23. Februar 2022 | Magazin:

Buttertee, Ba und Mauern aus Dung Leben mit Yak-Hirten in Tibet, Teil 2: Alltag

Melken, Yaks hüten, Dung verarbeiten, morgens um drei Uhr aufstehen: Nach einem kurzen Aufenthalt in Lhasa ist die Doktorandin Siran Liang vom Institut für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) jetzt bei „ihrer“ Hirten-Familie in Changtang angekommen. Im zweiten Teil ihres Logbuchs beschreibt die Wissenschaftlerin den Alltag, den sie mit den Bewohner*innen des Dorfes auf 4.800 Metern Höhe im tibetischen Hochland teilt.

Die höchste Autobahn der Welt, die neu gebaute Autobahn Lhasa-Nagqu, die im August 2021 eröffnet wurde. Auf den Lüftungschlitzen vor der Windschutzscheibe unseres Fahrzeugs befinden sich tibetische Räucherstäbchen. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

Ich habe einen guten Freund, ein Doktorand der Tibetologie an der Universität Tibet, der aus einer Viehzüchterfamilie in der Changtang-Steppe nahe Nagqu stammt. Er ließ mich freundlicherweise bei seinen Eltern wohnen, die dort auf den Hochlandsteppen leben. Dank ihm erhielt ich Zugang zu einer Hirtengemeinschaft auf dem Changtang-Weideland. Als wir aus Lhasa hinausfuhren, ließen wir die Gebäude der Stadt hinter uns und waren plötzlich von weiten Berghängen umgeben. Beim Anblick des Gebirges freute ich mich auf meine bevorstehende Reise.

Nachdem wir an unserem Ziel angekommen waren, traten die Bewohner*innen aus ihren Häusern, um uns zu empfangen. Ich grüßte sie mit den Worten: “Tashi Delek“, was so viel bedeutet wie „Ich wünsche euch viel Glück“. In tibetischen Sprachlehrbüchern habe ich dies als Standardbegrüßung gefunden. Mein guter Freund und seine Verwandten hingegen hoben ihre Köpfe und berührten gegenseitig sanft ihre Stirn. Diese Art der Begrüßung gefiel mir sofort.

Ein Yakhirtendorf auf 4.800 Metern. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

Anfangs ließ mich die Familie in ihrem Schreinraum schlafen. Damit war ich zufrieden, denn ich war froh, dass ich wenigstens abends etwas Privatsphäre hatte. Aber nach mehreren eiskalten Nächten überwog meine Sehnsucht nach Wärme das Bedürfnis nach Privatsphäre. Seitdem teile ich mir das Wohnzimmer mit den Eltern des Hauses, das auch als Esszimmer und Küche dient und in dem sich die einzige Heizung im Haus befindet. Tagsüber, wenn die Decken verstaut sind, ist die Schlafecke ein Sofa. Nachts, mit Decken, werden die Sofas wieder zu Betten.

Das Haus einer Hirtenfamilie: Wohnzimmer/Esszimmer/Küche. Hinter dem bunten Schreibtisch links schlief ich. Der Schlafplatz der Eltern befindet sich auf der rechten Seite, hinter dem Herd. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

Die Essenszeiten der Hirten-Familien sind flexibel und variieren von Tag zu Tag. Das Frühstück folgt in der Regel auf die morgendliche Arbeit, wie dem Melken der Yaks. Joghurt, Yakbuttertee und Ba (geröstetes Gerstenmehl gemischt mit Yakbuttertee) sind die gängigsten Frühstücksgerichte. Ich kann mich noch deutlich daran erinnern, wie ich vor fast zehn Jahren zum ersten Mal Gerstenmehl aß. Damals gab mir der Gastgeber das Gerstenmehl, und ich steckte es direkt in den Mund, ohne zu fragen, wie man das eigentlich isst und habe mich natürlich sofort daran verschluckt.

Molkereiprodukte, Yak und gelbe Pilze werden selbst produziert, alles andere muss außerhalb des Dorfes gekauft werden, wie Weizen- und Gerstenmehl, Reis, Zucker, Salz, Sojasauce usw. oder auch Gemüse, das erst vor kurzem zu einem alltäglichen Nahrungsmittel wurde. Wenn die jungen Leute in den Sommerferien nach Hause kommen, ziehen einige von ihnen Instantnudeln dem typischen Ba vor.

Um wirklich in das tägliche Leben der tibetischen Familie “einzutauchen”, versuchte ich, sie den ganzen Tag zu begleiten und an jeder Aufgabe teilzunehmen, eben ein „deep hanging out“. Manchmal zwang ich mich, im Sommer um 3 Uhr und im Winter um 6 Uhr aufzustehen, um gemeinsam mit den Frauen beim Yak-Melken und bei der Dung-Verarbeitung mitzuhelfen und sie bei ihrer Arbeit zu beobachten. Aber um ehrlich zu sein, bin ich normalerweise zwischen 7 und 9 Uhr aufgestanden, weil ich kein Morgenmensch bin. Tagsüber half ich der Mutter des Hauses bei den alltäglichen Hausarbeiten. Ich holte Wasser aus einem nahe gelegenen Fluss, bereitete das Essen zu, wusch das Geschirr ab, versorgte die Heizung, servierte den Männern und den Gästen Tee usw.

Ein Kind zeigte mir eine Wand aus Yak-Dung, die seine Mutter gebaut hatte, und sagte, seine Mutter mache schöne Mauern. Auf der Mauer ist eine Swastika zu sehen. Das Kreuz wird als religiöses Glückssymbol verwendet. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

Eine wichtige Aufgabe, an der ich beteiligt war, war die Verarbeitung des Yak-Dungs. Der Mist der Tiere ist eine der wichtigsten Ressourcen für Hirtenfamilien, da er zum Heizen verwendet wird. Die meisten Yakhirtengemeinschaften in Tibet befinden sich in Gebieten weit oberhalb der Baumgrenze. Vermutlich war Yak-Dung das wesentliche Material, das es den frühen Nomad*innen ermöglichte, überhaupt hier zu leben. An vielen Tagen half ich den Familien beim Sammeln des Yak-Dungs, trocknete ihn in der Sonne, füllte den Mist in den Ofen und baute Yak-Dung-Mauern, um das Material zu lagern und die Yaks im harten Winter zu schützen.

Siran Liang, als sie beim Melken hilft, indem sie das Yak-Baby von seiner Mutter fernhält. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

Eine Hirtenfrau melkt ein flauschiges Yak. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

Nach den ersten Wochen meines Aufenthalts war ich stolz darauf, dass ich beim Melken behilflich sein konnte. Meine Hauptaufgabe war es, die Yak-Kälber zu versorgen. Vor dem Melken ließ ich ein Yak-Baby frei, damit es zu seiner Mutter gehen und Milch saugen konnte. Dann entfernte ich das Yak-Baby, damit die Hirtenmutter mit dem Melken des Yaks beginnen konnte. Nach dem Melken ließ ich das Baby-Yak wieder frei, damit es den Rest der Milch bekam. Mit meiner Hilfe konnte sich die Hirtenfrau ganz auf das Melken der Yaks konzentrieren.

Sonnenuntergang mit Yak-Dung-Mauer, Yak-Müttern und Yak-Babys. Bildnachweis: Siran Liang/TU Braunschweig

 

Text: Siran Liang. Der Beitrag wurde im Original auf Englisch geschrieben. Bei der deutschen Version handelt es sich um eine Übersetzung.