Drei Frauen, drei Fragen Perspektiven zum Internationalen Frauentag
#BreakTheBias – unter diesem Motto steht 2022 der Internationale Frauentag (International Women’s Day), der jährlich am 8. März begangen wird. Damit wird dazu aufgerufen, sich für eine geschlechtergerechte Welt frei von Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung einzusetzen, die vielfältig, gleichberechtigt und inklusiv ist und in der Unterschiede gewürdigt und gefeiert werden. Wo sie momentan den größten Handlungsbedarf sehen, haben wir anlässlich des Frauentags die Präsidentin der TU Braunschweig, Professorin Angela Ittel, Dr. Liseth Pérez, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) und Luisa Perdomo Lopez, Studentin des Masterstudiengangs Organisation, Governance, Bildung, gefragt.
Welche Frau hat Sie am stärksten inspiriert?
Prof.in Angela Ittel: Am meisten hat mich die französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir inspiriert. Das erste Buch, das ich als Jugendliche von ihr gelesen bzw. verschlungen habe, war „Le Deuxième Sexe“. Ich war sehr fasziniert von der Darstellung der Rolle der Frau in der Gesellschaft im historischen Verlauf. Fast noch mehr gefesselt hat mich anfänglich aber ihr Leben in Paris und vor allem die zu ihren Zeiten schon sehr bemerkenswert klare Haltung zur (intellektuellen) Selbständigkeit einer Frau. Ihre Bücher haben mich lange Jahre sehr intensiv begleitet und mein Denken geprägt.
Dr. Liseth Pérez: Tatsächlich sind es vor allem zwei Frauen. Da ist zum einen Margaret Dix, eine englische Forscherin mit einer Leidenschaft für tropische aquatische Ökosysteme. Während meines Biologiestudiums in Guatemala war sie meine Mentorin. Als ich gerade 20 Jahre alt war, hat mich ihre Geschichte sehr beeindruckt und nachhaltig geprägt: Auch sie hat – wie ich dann 2005 – ihr Land und ihre Familie für die Forschung verlassen.
Die andere Frau, die mich inspiriert hat, ist meine Mutter, Carolina Alvarado de Pérez. Sie hat mir vorgelebt, dass sich ambitionierte Arbeit und Kinderbetreuung miteinander vereinbaren lassen. Eine wunderbare Mutter, die mich mein ganzes Leben lang darin bestärkt hat, meine Träume und beruflichen Ziele niemals aufzugeben.
Solche Vorbilder brauchen Mädchen und junge Frauen. Sie ermutigen uns, unsere Träume zu verwirklichen und zeigen uns, dass es möglich ist, Beruf und Familie zu vereinbaren – und das nicht nur in unserer Heimat, sondern überall auf der Welt.
Luisa Perdomo Lopez: Für mich gibt es nicht die eine Frau, die ich als Vorbild sehe. Am meisten inspirieren mich Frauen, die sich gegenseitig unterstützen oder zusammentun und gemeinsam Ziele verfolgen. Seit meinen ersten Berührungen mit Gender Studies und Feminismus waren es vor allem auch Social Media Accounts und Zeitschriften, wie zum Beispiel das „Missy Magazine“. Der 08. März ist ebenfalls immer besonders inspirierend für mich, da an diesem Tag das, was ich in Büchern und sozialen Medien lese, durch FLINTA, also Frauen, Lesben, inter-, nicht-binäre, trans- und agender-Personen, und Verbündete auf die Straße getragen wird und dadurch Gehör bekommt.
Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf zur Beseitigung der Benachteiligung und Ungleichheit von Frauen?
Prof.in Angela Ittel: Wir müssen kontinuierlich daran arbeiten, hegemoniale Machtstrukturen aufzubrechen. Dies betrifft nicht nur Frauen, sondern alle Mitglieder unserer Gesellschaft. Deshalb muss hegemoniale Männlichkeit weiterhin konsequent sichtbar gemacht werden. Ebenso muss die Sensibilisierung für unbewusste kognitive Verzerrungen (unconscious bias), die zu Benachteiligung führen, selbstverständlich werden, damit wir ein neues Verständnis von Gleichberechtigung erlangen und leben können.
Dr. Liseth Pérez: Wir brauchen Frauen (und Mädchen) in allen Positionen und Gruppen, in denen große und kleine Entscheidungen getroffen werden, um unseren Wünschen und Bedürfnissen in allen gesellschaftlichen, sozialen, technologischen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und auch wissenschaftlichen Fragen Gehör zu verschaffen.
Luisa Perdomo Lopez: Den größten Handlungsbedarf sehe ich darin, dass ein gesamtgesellschaftliches und politisches Bewusstsein darüber geschaffen werden muss, wie das Patriarchat bis heute wirkt und welche Folgen es mit sich bringt, zum Beispiel in Form von bis heute andauernder geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Feministische Anliegen dürfen nicht länger als Randthemen angesehen werden und müssen in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit, Sicherheit und Frieden auf allen Ebenen ernst genommen werden. Einige Politiker*innen verstehen sich ja bereits als Feminist*innen – das ist ein erster Schritt.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sollten Ihrer Meinung zur Stärkung von Frauenrechten geschaffen werden?
Prof.in Angela Ittel: Ich sehe die Optimierung in mindestens drei Bereichen für notwendig:
Wir benötigen eine bessere Prävention und Bekämpfung konfliktbezogener und besonders sexualisierter Gewalt – vor allem auch in Familien. Das wurde besonders in der pandemischen Situation der letzten Jahre deutlich.
Ein offener Umgang und die konsequente Schließung des Gender Pay Gaps in allen Bereichen ist notwendig, um Frauen die gleiche Wertschätzung für ihre Arbeit zu geben.
Durch eine verbesserte makro- und mikrökonomische Unterstützung werden Frauen befähigt, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten gleichberechtigt wahrzunehmen.
Dr. Liseth Pérez: In den vergangenen Jahrzehnten wurden in vielen Ländern der Welt große Fortschritte bei der Stärkung der Frauenrechte gemacht. Aber solange Frauen in Entscheidungsgremien in der Minderheit oder gar nicht vertreten sind, ist es sehr schwierig, ambitionierte Gesetze in die Praxis umzusetzen. Die Beteiligung von Frauen und Mädchen an Entscheidungen, die sie betreffen, geht aus meiner Sicht viel zu langsam voran. Deswegen bin ich für die schrittweise Einführung von Frauenquoten für alle Positionen und Gremien, die wichtige Entscheidungen treffen. Ich habe das Gefühl, dass im Moment zu viel Energie für etwas aufgewendet wird, das effizienter, vernünftiger und schneller durch gesetzliche Frauenquoten gelöst werden könnte.
Luisa Perdomo Lopez: Es sollte nicht nur darum gehen, sowieso schon privilegierte Frauen in hohen Positionen zu fördern. Alle politischen Kräfte sollten aktiv daran arbeiten, dass alle Frauen, vor allem mit Kindern, existenzsichernde Rahmenbedingungen haben. Das geht einher mit einer allgemeinen Aufwertung von Sorge- und Hausarbeit, denn diese müsste dann von Männern im gleichem Maße und wie selbstverständlich übernommen werden. Außerdem dürfen Trennungen oder Scheidungen keine Frage der ökonomischen Situation sein und müssen für Frauen vor allem sicher und nicht lebensbedrohlich sein.