Die Vergangenheit der TU Braunschweig in der Gegenwart für die Zukunft sichern Tanja Wolf neue Leiterin des Universitätsarchivs
Endlich Platz schaffen, ob im Büro oder auf dem Computer: Akten aus den 70er- bis 90er-Jahren oder Fotos und Flyer von vor 10 bis 30 Jahren, wen interessiert das schon? Also ab in den Müll: Nein, bitte vorher die papiergeführten Akten oder die digitalen Ordner dem Universitätsarchiv anbieten: Denn das Archiv ist das Gedächtnis der TU Braunschweig und nur durch das, was heute gesichert wird, kann in der Zukunft die Entwicklung der TU Braunschweig erschlossen werden. Wir haben mit der Archivarin und Historikerin Tanja Wolf, die seit Januar das Universitätsarchiv der TU Braunschweig leitet, nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zukunft gesprochen. Ob Dateien, digitale Bilder, Instagram Posts oder Webseiten, wie geht das Archiv mit der Erschließung der heutigen Informationsflut um: Das Universitätsarchiv beschäftigt sich bereits jetzt mit der Sicherung der Gegenwart für die Zukunft.
Das gläserne Archiv der TU Braunschweig hat nichts mit einem Kellerraum gefüllt mit staubigem Papier gemein. Aber gerade Archive haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Was reizt Sie an dem Beruf der Archivarin?
Der Beruf der Archivarin ist cool. Wir arbeiten schon lange nicht mehr schweigend in staubigen Kellern. Das Berufsbild hat einen grundlegenden Wandel erfahren. Wir Archivar*innen sind heute alle Datenbankexpert*innen und müssen uns fortlaufend technisches Fachwissen aneignen. Ich bin mit Leib und Seele Archivarin, aber ich bin auch Historikerin – kenne also beide Seiten. Um zu zeigen, dass Archive nicht verstaubt und für alle öffentlich sind, twittern sehr viele Archivar*innen zum Beispiel.
Was macht das Universitätsarchiv der TU Braunschweig?
Das Universitätsarchiv ist das Gedächtnis der TU Braunschweig. Wir leisten klassische Archivarbeit. Unsere Hauptaufgabe ist die Erfassung der Geschichte durch Erschließung von analogen und digitalen Archivalien und das Bewahren von Beiträgen. Das Archiv hat eine Speicherfunktion, sobald abgegebene Unterlagen im Archiv eingehen, ist dies wie das Drücken der Speichertaste.
Bei uns im Archiv liegen nicht nur Akten, sondern auch ergänzende Quellen, Nachlässe und begleitende Unterlagen. Alles was bei uns eingeht, wird auf den Überlieferungswert geprüft. Unser Wunsch ist es, nach einer Sperrfrist in der Regel von 30 Jahren alle Archivalien öffentlich zugänglich zu machen.
Was sollte im Archiv abgegeben werden?
Ein Archiv gibt es in der Regel nur einmal in einer Einrichtung, und zwar immer nur das zentrale Archiv. Der Begriff Archiv ist nicht geschützt, aber eine Registratur und ein Magazin sind kein Archiv. Viele denken, das interessiert doch nicht, das ist doch alt, aber nicht so alt, als dass es als wertvoll angesehen wird. Wen interessiert denn schon etwas von 1970, ist noch nicht alt genug um wertvoll zu sein.
Bitte ohne Rücksprache mit dem Archiv keine Akten oder digitales Schriftgut entsorgen. Denn ausschließlich Archivarinnen und Archivare entscheiden letztendlich, was einen Überlieferungswert hat. Diese Bewertung ist die Grundlage der Archivwissenschaft, das ist unsere Expertise. Wir Wir entscheiden über die Archivwürdigkeit mit Blick darauf, was in 10 bis 20 Jahren wahrscheinlich interessant sein wird. Einiges sortieren wir gleich aus und kassieren, anderes begutachten wir genauer. Meine Bitte: Bieten Sie uns lieber mehr an. Und bevor Sie etwas entsorgen, bitte stimmen Sie dies vorher mit uns ab. Die Aufbewahrungsfristen für Akten, aber auch für digitales Schriftgut sollten bereits abgelaufen und die Akten vor mindestens 10 Jahren geschlossen worden sein. Bei Papier geführten Akten ist ganz wichtig: bitte nicht tackern oder Büroklammern verwenden, die rosten und wir müssen diese vor der Erschließung entfernen. Auch Klarsichtfolien entfernen wir, da diese kleben und das Schriftgut zerstören können. Für unsere Entscheidung, was aufbewahrt werden soll, benötigen wir natürlich einen guten Überblick, was bei welcher Einrichtung liegt und welche Aufgabe welche Einrichtung zu erledigen hat. Nach der Sichtung kennzeichnen wir die Unterlagen. A steht für Archiv und nicht für Abfall, K für Kassiert und B heißt noch mal ansehen. Eine weitere Bitte, geben Sie die Akten in nachvollziehbarer Form ab. Wir finden zwar auch im Chaos, was für uns wichtig ist. Die Erschließung geht erheblich schneller, wenn die Akten beschriftet sind – und dies möglichst nicht mit „Verschiedenes“ –, ein Aktenzeichen haben und die Laufzeit vermerkt ist.
