Eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe Die TU Braunschweig auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit
Um das deutsche Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, wird es nicht weniger als eine komplette Wende geben müssen – vor allem in den Bereichen Energie und Verkehr. Überall dort, wo gerade Erdgas, Öl oder Kohle verbraucht wird, werden wir in naher Zukunft auf nachhaltige Lösungen zurückgreifen. Gerade in Zeiten steigender Energiekosten gewinnt das Thema zusätzlich an Relevanz. Die TU Braunschweig muss hier auch ihren Teil leisten. Zum einen durch die Ausbildung von qualifizierten Fachkräften, die die Grundlagen für die Klimaneutralität schaffen. Zum anderen muss sich auch die TU selbst in Lehre, Forschung und Verwaltung nachhaltig und umweltbewusst aufstellen. Wie weit ist die Universität auf diesem Weg? Wir haben uns dazu auf dem Campus umgeschaut und in der AG Nachhaltigkeit, am elenia Institut für Hochspannungstechnik und Energiesysteme sowie im Gebäudemanagement nachgefragt.
„Nachhaltigkeit ist ein extrem vielfältiges Gebiet an der TU Braunschweig“, sagt Professor Wolfgang Durner, Leiter der AG Nachhaltigkeit, mit Blick auf die vielen verschiedenen Lehrveranstaltungen, Projekte und Initiativen. In der Tat ist es manchmal nicht leicht, in der Fülle den Überblick über das Engagement zu behalten. Zentraler Knotenpunkt zwischen Präsidium, Verwaltung, Lehrenden und Studierenden ist hier die AG Nachhaltigkeit. Deren Ziel ist es, nicht nur den Universitätsbetrieb nachhaltiger zu gestalten und das Thema im Universitätsleben zu verankern, sondern auch dauerhafte Strukturen dafür in den Entscheidungsebenen zu etablieren. „Ohne feste Verankerungen in zuständigen Gremien besteht immer die Gefahr, dass das Thema wieder aus dem Bewusstsein verschwindet“, erklärt Durner.
In der Arbeitsgemeinschaft engagieren sich deswegen Vertreter*innen aller Fakultäten, Statusgruppen und Geschäftsbereiche. Unterstützt wird die AG zusätzlich vom Green Office, das als Nachhaltigkeitsbüro das Thema im Campusleben und in der Lehre präsenter machen möchte. Besonders sichtbar wird das Wirken der AG Nachhaltigkeit und des Green Office in den Zielen und Werten der TU. Hier wurden Nachhaltigkeit und die 17 „Sustainable Development Goals“ verankert. Dort heißt es: „Die TU Braunschweig setzt sich zum Ziel, ihre Entscheidungen und Prozesse in allen Bereichen des Betriebs, der Forschung und der Lehre so zu steuern, dass ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit höchste Priorität hat. Dabei kommen dem Klimaschutz und dem sorgsamen Umgang mit Energie und den natürlichen Ressourcen ein besonderes Gewicht zu.“ Im Übrigen hat das Green Office, unterstützt durch die AG Nachhaltigkeit, in Zusammenarbeit mit dem AStA und Students for Future, mit der Vorlesungsreihe „TU for Future“ eine öffentlichkeitswirksame Plattform zum Austausch über Nachhaltigkeitsthemen geschaffen. In Form eines Vortrags präsentieren dort Wissenschaftler*innen aus ganz Deutschland ihre Forschung und diskutieren sie in den beiden größten Hörsälen der Universität mit Studierenden und der interessierten Öffentlichkeit.
Fachkräfte für die Klimaneutralität
Auch über „TU for Future“ hinaus wird in der Lehre der Trend hin zu Nachhaltigkeitsthemen deutlich: Mehr als 30 Lehrveranstaltungen, quer über alle Fakultäten verteilt, beschäftigen sich aktuell mit Fragen zu Umweltschutz, ressourcenschonendem Verhalten und Co. Einige Studiengänge wie Umweltnaturwissenschaften, Umweltingenieurwesen, Nachhaltige Energietechnik und Sustainable Engineering of Products and Processes sind vollständig auf Nachhaltigkeitsfragen ausgerichtet. Und die Zahl der Nachhaltigkeitsstudiengänge wächst weiter. Im Wintersemester 2022/23 startet beispielsweise der Bachelorstudiengang „Nachhaltige Energiesysteme und Elektromobilität“, kurz NEEMO.
