, dass die klimatologischen Bedingungen günstiger und die Auswirkungen auf das Klima entsprechend geringer sind – und das bei denselben Emissionen. So werden sensible atmosphärische Gebiete umflogen und die Gefahr einer Wolkenbildung reduziert. Das kann technisch sofort umgesetzt werden. Tieferes Fliegen, kürzere Routen und geringe Geschwindigkeiten gehen allerdings zu Lasten von vorhersagbaren Reisezeiten und des Reisekomforts. Das erfordert mehr Flexibilität von den Passagieren. Begrenzt ist die Umsetzung der klimatologisch-optimalen Routenwahl durch die Komplexität der Anschlüsse und Taktraten auf den Flughäfen.
Ein weiterer Punkt wäre, die Produktion von Sustainable Aviation Fuels (SAF) global zu steigern. Heute ist SAF immer noch teurer als Kerosin. Hier ist Regulierung gefragt, damit es Anreize für die saubere Produktion gibt.
Ihre Arbeit ist stark international ausgerichtet. So richten Sie 2023 die Summer School for Advanced Sustainable Aviation Technologies aus, in der auch die Expertise von SE2A gefragt ist. Was steht auf dem Programm?
Wir haben Studierende aus der ganzen Welt eingeladen, um die SE2A-Ergebnisse kennenzulernen und von 25 Expert*innen, u.a. von AIRBUS, das neueste Wissen im Bereich des nachhaltigen Fliegens zu vermitteln. In einem zweiten Schritt werden die Studierenden ihr Reise- und Nachhaltigkeitsszenario von zukünftiger Luftfahrt in Workshops präsentieren. Wir haben Teilnehmer*innen u.a. aus Indien, England und Dubai – das wird bestimmt eine schöne Veranstaltung!
Wie ist allgemein die internationale Wahrnehmung des Clusters?
Wir sehen das an den intensiven Kooperationen mit unseren Partnern, vor allem bei den aktuellen Gesprächen mit Kolleg*innen in Toulouse (Frankreich), aber auch Delft (Niederlande), Cambridge und London (England). In Europa sind wir eine feste Größe, die Wahrnehmung des Exzellenzclusters ist sehr prominent. In Übersee haben wir gute Kontakte in die Community und sehr starken Austausch. Bemerkenswert ist, dass nicht überall die Einsicht in die Notwendigkeit und die Radikalität im Wandel der Luftfahrt so klar ist, wie wir es in Deutschland und Europa sehen.
Gibt es Schwierigkeiten, Ihre Ideen und Konzepte Unternehmen und der Politik zu vermitteln?
Im SE2A-Vorbereitungsprojekt „Energiewende der Luftfahrt“ haben uns einige gefragt, wozu wir eine Energiewende in der Luftfahrt brauchen würden. Das ist sechs Jahre her. So etwas fragt heute keiner mehr. Zu Beginn von SE2A wurden wir von manchen Beobachter*innen als zu radikal angesehen, im Sinne, dass wir zu viel wollen. Aber auch das ist heute kein Thema mehr. Wir stoßen bei Unternehmen und in Politik immer auf offene Ohren.
Gibt es Herausragendes aus der Sicht der Gleichstellung zu berichten?
In der Luft- und Raumfahrttechnik haben wir zwei neue Professorinnen: Prof. Simona Silvestri (Institut für Raumfahrtsysteme) und Prof. Frederica Ferraro (Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen). Auf dieser Ebene ist das ein echter Sprung nach vorne mit zwei weiteren, hochengagierten Expertinnen. Auch der Studentinnenclub changING läuft prima. Wir sind beim Thema Anwerbung von weiblichen Studierenden sehr gut und haben sogar eine höhere Frauenquote als der Maschinenbau.
Auf welche Highlights im Exzellenzcluster schauen Sie zurück?
Wir sind stolz darauf, dass wir das EAGLE finanziert bekommen haben. Das gemeinsame Großgerät von Leibniz Universität Hannover und TU Braunschweig mit einem Volumen von drei Millionen Euro wird gerade aufgebaut. EAGLE ist ein ganz wesentlicher Meilenstein und ermöglicht, uns die Modelle und theoretischen Erkenntnisse auch in der Praxis überprüfen können.
Zu nennen ist auch das Whitepaper „Accelerating the path towards carbon-free aviation”, das zusammen mit europäischen Partnern und SE2A entstanden ist. Das ist ein wertiges Produkt, da es rein aus der wissenschaftlichen Perspektiven spricht und keiner Industrie-Roadmap folgt. Während es hier um Flugzeuge und Antriebsystem geht, wird sich das kommende Whitepaper auf Flugrouten und Luftverkehrsführung konzentrieren.
Welche Meilensteine stehen noch bevor?
Das größte Vorhaben für die nächsten 13 Monate wird der Folgeantrag für das Exzellenzcluster sein. Bis zum 24. August 2024 müssen wir den Antrag einreichen. Parallel dazu bauen wir die Nachwuchsgruppen auf.
In diesem Jahr werden wir auf unserer jährlichen Cluster-Konferenz Ideen für den Folgeantrag zusammentragen. Natürlich wird es auch eine Cluster-Konferenz zum Abschluss geben, auf der die Ergebnisse präsentiert werden. 2025 wird in Braunschweig außerdem die Nationale Luftfahrtkonferenz (NLK) stattfinden, den wir zusammen mit dem DLR und dem Forschungsflughafen austragen.