Bauen in Krisenzeiten Professor Patrick Schwerdtner über Preissteigerungen von Baumaterialien
Monatelang gingen die Preise für Baumaterialien nur in eine Richtung: nämlich nach oben. Unterbrochene Lieferketten, steigende Energiepreise, Materialengpässe als Folge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs haben sich auch erheblich auf den Bausektor ausgewirkt. Grund genug für das Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb der TU Braunschweig, das Thema unter dem Titel „Preis- und Lieferrisiken durch höhere Gewalt: präventive und reaktive Lösungen“ im 19. Braunschweiger Baubetriebsseminar mit mehr als 200 Teilnehmenden aufzugreifen. Mit Institutsleiter Professor Patrick Schwerdtner hat Bianca Loschinsky über Preisentwicklungen und Prognosen für die kommenden Jahre gesprochen.
Herr Schwerdtner, 2021 und 2022 konnten wir bei Baumaterialien eine regelrechte Kostenexplosion beobachten. Stechen bestimmte Baustoffe besonders heraus?
In der Tat lohnt sich ein differenzierter Blick auf die Entwicklung, da sich bei genauerer Betrachtung doch erhebliche Unterschiede zeigen. Beispielsweise ist Flachglas, das man üblicherweise für Fenster, Glastüren oder -wände verwendet, das Material mit der größten Preissteigerung – immerhin fast 50 Prozent. Als ein Grund hierfür kann sicher die sehr energieintensive Herstellung genannt werden. Aber auch der Stabstahl lag mit einer Preissteigerung von etwa 40 Prozent weit über dem üblichen Niveau. Hingegen stiegen die Preise für Bauholz nur um 1,3 Prozent – nach den großen Sprüngen im Jahr 2021 ein sehr moderater Wert.
Bei einigen Materialien gibt es inzwischen eine Preisberuhigung. Wie sehen die Prognosen aus?
Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt rund 15 Prozent Preissteigerung. In der Nachkriegshistorie lag die Baupreissteigerung nur einmal höher: 1970 bei fast 20 Prozent. Die Prognosen weisen auch für in dieses Jahr noch einen relativ hohen Preisanstieg aus, etwa sechs bis acht Prozent. Im nächsten Jahr wird es sich mit etwa drei Prozent vermutlich etwas moderater gestalten. Weiter blicken die Institute nicht voraus.
Und woher nimmt man dann die Ansätze für langlaufende Projekte?
In unseren eigenen langfristigen Bewertungen beziehen wir uns auf verschiedene statistische Analysen und ermitteln daraus charakteristische Verläufe der vergangenen zehn bis 15 Jahre unter Berücksichtigung der für das Projekt relevanten Indizes. So beraten wir auch verschiedene Auftraggeber der öffentlichen Hand und entwickeln dann für jedes Projekt spezifische Empfehlungen.
Also besteht wenig Hoffnung auf sinkende Preise?
Was sich aktuell nicht abzeichnet, ist ein allgemeiner Preisrückgang – mit Ausnahme ausgewählter Baustoffe. Lediglich der Preisauftrieb reduziert sich deutlich. Eventuell werden wir dann sogar eine Phase mit Steigerungen von unter ein Prozent sehen. Aktuell kenne ich jedoch keine Prognosen, die von sinkenden Preisen für die Realisierung von Bauwerken in einer Gesamtbetrachtung ausgehen.
Zudem erwarte ich nicht, dass wir wieder in ganz ruhige Sphären gleiten wie vor zehn Jahren. Die Dynamik bei Rohstoffpreisen und -verfügbarkeiten wird uns weiter begleiten. Zum einen führt die stetige Verknappung einzelner Rohstoffe, wie zum Beispiel Sand, der für die Herstellung von Beton und Glas wichtig ist, zu einer wachsenden Nervosität am Markt. Hinzu kommen die absehbar weiterhin schwierige geopolitische Lage und die noch nicht abzuschätzenden Folgen des Klimawandels.
Wenn bestimmte Baustoffe immer teurer werden, muss die Bauindustrie dann nicht umschwenken, beispielsweise hin zu nachwachsenden Rohstoffen?
In der Tat müssen wir umdenken. Zur Gewährleistung einer Preisstabilität und Sicherstellung der Verfügbarkeit können gegebenenfalls strategische Überlegungen und Partnerschaften zur Etablierung alternativer Lieferketten sinnvoll sein.
Nachwachsende Rohstoffe sind nicht notwendigerweise günstiger aus monetärer Sicht, aber sicher aus der ökologischen Perspektive zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Wir können unter anderem Holz verstärkt für tragende Konstruktionen nutzen, gegebenenfalls auch in hybriden Konstruktionen mit konventionellen Baustoffen. Aber nicht alle Alternativen sind bereits gut erforscht und auch der Einbau von Recyclingmaterial ist noch nicht überall ohne weiteres möglich.