„Der Studiengang NEEMO wurde ins Leben gerufen, weil wir gemerkt haben, dass Kompetenzen in Nachhaltigkeit und Umweltschutz für Studierende in der Ausbildung immer wichtiger werden“, sagt Professor Bernd Engel, Leiter des elenia Instituts für Hochspannungstechnik und Energiesysteme. Der Studiengang setze genau am politischen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 an. „Wenn dieses Ziel erreicht werden soll, braucht es gut ausgebildete Fachkräfte, die nicht nur die technischen Grundlagen schaffen, sondern auch geübt darin sind, ihre Forschungs- und Entwicklungsergebnisse mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.“ Dazu braucht es naturwissenschaftlichen Grundlagen beispielsweise in der Elektrochemie und der Thermodynamik, aber als Basis auch eine solide Elektrotechnikausbildung, um sich im Studiengang mit den Herausforderungen der Energie-, Klima-, und Verkehrswende beschäftigen zu können: Wie kann etwa eine Stromversorgung ohne fossile Brennstoffe aussehen? Wird es eher Batterie- oder Brennstoffzellenfahrzeuge bei allen möglichen Anwendungen geben? Wie schaffen wir die nötige Infrastruktur für E-Mobilität? Wie ersetzen wir die Öl- und Gasheizungen? Wie begegnen wir dem erhöhten Strombedarf, wenn in Zukunft viel mehr in Haushalten und in der Industrie elektrifiziert sein wird?
Infrastruktur für die Energiewende
Diese Fragestellungen sind auch höchstrelevant für die Forschung am elenia Institut für Hochspannungstechnik und Energiesysteme. „Fossile Brennstoffe haben definitiv keine Zukunft“, ist sich Professor Engel sicher. Am elenia wird deshalb unter anderem daran geforscht, wie die Stromnetze stabil betrieben werden können, wenn die konventionellen Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe wie Kohle und Gas zumindest zeitweise komplett abgeschaltet werden, weil Photovoltaik und Wind zu Spitzenzeiten vollständig die Stromerzeugung übernehmen. Dann muss die Spannung und die Frequenz – in Europa 50 Hertz – im Stromnetz zukünftig von den erneuerbaren Energien über sogenannte Systemdienstleistungen, also Funktionen des Überwachens, Ausbalancierens und Reparierens der Energieinfrastruktur, geregelt werden. Andere Forschungsprojekte beschäftigen sich mit der Mehrfachnutzung von Energiespeichern in Wohnhäusern und der Integration von Wasserstofftechnologien wie Elektrolyse- und Brennstoffzellenanlagen in das Stromnetz. Viele der Ansätze am elenia könnten in zwei bis fünf Jahren umgesetzt werden, schätzt Professor Engel.
Auch die dezentrale Energieversorgung über erneuerbare Energien spielt in den Forschungsvorhaben eine große Rolle. Wind und Sonne sind regionale Ressourcen, die durch Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen zur Stromgewinnung genutzt werden können. In der Stadt der Zukunft könnte die Energiegewinnung und -Speicherung so direkt in den Wohnquartieren stattfinden. Im Forschungsschwerpunkt „Stadt der Zukunft“ forscht das elenia gemeinsam mit dem Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (IBEA) gegenwärtig unter anderem an der Speicherung von selbst erzeugter Energie in Lehmwänden. Professor Engel wünscht sich, dass durch die Möglichkeiten lokaler Energieerzeugung und –speicherung ein größeres Klima- und Umweltbewusstsein bei den Bewohner*innen entsteht und sie so daran mitwirken, ihr Quartier nachhaltig und klimaneutral zu gestalten. Das hätte auch eine soziale Nachhaltigkeitskomponente. Die Menschen vor Ort könnten sich so an Energiegemeinschaften beteiligen und ihren selbst erzeugten Strom nicht nur speichern, sondern sich gegenseitig auch im Einklang mit EU-Richtlinien verkaufen, prognostiziert Professor Engel.
Einsparpotenziale in der Gebäudetechnik
Photovoltaikanlagen sind bereits seit längerem ein geeignetes Mittel zur Stromgewinnung. Laut Henning Hartmann, Teamleiter im Bereich Energiemanagement an der TU Braunschweig, sind derzeit insgesamt zwölf Photovoltaikanlagen mit einer Spitzenleistung von rund 841 kW auf den Dächern der Universitätsgebäude verbaut. Drei weitere mit einer zusätzlichen Leistung von etwa 183 kW sind für 2022 am Nordcampus geplant. Insgesamt produziert die TU Braunschweig durch ihre Photovoltaikanlangen zukünftig ca. 860.000 kWh im Jahr an Strom selbst. Dieser Ertrag entspricht 2,7% des Gesamtstromverbrauchs der TU. Der Vergleichswert für private Photovoltaikanlagen auf dem Dach eines Ein-Familienhauses liegt gleichzeitig bei etwa 5.000 kWh.
Zwei Drittel der derzeitigen Energiekosten der TU sind Stromkosten. Somit lohnen sich die Photovoltaikanlagen in doppelter Hinsicht. Sie produzieren einerseits Strom aus erneuerbaren Energien und helfen gleichzeitig, Energiekosten einzusparen.
