24. November 2025 | Magazin:

„Dinge tun, die noch keiner zuvor getan hat“ Professor Jens Friedrichs gestaltet die Luftfahrt von morgen

Wie kann Fliegen nachhaltiger werden und dennoch gesellschaftlich zugänglich bleiben? Mit dieser Frage beschäftigt sich Professor Jens Friedrichs, Leiter des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen an der TU Braunschweig. Im Exzellenzcluster „Sustainable and Energy-Efficient Aviation“ (SE²A) entwickelt er mit seinem Team neue Lösungen für die Luftfahrt von morgen. Dazu gehören europaweit einzigartige Prüfstände, interdisziplinäre Forschungsansätze und die enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnern.

Professor Jens Friedrichs. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Es war nur ein kurzer Moment der ihm bis heute in Erinnerung geblieben ist: sein erster Flug im Airbus A380, oben auf dem Oberdeck. Tief und fest schlafend wurde er durch ein Klirren geweckt. Nicht durch das Dröhnen der Triebwerke, nicht das Rauschen der Luft, sondern durch das Klirren von Gläsern in der Bordbar. „Das hatte ich vorher noch nie auf einem Flug gehört“, erinnert sich Friedrichs. Die Geräuschkulisse hatte das bis dahin nie zugelassen – nun war es möglich, dass man in einem Flugzeug sogar das zarte Zittern von Glas vernehmen kann: „Es mag banal klingen, weil es keinen direkten Einfluss auf meine Forschung hatte. Aber dieser Moment hat für mich noch einmal unterstrichen, was technische Innovation bewirken kann, und meine schon damals komplett vorhandene Faszination fürs Fliegen bekräftigt.

Heute leitet er das Institut, das er selbst neu aufgebaut hat, und arbeitet im Exzellenzcluster SE²A daran, solche Momente auch in Zukunft möglich zu machen – diesmal mit dem Ziel, dass Fliegen nicht nur komfortabel, sondern auch klimafreundlich wird.

Propulsion Test Facility – eine Testumgebung zur Untersuchung zukünftiger Triebwerke. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Spitzenforschung heißt: durchhalten

Für Friedrichs bedeutet Spitzenforschung mehr als technische Exzellenz. Entscheidend sei, disziplinübergreifend zu denken und neue Lösungen zu entwickeln. „Batterietechnik, Brennstoffzellen, Leistungselektronik, Life-Cycle-Assessment: All diese Felder mussten erst mit den besonderen Anforderungen der Luftfahrt vertraut gemacht werden. Nur so entstehen tragfähige Lösungen.“

Spitzenforschung verlangt für ihn aber vor allem auch einen langen Atem. „Es geht darum, Dinge zu tun, die noch keiner zuvor getan hat. Das heißt auch: Beim ersten Mal klappt es oft nicht.“ Rückschläge sind für ihn kein Grund zum Aufgeben, sondern ein Ansporn.

Ein Beispiel ist die Propulsion Test Facility, ein europaweit einzigartiger Prüfstand für Flugzeugantriebe am Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen am Braunschweiger Forschungsflughafen. Mehr als zehn Jahre dauerte der Aufbau mit vielen Höhen und Tiefen. Heute interessieren sich internationale Größen wie Airbus und GE für die Anlage. „Das macht mich schon stolz, auch wenn es ein Marathon war.“

Eine neue Art des Fliegens

Friedrichs ist überzeugt: Fliegen wird es auch in Zukunft geben. „Die Idee ‚Dann fliegt doch einfach nicht mehr‘ ist völlig unrealistisch. Mobilität ist eine globale gesellschaftliche Grundanforderung.“ Doch die Luftfahrt wird sich verändern. Eventuell dauert der Flug nach New York künftig acht statt sechs Stunden, weil so deutlich Emissionen eingespart werden. Vielleicht verschieben sich Abflugzeiten, um klimafreundlichere Routen zu nutzen. Wichtig sei aber auch, dass nachhaltiges Fliegen nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch bezahlbar bleibt.

Und immer wieder geht es in seiner Forschung nicht nur um Technologie, sondern auch um die Menschen. „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Blended-Wing-Body. Der Rumpf geht organisch in die Flügel über und ist damit sehr effizient. Aber wenn Sie in der Mitte sitzen, sind Sie 15 Plätze zu beiden Seiten vom nächsten Fenster entfernt. Fühlen sich Reisende damit wohl?“ Für ihn ist klar: „Technologie allein zum Selbstzweck reicht nicht. Am Ende muss sie auch für die Menschen passen, ihnen einen Mehrwert bieten und sie idealweise auch faszinieren.“

Professor Jens Friedrichs diskutiert mit Kollegen emissionsärmere Flugantriebe. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Ein starkes Forschungsökosystem

Braunschweig bietet für diese Form der Spitzenforschung ideale Bedingungen. „Zum einen, weil hier an der Uni interdisziplinäre Zusammenarbeit selbstverständlich ist“, sagt Friedrichs. „Hinzu kommt, dass wir exzellent vernetzt sind mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, dem Fraunhofer IST, der Physikalisch-Technische Bundesanstalt und der Leibniz Universität Hannover. Und wir haben den Flughafen direkt vor der Tür. Das alles ermöglicht eine Kette von der Idee am Anfang bis zum Flugversuch am Ende, die weltweit fast einzigartig ist.“ Vergleichbares gebe es nur in Toulouse oder bei der NASA.

Seinen Studierenden rät er, sich nicht zu sehr an den Trends des Arbeitsmarkts zu orientieren. „Vor 15 Jahren hätte kaum jemand gedacht, dass Chemie oder Thermomanagement ein essentielles Thema für die Luftfahrt werden würde. Heute sind das Schlüsselthemen.“

Entscheidend sei, der eigenen Leidenschaft zu folgen und Geduld zu haben. Ob wirklich jede*r Spitzenforscher*in werden kann? „Statistisch gesehen natürlich nicht“, lacht er. „Aber jeder kann ein Feld finden, in dem er neugierig bleibt und immer tiefer gräbt. Das ist das Entscheidende.“

Text: Hannah Kreß