Erinnern und Mahnen unverzichtbar TU Braunschweig gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus
Weltweit wird am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Auch in diesem Jahr fand an der Technischen Universität Braunschweig auf Einladung des AStA eine hochschulweite Gedenkveranstaltung statt, um ein Zeichen gegen das Vergessen und des Mahnens zu setzen. TU-Präsidentin Angela Ittel und Steffen Dohmen vom Referat für Antifaschismus und Antirassismus des AStA legten mit TU-Angehörigen an der Stolperschwelle vor dem Altgebäude Blumen nieder.
In ihrer Ansprache gedachte die Präsidentin in diesem Jahr insbesondere an die Verfolgung von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und anderen Minderheiten. Sie unterstrich, dass die TU Braunschweig als Universität ein weltoffener und inklusiver Ort für alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechterzugehörigkeit ist.
Steffen Dohmen wies in seiner Rede daraufhin, dass wir beim heutigen Gedenken der Opfer von damals, auch allen Opfern von rechter Gewalt nach 1945, gedenken sollten, da nationalsozialistisches Gedankengut nach 1945 nicht einfach aufgehört habe zu existieren.
Die Rede von TU-Präsidentin Angela Ittel
„Liebe Mitglieder und Angehörige der Universität, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder des AStA-Vorstands und des Referats für Antifaschismus und Antirassismus des AStA.
Ich bin Ihrer Einladung, liebe Studierendenvertreter*innen, den diesjährigen bundesweiten Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus auch an der TU Braunschweig zu begehen, sehr gern nachgekommen. Mit der Kranzniederlegung am 27. Januar vor der Freitreppe zu unserem Altgebäude pflegen wir die Erinnerungskultur an Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Geschlechts diskriminiert und verfolgt wurden. Wir erinnern uns auch an über 50 Angehörige unserer Universität, die durch den Nationalsozialismus von der Hochschule vertrieben, entlassen oder ermordet wurden.
Heute, nach so vielen Jahren nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, leben wir in einer demokratischen Gesellschaft. Einer der wichtigsten Grundsätze unseres Grundgesetzes lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Menschenrechte und individuelle Freiheiten bilden die Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung. Und doch müssen wir leider festhalten, dass Diskriminierung und Diffamierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder anderer Eigenschaften in unserer Gesellschaft immer noch stattfinden.
Vor allem möchte ich heute uns alle auf die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechterzugehörigkeit aufmerksam machen. Im Nationalsozialismus waren sie eine der meist verfolgten Minderheiten. Mit der Verschärfung des Strafgesetzbuches 1935 wurde eine massive Verfolgung von Homosexuellen eingeleitet. 1936 wurde die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“, eingerichtet. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung wurden damals rund 90.000 Männer durch die Gestapo erfasst und 50.000 Männer aufgrund ihrer Homosexualität zu Freiheitsstrafen verurteilt. Menschen wurden verfolgt, entwürdigt, körperlich misshandelt. Allein durch Misshandlungen wie zum Beispiel medizinische Versuche kamen rund 60 Prozent der homosexuellen Häftlinge ums Leben.
Diskriminierung und Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung noch aus irgendeinem anderen Grund haben keinen Platz in unserer Gesellschaft und an unserer Universität. Solange sich nicht alle Menschen verstanden und akzeptiert fühlen, müssen wir diese Themen sichtbar machen. Ich begrüße die Entscheidung des Deutschen Bundestages, die Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus in den Mittelpunkt der diesjährigen Gedenkveranstaltungen im Parlament zu setzen.
