Das große Krabbeln Unterwegs auf Zeckensuche mit dem Institut für Geoökologie
Sie gehören sicherlich zu den Tieren, die am wenigsten gemocht werden: Zecken. Die kleinen Parasiten „lauern“ im Grünen, um sich im richtigen Moment zum Beispiel von Menschenbeinen abstreifen zu lassen und sich dort eine Blutmahlzeit zu genehmigen. Doch wie viele der Tiere verstecken sich eigentlich im Gras? Haben wir ein besonders schlimmes Zecken-Jahr? Und wie gefährlich sind die Blutsauger? Bianca Loschinsky hat die Biologin und Parasitologin Dr. Dania Richter vom Institut für Geoökologie der Technischen Universität Braunschweig bei der Geländeübung Landschaftsepidemiologie begleitet.
Das Wichtigste zuerst: die richtige Kleidung. Geschlossene Schuhe, helle körperbedeckende Kleidung, um die Krabbeltiere möglichst schnell zu entdecken, lange Hosen und die Strümpfe über die Hosenbeine gezogen. Die acht Studentinnen der Geländeübung halten sich tapfer an die Schutzmaßnahmen, auch wenn der Wetterbericht warmes Sommerwetter vorausgesagt hat. Mit großen Flanellflaggen schwärmen sie auf einem bewaldeten Gelände am Rande Braunschweigs aus, um in abgesteckten Beobachtungsbereichen, sogenannten Transekten, Zecken einzusammeln, sie zu zählen und zu analysieren, in welchen Bereichen sich die meisten Tiere aufhalten.
Zeckensammeln mit Flanellflaggen
Über niedrige Gräser, hohen Farn, Vegetation in der Sonne und im Schatten ziehen die Studentinnen die weißen Tücher und begutachten ihren „Fang“. 46 Zecken haben Inga Kaul und Sonja Wichmann am ersten Tag bei einem einzigen Durchgang über einen Zehn-Meter-Streifen auf ihrer Flagge entdeckt, heute sind es nur 19.
In dem Modul Landschaftsepidemiologie beschäftigen sich die Master-Studierenden der Umweltnaturwissenschaften mit verschiedenen Krankheitserregern, die mit der Landschaft bzw. bestimmten ökologischen Bedingungen assoziiert sind – wie zum Beispiel Lyme-Borreliose oder auch Hantavirus, das in Deutschland hauptsächlich über die Rötelmaus übertragen wird. Dabei verweist Dr. Dania Richter von der Abteilung Landschaftsökologie und Umweltsystemanalyse des Instituts für Geoökologie auf den „One Health“-Ansatz. Wissenschaftler Dr. William Karesh hat ihn geprägt. Er beschreibt die gegenseitige Abhängigkeit von gesundem Ökosystem, Tieren und Menschen. „Es ist wichtig zu erkennen, dass die menschliche Gesundheit mit der tierischen Gesundheit und der Umwelt zusammenhängt“, betont die Biologin. In ihrem Modul will sie das Interesse der Umweltweltnaturwissenschaftlerinnen für Infektionskrankheiten wecken.
Ohne Blutmahlzeit geht’s nicht weiter
Ob die gesammelten Zecken mit Erregern infiziert sind, ist natürlich rein äußerlich nicht erkennbar. Vor allem Nymphen haben die Studentinnen heute auf dem weißen Tuch entdeckt und mit Pinzetten in kleine Behälter gesteckt. Larve, Nymphe, erwachsene Zecke – das sind die drei Entwicklungsstadien im Leben einer Zecke. Für jeden Entwicklungsschritt benötigt sie eine Blutmahlzeit. Eine Gelegenheit, um sich mit Bakterien oder Viren zu infizieren – beispielsweise mit Frühsommer-Meningoenzephalitis-(FSME)-Viren oder Lyme-Borrelien.
Die ersten Wirtstiere sind meistens Mäuse oder andere kleine Nager, aber auch Eidechsen und Vögel. „Zecken sind schon lange mit Erregern infiziert“, erzählt Dr. Dania Richter. Die älteste infizierte Zecke – konserviert in Alkohol in einem Naturkundemuseum – stammt aus dem Jahr 1884. Auch in der DNA der Gletschermumie Ötzi wurden Lyme-Borrelien nachgewiesen. „Borrelia burgdorferi“ sind die am häufigsten von Zecken übertragenen Erreger, ein Infektionsrisiko besteht in ganz Deutschland. Die sogenannte Wanderröte eine bis sechs Wochen nach einem Zeckenbiss, grippeähnliche Symptome wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen oder auch eine Gesichtslähmung gehören zu den Krankheitszeichen.
Ein trockener Sommer ist kein Zecken-Sommer
Der Überträger ist eine der bekanntesten Zeckenarten: „Ixodes ricinus“, der Gemeine Holzbock, stellt gewisse Ansprüche an seine Umwelt. „Er benötigt eine relativ hohe Luftfeuchte, ist saisonal meist zwischen März und Oktober aktiv und lauert seinen Wirten im Ökoton, also dem Übergangsbereich zwischen zwei Ökosystemen auf, wie zum Beispiel Wald und Wiese“, erklärt Dr. Dania Richter. Schon auf dem Weg zu den von den Studentinnen abgesteckten Transekten zeigt die Biologin auf Grashalmen sitzende Zecken. Wer nicht aufmerksam hinsieht, erkennt die 1,5 bis 4 Millimeter kleinen Tiere nicht sofort. Gleich mehrere adulte Weibchen, erkennbar an ihrem rotbraunen Hinterleib, warten darauf, von einem Wirt mitgenommen zu werden.
