25. August 2025 | Magazin:

Böden im Kriegszustand TU-Wissenschaftlerinnen untersuchen ukrainische Böden auf Schadstoff-Rückstände

Wie verändert Krieg die Erde unter unseren Füßen? Dieser Frage gehen Dr. Anastasiia Splodytel und Professorin Magdalena Sut-Lohmann an der Technischen Universität Braunschweig nach. Ihr Ziel: ein Landnutzungs- und Managementinstrument für kriegsbetroffene Ökosysteme zu entwickeln, für das es in der Ukraine bislang keine Vorbilder gibt. Ihre Arbeit bewegt sich zwischen lebensgefährlichen Probennahmen, komplexen Laboranalysen und nachhaltigen Ansätzen zur Bodensanierung.

Gemeinsam erforschen Dr. Anastasiia Splodytel und Professorin Magdalena Sut-Lohmann an der TU Braunschweig, wie der Krieg die ukrainischen Böden verändert. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Wenn Dr. Anastasiia Splodytel in der Ukraine Bodenproben nimmt, bleibt ihr manchmal nur eine Minute. 60 Sekunden, um sich zu entscheiden, wo sie gräbt, was sie mitnimmt, wie sie wieder heil herauskommt. 60 Sekunden, bis der Beschuss beginnt. Und trotzdem kehrt sie mit Erde zurück. Diese Erde – oft einst fruchtbare Schwarzerde, Tschernosem genannt – ist heute in vielen Regionen mit Schwermetallen, Sprengstoffrückständen und Schadstoffen wie Dioxinen belastet, teils vermint und für die menschliche Nutzung unbrauchbar.

Dank der Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung forscht Dr. Splodytel gemeinsam mit Professorin Sut-Lohmann, Leiterin der Abteilung Bodenwissenschaften am Institut für Geoökologie, an nachhaltigen Lösungen: Wie lassen sich kriegsverseuchte Böden heilen und wieder nutzbar machen?

Hürden von der Probe ins Labor

Die Arbeit beginnt mit der Analyse – und mit enormen Herausforderungen. Viele Proben lassen sich nur unter hohem Risiko entnehmen, oft gestützt auf das Vertrauen in die Begleitung vor Ort. „Man ist häufig auf Intuition und ein wenig Glück angewiesen“, sagt Dr. Splodytel. Die Arbeit in solchen Gebieten ist nur über gewachsene Kontakte zu Fachleuten, zum Militär, zu Gemeinden, Entminungsorganisationen und Forschenden vor Ort möglich.

Doch mit der Probenentnahme enden die Widrigkeiten nicht. Dr. Splodytels Labor in der Ukraine ist seit den massiven Beschüssen außer Betrieb, der Export von Proben kompliziert. Lange Zeit waren Analysen nur über persönliche Netzwerke möglich. „Es gibt mehr Herausforderungen, als man in Worte fassen kann“, sagt sie und doch ist sie überzeugt: „Wenn diese Forschung auch nur den kleinsten Beitrag leisten kann, lohnt es sich weiterzumachen.“

Die Chemie des Krieges

Im Labor analysieren die beiden Forscherinnen, wie militärische Operationen die Bodenchemie verändern. Die Ergebnisse von 2017 bis 2025 sind alarmierend: 35 Prozent der Proben enthalten toxische Elemente in Konzentrationen, die mehr als hundertfach über den Hintergrundwerten liegen. Besonders betroffen: Gebiete um zerstörte Industrieanlagen, Regionen nach massiven Luftangriffen und die nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms 2023 überfluteten Flächen. Dort überschreiten die Schwermetallwerte zulässige Grenzwerte um das Zehn- bis Siebzigfache. Explosionskrater sind chemisch oft weniger belastet, bergen jedoch andere Risiken: zerstörte Bodenstruktur, gestörter Wasserhaushalt, Verlust von Humus und Artenvielfalt. Im Unterschied zu früheren Kriegen werden in der modernen Kriegsführung sehr vielfältige, komplexe Sprengstoffe eingesetzt, deren Schadstoffmischungen unvorhersehbare und hochgefährliche Wechselwirkungen eingehen.