„Ohnehin bestehen die größten baulichen Einsparpotenziale für Energie in der Gebäudetechnik“, so Henning Hartmann weiter. Dementsprechend wird hier immer nach nachhaltigen Lösungen Ausblick gehalten. Kleinere Investitionen, die aber sofort einen Effekt zeigen und sich nach ein bis zwei Jahren amortisieren, sind beispielsweise der Austausch von Umwälzpumpen in Heizungs- und Lüftungsanlagen. Teurer, aber mit größerem Einsparpotenzial, ist hingegen die Modernisierung ganzer Lüftungsanlagen, wie etwa im Biozentrum. Im Bereich der Be- und Entlüftung als energieintensivsten Bereich liegen die Einsparungen so vielfach zwischen mehreren Hunderttausend und Millionen von Euro über die gesamte Betriebsdauer gesehen.
Sparen mit Energiekostenbudgetierung
Im Gebäudemanagement setzt die TU Braunschweig auch auf Energieeinsparungen und nimmt dabei die Nutzer*innen in die Verantwortung. So unterliegt seit 2014 jedes Universitätsgebäude einer sogenannten Energiekostenbudgetierung: Für jedes Gebäude wurde dafür über den Zeitraum von zwei Jahren der Energieverbrauch gemessen und daraus ein Mittelwert gebildet. Als Energiekostenbudget wurden die Energiekosten des Jahres 2012 zur Verfügung gestellt. Anschließend wurde ein Budget berechnet, das jedes Gebäude und damit auch jedes darin untergebrachte Institut für seine Energiekosten zur Verfügung hat. Wird dieses überschritten, muss das Institut die Differenz aus dem eigenen Institutsbudget begleichen. Wird das Budget allerdings nicht vollends ausgereizt, wird das Institut an den Einsparungen beteiligt und erhält die eingesparte Summe als Bonus. Erträge aus baulichen Maßnahmen wie Photovoltaikanlagen werden zudem positiv auf das Energiekostenbudget der TU angerechnet.
Gemeinsam Energie sparen
Der Einfluss der Mitarbeiter*innen an der TU Braunschweig beim Energiesparen ist nicht zu unterschätzen. Gemeinsam mit dem Gebäudemanagement konnten zum Beispiel Regelungen geschaffen werden, um schon durch Verhaltensänderungen im Arbeitsalltag weniger Energie zu verbrauchen. „Im Chemiegebäude am Hagenring konnten durch eine Anpassung des Lüftungskonzepts und damit verbundener Arbeitsabläufe die Energiekosten um 25 Prozent gesenkt werden“, so Hartmann. Statt rund um die Uhr mit voller Leistung zu laufen, werden die Lüftungsanlagen über Nacht gedrosselt. In diesem Zeitraum ist dann zwar keine Arbeit mit Gefahrstoffen zugelassen, doch die Energiekosten des Gebäudes konnten um über 200.000 € pro Jahr gesenkt werden.
Dass Energieeinsparungen zurzeit zwingend notwendig sind, darauf weist Professor Martin Korte, Mitglied des Energiebeirats und Leiter des Instituts für Zoologie, hin. Er ruft jeden einzelnen, nicht nur an der TU Braunschweig, zu umweltbewusstem und energiesparendem Verhalten auf. Andernfalls verfehle man das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz und verliere gleichzeitig die finanzielle Handlungsfähigkeit als Universität aufgrund steigender Energiekosten. Als kurzfristigen Tipp rät Professor Korte, das eigene Verhalten zu reflektieren und hier den Energieverbrauch sinnvoll zu minimieren, etwa durch konsequentes Ausschalten von Rechnern und Beleuchtung, wenn sie nicht in Gebrauch sind. „Aber auch das Erkennen der Routinen der Kolleg*innen und sie freundlich darauf aufmerksam machen, hilft. Es fällt oftmals schwer sich über eigene Routinen klar zu werden, da diese eben unbewusst ablaufen. Da brauchen wir dann die Unterstützung anderer Menschen.“
Weiterhin sind alle Mitarbeiter*innen vom Vizepräsidenten für Personal, Finanzen und Hochschulbau, Dietmar Smyrek, aufgefordert, ihre Ideen und Vorschläge für Einsparmöglichkeiten per Mail an energiesparen@tu-braunschweig.de zu senden. Die Einreichungen werden dann redaktionell bearbeitet und auf einer eigens eingerichteten Website veröffentlicht. Denn so vielfältig die Nachhaltigkeitsbestrebungen an der TU Braunschweig auch sind, eins ist klar: Den Weg zur Klimaneutralität können wir nur gemeinsam gehen.