Wir als Universität sind ein weltoffener und inklusiver Ort für alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechterzugehörigkeit. Förderung der Diversität und der Chancengleichheit sind zentrale Querschnittsthemen in der Entwicklungsstrategie unserer Universität. Seit letztem Jahr feiern wir die Vielfalt unserer Universitätsmitglieder bei dem jährlichen Diversity Day. Das Fokus Thema dieses Jahres ist „queerfreundliche TU Braunschweig“. Wir möchten den Menschen aus der LGBTQ+ Community eine Stimme geben und unsere Unterstützung zum Ausdruck bringen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Universität und als Gesellschaft gemeinsam bestimmen, wie wir miteinander umgehen und leben wollen. Hochschulen haben die Aufgabe gegen Intoleranz, Diffamierung und Ausgrenzung von Minderheiten einzutreten und Demokratie zu leben. Ich möchte alle TU-Angehörige ermutigen, gemeinsam eine weltoffene und inklusive TU Braunschweig durch alle Bereiche unserer Universität hinweg zu gestalten.“
Die Rede von Steffen Dohmen vom Referat für Antifaschismus und Antirassismus des AStA
Heute vor 78 Jahren, am 27.01.1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. In Auschwitz wurden ca. 1,1 Mio. jüdische Menschen, 140.000 polnische Menschen und 23.000 Sinti:zze und Rom:nja ermordet. Auschwitz steht wie kein anderer Ort für den nationalsozialistischen Terror und das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte.
Auschwitz ist ein Mahnmal dafür, wohin Faschismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus führen. Oder vielmehr sollte es ein Mahnmal dafür sein. Denn heute, 90 Jahre nach der Machtübergabe an die Nazis, sind Rechtsextreme immer weiter auf dem Vormarsch. Sie sitzen wieder in den Parlamenten dieser Republik und sie sind schon lange wieder für Mord und Terror verantwortlich. Seien es die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen in den 90er Jahren oder die Terroranschläge von Halle, Hanau und die NSU-Morden. Rechte Gewalt und rechter Terror sind längst wieder allgegenwärtig. Wenn wir also heute den Opfern von damals gedenken, gedenken wir auch allen Opfern von rechter Gewalt nach 1945, denn nationalsozialistisches Gedankengut hat nach 1945 nicht einfach aufgehört zu existieren. Vielmehr lebte und lebt es in den Köpfen vieler Menschen weiter fort. Doch das Aufbegehren aus Politik und Gesellschaft bleibt und blieb meisten aus.
Vielmehr sorgten und sorgen führende Politiker:innen, von vermeintlich demokratischen Parteien, mit ihren Aussagen dafür, dass der Hass immer weiter befeuert wird und immer tiefer in die Gesellschaft eindringen kann. Gleichzeitig lassen der Staat und seine vermeintlichen Sicherheitsorgane Betroffene und Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt alleine und blockieren die Aufklärung von rechten und rassistischen Vorfällen in ihren eigenen Reihen.
Angesichts eines Staates, welcher seiner Verantwortung immer weniger gerecht wird, liegt es an uns, der Zivilgesellschaft, den Satz „Ihr seid nicht dafür verantwortlich, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht dafür schon“, des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer endlich mit Leben zu füllen.
Wir dürfen deshalb niemals aufhören, gegen Nazis auf die Straßen zu gehen. Wir dürfen niemals aufhören, uns für die Aufnahme von Geflüchteten einzusetzen. Wir dürfen es niemals hinnehmen, wenn Polizei und Staat die Aufklärung von Verbrechen in ihren eigenen Reihen verweigern. Wir dürfen niemals aufhören, unsere Stimme zu erheben und wir dürfen niemals aufhören, uns dem rechten Hass entgegenzustellen. Es braucht eine aktive Zivilgesellschaft, die sich der Hetze und der Gewalt jeden Tag aufs Neue gemeinsam widersetzt.
Wir gedenken heute 6 Millionen jüdischen Menschen, 1,8 Millionen nichtjüdischen polnischen Zivilist*innen, 5,7 Millionen sowjetischen Zivilist*innen, 312.000 serbischen Zivilist*innen, 250.000 Menschen mit Behinderungen, 250.000 Sinti:zze und Rom:nja, Tausenden Angehörige der LGBTQ* Community und der ungezählten Anzahl an politischen Gegner:innen und Widerstandskämpfer:innen, die dem Holocaust und dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Und wir Gedenken heute allen Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in den Jahren nach 1945. Das Gedenken an die Opfer von damals und heute und das Bewusstmachen dieser Verbrechen ist essenziell, denn wie sagte der Holocaust-Überlebende Primo Levi bereits 1986: ‚Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen´.
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“