Demnächst stellt die TU Braunschweig auf E-Akten und ein Datenmanagementsystem um. Aber bereits heute liegen die meisten Unterlagen nicht mehr in Papierform in Aktenordnern vor, sondern digital.
Auch bei digitaler Schrift ist uns eine strukturierte Aktenführung wichtig. Zum Beispiel eine Ordnerstruktur im Datenmanager, wie dem Windows Explorer. Bitte archivieren Sie nichts auf CDs. Bitte alles auf Servern und auch nicht auf USB-Sticks sichern. USB-Sticks haben neben externen Festplatten von allen Speichermedien die geringste Haltbarkeit. Papier kann man teilweise noch retten, CDs haben in der Regel nur zwei Zustände: kann man retten oder nicht. Nach unseren Archivgrundsätzen ist zum Beispiel eine ausgedruckte E-Mail kein Original, sondern immer nur eine Kopie.
Wir überlegen bereits heute, wie wir weitere digitale Quellen wie zum Beispiel die Social Media-Kanäle der TU Braunschweig am besten für die Nachwelt erschlossen und archiviert werden können. Hier sind nicht nur die Bilder für uns interessant, sondern auch die Texte, Hashtags und Kommentare. Die Medien werden immer kurzlebiger. Ein Beispiel ist StudiVZ. Wer weiß, ob es in 30 Jahren noch Twitter oder Facebook gibt. Aber es sind wichtige Medien für unsere TU-Geschichte.
Auch Webseiten sind wichtig für die Überlieferung. Natürlich wollen wir die Webseiten der TU Braunschweig vor dem Relaunch sichern, aber wichtig ist auch, wie präsentiert sich die TU Braunschweig auf ihrer Startseite, zum Beispiel mit dem „Audimax im neuen Glanz“. Die Startseite der Carolo-Wilhelmina ist so etwas eine Titelseite einer Zeitung.
Eine wichtige Quelle sind zum Beispiel Fotos. Bei digitalen Fotos gibt es pro Ereignis bereits eine wahre Bilderflut. Wie gehen Sie damit um?
Die digitale Fotografie ist eine Herausforderung. Die Bilder müssen ein bestimmtes Format und eine entsprechende Qualität haben und meist gilt je größer, desto besser. Professionelle Archive sichern digitale Fotos für die Ewigkeit. Denn die Daten werden regelmäßig erneut digitalisiert. Dagegen lässt sich der Verfall bei analogen Bildern auf Dauer nicht aufhalten, nur verlangsamen.
Das Universitätsarchiv steht für alle offen. Jede*r kann hier Archivalien einsehen und recherchieren. Wie sieht die Recherche im Archiv aus?
Uns Archivar*innen ist es wichtig, dass alle, die möchten, zu uns kommen können, um zum Beispiel die Entwicklung einer Einrichtung nachvollziehen zu können. Das heutige Rechercheverhalten spiegelt sich in der Anspruchshaltung von Archivnutzer*innen wider. Nutzer*innen sind es gewohnt, alles googeln zu können. Aber das Einsehen von Archivalien ist ein komplexes Unterfangen: Von 100 Archivalien sind etwa 10 umfassend erschlossen und nur ein kleiner Bruchteil davon ist digitalisiert. Als Nutzer*in muss ich mir die Überlieferung und die Strukturen selbst erschließen. Ich finde nicht immer alles, was ich suche und ich finde nicht alles an einem Ort. Deshalb ist es für die Nutzungsfreundlichkeit wichtig, die Archivportale zu füttern. Ältere Archivalien der Carolo-Wilhelmina liegen zum Beispiel im Landesarchiv in Wolfenbüttel.
An welchem Projekt arbeiten Sie zurzeit?
Ein großes Projekt, das bereits vor meiner Zeit begonnen wurde und das wir in Kürze abschließen werden, ist der Catalogus Professorum. Das Projekt wurde bereits in den 70er Jahren begonnen und ist somit so alt wie das Archiv selbst. In dem Catalogus Professorum sind alle Professorinnen und Professoren von 1745 bis 2021 veröffentlicht. Der Katalog umfasst bislang 2090 Datensätze. Ein dreiteiliger zweiteiliger Band von 1745 bis 1945 lag bereits vor, den wir jetzt in die Datenbank aufgenommen haben. Aktuell schließen wir gerade die Lücken bis heute. Der Katalog soll zukünftig fortlaufend fortgeschrieben werden. Man kann zum Beispiel Suchanfragen stellen, wie zum Beispiel sich alle ingenieur- oder geisteswissenschaftlichen Professor*innen anzeigen lassen.
Und natürlich ist alles Datenschutz konform. Die neuesten Professuren werden bereits jetzt aufgenommen, aber erst nach Ablauf der Schutzfristen – 10 Jahren nach dem Tod – werden weitere Daten und viele Querverweise freigeschaltet. Zunehmend wichtiger wird es, wie diese Beispiele zeigen, dass Archive nicht am Ende der administrativen Kette stehen, sondern bereits am Anfang einen Prozess mit begleiten. Dies ist effizienter und kostensparender.
Informationen zu vernetzen und in den vielen einzelnen Puzzleteilen Strukturen zu entdecken und zur Universitätsgeschichte zusammenzuführen, ist eine unserer Hauptaufgaben. Wir Archivar*innen brauchen Kontext und wir schaffen Kontext, den wir dann zum Beispiel in Form von Institutsgeschichten sichtbar machen.