Es ist wichtig, dass wir das Planen und Bauen neu denken, aber das funktioniert leider nicht auf Knopfdruck mit nur einer Maßnahme. Neben der Verwendung nachwachsender Rohstoffe müssen wir auch Ressourcen effizienter einsetzen und die Wiederverwendbarkeit ermöglichen. Recycling wird auf Dauer nicht ausreichen. Aber das ist ein Prozess, bei dem alle Beteiligten mitwirken müssen – von der Initiierungsphase bis zur Wiedergewinnung der Rohstoffe.
Auch schon vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg stiegen die Kosten bei verschiedenen Großprojekten immens an. Welchen Anteil hatte damals die allgemeine Preisentwicklung?
Der Anteil hängt natürlich vom Projekt ab – und dem jeweils zu verzeichnenden Anteil sonstiger Einflüsse wie nachträgliche Änderungen, verzögerte Entscheidungen, Probleme mit dem Baugrund etc. Was momentan sehr untypisch ist, dass die Preissteigerungen so einen großen Anteil daran haben und quasi vom Himmel fielen. Das konnte nun wirklich niemand wissen.
Die möglichen Preissteigerungen möchte insbesondere die öffentliche Hand zukünftig besser erfassen. Die öffentliche Hand hat früher danach budgetiert, was die Realisierung des Bauwerks zum Zeitpunkt der Erstellung der Kostenplanung kosten würde. Dass es in den kommenden Jahren mehr kosten wird, wusste zwar jeder, es konnte aber im Haushalt nicht veranschlagt werden. Da findet nun ein Umdenken statt. Hamburg hat zum Beispiel bereits nach dem Bau der Elbphilharmonie eine Drucksache „Kostenstabiles Bauen“ veröffentlicht und sich dafür ausgesprochen, Baupreissteigerungen einzupreisen. Die Neue RBBau (Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes) fordert nun bundesweit das Ausweisen und Veranschlagen potenzieller Preisentwicklungen. Ein richtiger Schritt.
Könnte es dazu führen, dass bei Bauvorhaben künftig Krisen eher mitberücksichtigt werden?
Wir neigen etwas zur Katastrophen-Amnesie. Aktuell ist die Preisentwicklung natürlich ein großes Thema. Aber bereits jetzt werden Stimmen lauter, die angesichts teilweise zurückgehender Materialpreise an ein Ende der Krise glauben. Aber wer wagt derzeit eine Vorhersage über mehrere Jahre, wenn man für die Ergebnisse die Verantwortung trägt?
Wie könnten die Risiken möglicher Lieferengpässe und Preissteigerungen im Vorfeld geregelt werden?
Bei langlaufenden Projekten mit Festpreisverträgen können die Bauunternehmen unerwartet starke Preissteigerungen nicht einfach an die Auftraggeber weitergeben. Schlimmstenfalls drohen Insolvenzen, die für alle Beteiligten nachteilig sind. Die Vergütung muss daher flexibilisiert werden, sodass die Risiken sinnvoll auf die Parteien aufgeteilt werden.
Konkret können Preisgleitklauseln eine Anpassung der Vergütung an die Marktentwicklung ermöglichen. So müssen sich Auftraggeber zwar an unkalkulierbaren Preissteigerungen bei Baumaterialien beteiligen, vermeiden aber hohe Risikoaufschläge bei der Angebotsabgabe, die auch ohne eine Preissteigerung gezahlt werden müssten.
Jetzt haben wir über Preissteigerungen im Materialbereich gesprochen, aber auch die Löhne könnten steigen.
Ja, damit ist zu rechnen. Erzielte Tarifabschlüsse und laufende Streiks in anderen Branchen deuten bereits darauf hin, dass dies auch die Bau- und Immobilienwirtschaft treffen wird. Erschwerend kommt der Fachkräftemangel hinzu – und das auf allen Ebenen. Das könnte dazu führen, dass Tariflohnabschlüsse im Vergleich zur Vergangenheit deutlich anders ausfallen.
Gibt es auch eine gute Nachricht?
Durchaus. Und mehr als eine. Zur Senkung der Preise müssen wir im Bauwesen produktiver werden, um mit weniger Personal das Gleiche zu produzieren. Außerdem müssen wir die Ressourcen effizienter einsetzen. Das ist beispielsweise mit additiver Fertigung möglich und daran forschen wir an der TU Braunschweig bereits im Sonderforschungsbereich Transregio 277 „Additive Manufacturing in Construction“ (AMC).
Des Weiteren werden große Anstrengungen unternommen, um zukünftig mit Hilfe modularer Vorfertigung kostengünstig, schnell und dennoch qualitativ hochwertig zu bauen. Bei vielen Neubauten könnten wir somit Personal-Ressourcen sparen, die wir dann bei komplizierten Unikaten (zum Beispiel Bauen in Bestand) einsetzen können. Der Transformationsprozess in der Bau- und Immobilienwirtschaft ist auf vielen Gebieten eingeleitet.