Gefährdete Nahrungsversorgung

In einem Kellerraum in Braunschweig wachsen derzeit Rapspflanzen: Versuchsträger, um herauszufinden, welche Schadstoffe Kulturpflanzen aufnehmen, was im Boden verbleibt und wie groß die Gefahr für die Landwirtschaft ist. Eine zentrale Frage lautet: Kann man direkt nach einer Kampfmittelräumung wieder Nutzpflanzen anbauen? Die Brisanz liegt auf der Hand: Die ukrainische Landwirtschaft, lange die „Kornkammer Europas“, ist entscheidend für die globale Ernährungssicherheit. Der Krieg hat diese Rolle geschwächt, doch das Land bleibt auf den Weltagrarmärkten präsent. Wie groß sein Anteil künftig sein wird, hängt auch davon ab, wie schnell und erfolgreich die Böden saniert werden – ein Prozess, der Jahrzehnte dauern könnte oder in manchen Fällen nie vollständig gelingt.

Mithilfe von Rapspflanzen wird untersucht, wie Kulturpflanzen mit Schadstoffen umgehen. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Perspektiven geben nachhaltige Sanierungsverfahren. Professorin Sut-Lohmann und Dr. Splodytel setzen dabei besonders auf die Phytostabilisierung: gezielte Bepflanzung, um die Mobilität und Bioverfügbarkeit von Schadstoffen zu verringern. Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die assistierte Phytosanierung, bei der pflanzengestützte Prozesse durch Mikroorganismen wie Mykorrhiza-Pilze und Bodenhilfsstoffe wie Pflanzenkohle unterstützt werden. „Solche Verfahren sind oft langsam, aber kostengünstig und nachhaltig. Sie fördern umfassendere Regenerationsprozesse“, sagt Professorin Sut-Lohmann. „In manchen Fällen können die Flächen währenddessen sogar weiter bewirtschaftet werden.“

Langfristige Ziele

Das Ziel der Forscherinnen ist ein Landnutzungs- und Managementinstrument, mit dem sich kriegsbetroffene Flächen systematisch bewerten und in die künftige Nutzungsplanung einbinden lassen. Seit 2021, im Rahmen der landesweiten Dezentralisierungsreform, entstehen für ukrainische Gemeinden Raumordnungspläne, zu denen auch die Landschaftsplanung gehört – eine Chance, Forschungsergebnisse direkt in konkrete Strategien zur Wiederherstellung einfließen zu lassen.

Dr. Splodytel möchte auch mit Wissenschaftler*innen aus anderen Ländern zusammenarbeiten, die bewaffnete Konflikte erlebt haben. Gemeinsam könnten sie die Auswirkungen von Krieg auf Böden unter unterschiedlichen Bedingungen und Zeiträumen vergleichen und daraus universelle Strategien für die Wiederherstellung von Nachkriegsland entwickeln. Für die zwei Wissenschaftlerinnen ist diese Forschung auch eine persönliche Mission. Inspiriert von ihrer Doktormutter Liudmyla Sorokina, die nach dem Tschernobyl-Unfall (1986) in verstrahlten Gebieten forschte, weiß Dr. Splodytel: „Wissenschaft braucht mehr als Daten. Sie braucht moralische Stärke, Verantwortung und Konsequenz.“

Für Dr. Splodytel hat der Krieg vieles verändert. „Seit einiger Zeit existiert für mich nur noch das Heute“, sagt sie. „Jeder Tag hat genug Sinn, um sich der Arbeit zu widmen, die man liebt.“ Menschlichkeit unter Kolleg*innen, internationale Zusammenarbeit und das Mentoring durch Professorin Sut-Lohmann geben ihr Halt – und vielleicht wächst in einem Braunschweiger Kellerlabor nicht nur Raps, sondern auch der erste Keim für eine hoffnungsvollere Zukunft.