Der „faule Sack“
„Der Gemeine Holzbock ist sozusagen ein ‚fauler Sack‘“, sagt die Wissenschaftlerin. „Sit-and-Wait-Strategie nennt man das auch.“ Die Nachteile für die Zecke liegen auf der Hand: Wird sie nicht mitgenommen, stirbt sie, ihre räumliche Verbreitung ist von den Wirtstieren und deren Mobilität abhängig, und heißes, trockenes Wetter bedeutet für sie nichts Gutes: Sie trocknet schlicht aus. Um zu überleben und sich zu regenerieren, lassen sich die Zecken von den Grashalmen in die Streuschicht, also die oberste Bodenschicht, fallen, wenn es zu trocken wird.
Gibt es eine Pflanze, um die man besser einen Bogen machen sollte, um Zecken aus dem Weg zu gehen? „Es gibt bislang keine wissenschaftliche Literatur dazu, dass Zecken bestimmte Pflanzen oder Pflanzenarten besonders mögen“, so Dr. Dania Richter. Auf den großen Farnflächen hatten die Studentinnen zunächst mehr Holzböcke erwartet. Doch hafteten nur wenige an den Flanellflaggen.
Der Zecke ins Maul geschaut
Aus dem Fell ihrer beiden Katzen fischt die Umweltnaturwissenschaft-Studentin Aline Brosch zu Hause immer wieder einige der Parasiten, wenn sie draußen unterwegs waren. „Dennoch war ich überrascht, dass an den Flaggen so viele Zecken hängenbleiben. Da weiß man jetzt, was alles im Gras lauert.“ Umso wichtiger ist es, nach einem Spaziergang im Grünen den Körper gut nach den kleinen Krabbeltieren abzusuchen und sie möglichst schnell zu entfernen. Der routinemäßige Zecken-Check hilft laut Dr. Dania Richter auch, Ängste zu mindern: „Denn die Wahrscheinlichkeit der Übertragung eines Erregers steigt erst nach den ersten 24 Stunden der Blutmahlzeit an, und nicht jede Zecke ist infiziert.“
Mit einer Zeckenpinzette oder -karte können die Parasiten gut aus der Haut gelöst werden. Auch wenn dabei ein deutlicher Widerstand zu spüren ist. Einfaches Wegkratzen nützt nichts. Zecken bohren sich tief in die Haut und verankern sich dort für ihre tagelange Blutmahlzeit fest. Mit einer rasterelektronenmikroskopischen Aufnahme der Mundwerkzeuge einer weiblichen „Ixodes ricinus“ hat Dr. Dania Richter der Zecke „ins Maul geschaut“. Für ihre Blutmahlzeit nutzt die Zecke Kieferklauen, die Chelizeren. Diese können teleskopartig ein- und ausgefahren werden. Zunächst ritzen die Chelizeren die Haut oberflächlich an, um einen Ansatzpunkt zu schaffen. Anschließend werden beide Kieferklauen abgewinkelt und gleichzeitig wieder eingezogen. Mit dieser Bewegung wie bei einem Brustschwimmer kann der mit Widerhaken versehene Unterkiefer, das Hypostom, in die Haut gestoßen und verankert werden. Die Blutmahlzeit kann beginnen.
Juckreiz an der Einstichstelle
Mit ihrem Speichel schickt die Zecke auch Wirkstoffe in die Haut, um zu verhindern, dass es an der Einstichstelle juckt oder schmerzt. Eine gute Taktik, um sich beim Wirt nicht zu verraten. Dennoch schlägt bei ca. 30 bis 40 Prozent der Menschen ein Frühwarnsystem mit einem Juckreiz an. Das bestätigen auch einige der Studentinnen der Geländeübung, die bereits früher mal Kontakt mit den lästigen Parasiten hatten. Manche berichten von einem kribbelnden Gefühl, Jucken oder auch einem stechenden Schmerz wie bei einem Splitter.
Nach der fünftägigen Geländeübung scheint auf manchem der abgesteckten Grasstreifen jedoch keine Gefahr mehr von Zecken auszugehen. Die Studentinnen haben ihr rund 600 Quadratmeter großes Beobachtungsgebiet quasi leergesammelt. Dabei beprobten sie die einzelnen Abschnitte immer wieder – teilweise sogar mehrmals am selben Tag, so dass sich eine Gesamtfläche von rund 4.000 Quadratmetern ergab. Insgesamt 2.175 Zecken kamen so zusammen – davon 186 erwachsene Zecken, der größte Anteil waren also Nymphen. Damit tummelte sich im Durchschnitt etwa eine Zecke auf zwei Quadratmetern. Auf 750 Quadratmetern fanden die Studentinnen überhaupt keine der Parasiten. Die maximale Dichte von 4,8 Zecken pro Quadratmeter wurde auf drei verschiedenen Beobachtungsabschnitten erreicht. „Dabei muss man jedoch beachten, dass wir momentan gerade am Höhepunkt der Zecken-Aktivität sind“, erläutert Dr. Dania Richter. „Solche Maximalzahlen erschrecken vielleicht, sind aber nicht typisch. Es zeigt allerdings auch sehr gut, wie unterschiedlich dicht Zecken in der Umwelt verteilt sind.“
Auf Flächen mit niedrigem Gras blieben zum Schluss keine Zecken mehr an den Flaggen hängen. Nur im „Zecken-Hotspot“ – ein schattiger Weg am Übergang zu einem Waldstück – lauerten sie weiterhin unbeirrt und warteten auf einen Wirt.