„Eine der größten Hürden für Long-Covid-Betroffene ist ein fehlender Test“ Professor Dieter Jahn über sein Leben mit Long Covid
Professor Dieter Jahn ist Sprecher des Braunschweiger Zentrums für Systembiologie (BRICS). Als einer der ersten in Braunschweig infizierte er sich im Frühjahr 2020 mit dem Virus SARS-CoV-2. Noch immer hat er mit Symptomen wie dem dauerhaften Erschöpfungssyndrom zu kämpfen – er leidet am Post-Covid-Syndrom. Sind Covid-Symptome vier Wochen nach einer Ansteckung noch vorhanden, spricht man von Long Covid, halten die Symptome zwölf Wochen oder länger an, wird es als Post Covid bezeichnet. Dorothea Hinz hat mit Professor Jahn gesprochen – über die Erkrankung und sein Engagement im Long-Covid-Expertenrat des Landes.
Im Jahr 2020 habe Sie uns von Ihrer Covid-19-Erkrankung erzählt. Damals meinten sie noch, sie seien komplett genesen. Wann haben Sie gemerkt, dass doch Symptome bleiben?
Die Wochen und Monate nach meiner Infektion waren geprägt von permanenter Schlaffheit und Müdigkeit. In meinem Umfeld wurde ich damals von vielen zunächst belächelt: So sei das eben mit über 60 Jahren und außerdem hätte ich doch schon immer gerne geschlafen. Aber ich habe irgendwann gemerkt, dass ich einfach nicht wieder richtig fit werde und sich ein Chronic Fatigue Syndrom entwickelt hatte.
Sie waren schon früh in der Pandemie infiziert, Long Covid damals noch kaum ein Thema. Wann haben Sie die Müdigkeit mit Ihrer Erkrankung in Verbindung gebracht?
Zuerst war es die normale totale Erschöpfung nach einer sehr schweren Infektionskrankheit. Davon habe ich mich relativ schnell erholt, konnte erst nur bis zum Briefkasten, dann zum Supermarkt und schließlich auch wieder längere Strecken laufen. Körperlich war ich eigentlich wieder komplett gesund. Was blieb, war die Müdigkeit. Da war ziemlich schnell klar, dass das eine Folge der Covid-Infektion war.
Was hat Ihnen geholfen? Haben sich Ihre Post-Covid-Symptome verbessert?
Ich nahm damals im Jahr 2020 an einer Long-Covid-Therapie im Rahmen einer Studie der MHH teil, das war wie eine klassische Reha. Aber eine Reha lässt Long-Covid- oder Post-Covid-Symptome nicht verschwinden, die Erschöpfung blieb. Trotzdem hat mir die Therapie geholfen, meine Fitness zu verbessern und zu lernen, worauf ich z. B. bei der Ernährung achten muss. Etwas „Gutes“ hatte die Infektion bei mir auch: Oft stellt sich immunologisch nach einer Covid-Infektion etwas um, das heißt, das Immunsystem wird in irgendeiner Art und Weise umgebaut. Bei mir äußert sich das darin, dass meine vor der Krankheit heftige Pollenallergie verschwunden ist.
Dazu muss man allerdings sagen: Long-Covid-Symptome sind sehr vielfältig; wie lange sie anhalten und ob die Beschwerden wieder verschwinden, ist ganz unterschiedlich. Dementsprechend sind auch die Therapiemaßnahmen ganz verschieden – was einigen Betroffenen hilft, bringt bei anderen gar nichts.
Wie leben Sie heute mit Post Covid?
Ich habe gelernt, mit der Erschöpfung und Müdigkeit zu leben. Ich arbeite um Post Covid herum, das heißt, ich arbeite tagsüber so lange es geht, fahre dann nach Hause und schlafe, und arbeite abends nochmal. Ich habe natürlich das große Glück, dass diese zeitliche Flexibilität in meinem Job meistens möglich ist.
Wie ist denn der aktuelle Stand der Forschung zu Long und Post Covid? Wird auch hier an der TU daran geforscht?
Natürlich sind wir mittlerweile in der Forschung ein ganzes Stück weiter als zum Zeitpunkt meiner Infektion. Trotzdem steht die Wissenschaft in Hinsicht auf Long und Post Covid noch immer vor vielen ungeklärten Fragen. Eine der größten Hürden für Long-Covid-Betroffene in Deutschland ist ein fehlender Test, der die Krankheit eindeutig nachweist. Dafür sind Biomarker nötig, um mit einem gesicherten Nachweis von Long Covid auch neue Therapiemaßnahmen entwickeln zu können. Der Forschungsbedarf ist aufgrund der sehr hohen Zahl an Betroffenen riesig und weltweit laufen etliche Studien zur Diagnose und Behandlung von Long und Post Covid, so auch hier in unserem Forschungsschwerpunkt Engineering for Health an der TU Braunschweig.
Sie sind Mitglied im Long-Covid-Expertenrat des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur. Was ist dort Ihre Aufgabe?
Im Expertenrat, in dem Leute unterschiedlicher Fachgebiete wie (Kinder)ärzt*innen, Virolog*innen, Immunolog*innen oder Krankenkassenvertreter*innen vertreten sind, werden die komplexen Langfristfolgen der Corona-Pandemie interdisziplinär diskutiert und bearbeitet. Meine Aufgabe ist die Vertretung Long-Covid-Betroffener. Ich versuche, mich mit möglichst vielen Betroffenen aus der Bevölkerung auszutauschen und zu vernetzen, dazu habe ich schon bei der Initiierung mehrerer Long-Covid-Selbsthilfegruppen in Niedersachsen mitgewirkt und stehe im regelmäßigen Kontakt mit den Teilnehmenden. So kann ich die Stimmung und Probleme der Long-Covid-Erkrankten direkt an die Politik herantragen.
Auch hier im BRICS habe ich neulich zusammen mit dem Paritätischen zu einer Long-Covid-Informationsveranstaltung eingeladen, aus der sich eine Braunschweiger Selbsthilfegruppe gebildet hat. Denn neben der Entwicklung geeigneter Therapien ist für Betroffene vor allem Anerkennung und Zuwendung wichtig. Und da hilft der Austausch mit anderen enorm.
Haben Sie vielen Dank für das Interview.
Text: Dorothea Hinz