Wie stärkt Citizen Science das Vertrauen in die Wissenschaft? Forschung zu Bürgerwissenschaften untersucht Potenziale und Vorbehalte
Wie viele Igel und Füchse leben in der Nachbarschaft? Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Bäume in der Stadt aus? Wo stand das Wasser am höchsten bei der letzten Überschwemmung? Immer mehr Menschen zählen Mücken und Vögel, fotografieren Pflanzen, dokumentieren Veränderungen in Stadt und Natur. Sie liefern so wichtige Informationen für die Forschung. Kann diese Bürgerbeteiligung auch helfen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken? Das wollen Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Braunschweig gemeinsam mit Forschenden der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Museums für Naturkunde Berlin im Verbundprojekt „Trust in Citizen Science (TiCS)“ untersuchen. Gefördert wird das Projekt mit rund 900.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Erleben, wie Forschung wirklich funktioniert, gemeinsam mit Wissenschaftler*innen an Forschungsfragen tüfteln, Daten zusammentragen: Bürgerwissenschaftliche Projekte, auch bekannt unter dem englischen Begriff „Citizen Science“, sind vielfältig. In einigen Projekten etwa sind Bürger*innen an der Datensammlung beteiligt oder werten diese aus. So wollen beispielsweise Wissenschaftler*innen mehr über die Verbreitung von Fliegen in Deutschland wissen und rufen dazu auf, die Insekten zu sammeln. Oder sie bitten Bürger*innen, Wasserstand und Bodenfeuchte an bestimmten Orten zu dokumentieren und damit die Hochwasserfrühwarnung zu verbessern.
In anderen Projekten bringen Bürger*innen aktiv ihr Wissen ein, entwickeln Forschungsfragen mit, und gestalten so gemeinsam mit Wissenschaftler*innen den Forschungsprozess. Beispielsweise wurden in einem Projekt zum sozial-ökologischen Wohnen in Lüneburg Forschungsfrage und -design partizipativ mit Akteur*innen in der Stadt erarbeitet.
Bürger*innen gestalten Forschung aktiv mit
„Citizen Science bringt das normale Gefüge der Forschung gehörig durcheinander“, sagt Dr. Friederike Hendriks, Nachwuchsgruppenleitung an der TU Braunschweig und Leiterin des neuen Projekts. „Forschung wird nicht mehr nur im Elfenbeinturm produziert und dann an eine breitere Öffentlichkeit kommuniziert. In den Bürgerwissenschaften gestalten Bürger*innen Forschung aktiv mit. Das hat viele Potenziale für die Bildung von Vertrauen in Wissenschaft, in den Projekten und auch darüber hinaus.“ Diese Potenziale werden nun in dem Verbundprojekt erforscht. „Wir wollen Vertrauensbildung untersuchen, aber auch wissen, welche Vorbehalte es hinsichtlich der Bürgerforschung gibt, und ob es auch Momente geben kann, in denen Vertrauen gefährdet wird“, so Professorin Monika Taddicken, Leiterin des Instituts für Kommunikationswissenschaft der TU Braunschweig und ebenfalls Antragstellerin im Braunschweiger Teilprojekt.
Wie wird Citizen Science von der Öffentlichkeit aufgenommen?
Das Verbundprojekt wird sich dem Thema Vertrauen im Kontext der Bürgerwissenschaften auf drei Ebenen nähern. Erstens wird untersucht, wie sich Vertrauensbeziehungen in Citizen Science-Projekten entwickeln. Dabei interessiert nicht nur, wie sehr Bürger*innen Wissenschaftler*innen vertrauen, sondern auch, wie sie untereinander Beziehungen entwickeln, und wie Beteiligungsprozesse dies unterstützen können. Zweitens analysiert das Forschungsteam, wie Wissenschaftler*innen den Input aus der Bevölkerung sehen, und welchen Nutzen sie daraus ziehen, aber auch welche Vorbehalte noch bestehen. Drittens geht es um die Wahrnehmung von Forschungserkenntnissen aus Citizen Science in einer breiteren Öffentlichkeit.
Friederike Hendriks: „Da das Potential von Citizen Science nicht nur darin besteht, große Datenmengen durch die Hilfe von Bürger*innen zu bearbeiten, sondern auch soziale Fragen und gesellschaftliche Themen in die Forschung zu tragen, interessiert uns, wie Evidenz aus Citizen Science in einer breiten Öffentlichkeit aufgenommen wird. Das ist unser Thema hier in Braunschweig. Um das zu erforschen, werden wir groß angelegte Befragungen und psychologische Experimentalstudien durchführen, sowie die Medienberichterstattung analysieren“.
Von Psychologie bis Praxisforschung
Das Team des Verbundprojekts ist interdisziplinär, einige Projektbausteine werden die Wissenschaftler*innen der drei Standorte gemeinsam bearbeiten. Neben Dr. Friederike Hendriks und Professorin Monika Taddicken (Psychologie und Kommunikationswissenschaft) an der TU Braunschweig verantworten Professor Mario Gollwitzer und Dr. Marlene Altenmüller (Psychologie) das Teilprojekt an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Vom Museum für Naturkunde Berlin beteiligen sich Dr. Susanne Hecker und Silke Voigt-Heucke (Praxisforschung Citizen Science).
„Die Interdisziplinarität ist unsere große Stärke und reizt mich zudem auch sehr. Aus meiner Nachwuchsgruppe wissen wir, wie positiv sich Interdisziplinarität auf den Erkenntnisgewinn auswirkt. In der Psychologie und Kommunikationswissenschaft bringen wir Expertise zur Vertrauensforschung und Metawissenschaft zusammen. Außerdem haben wir das Handwerkszeug, die Wirkungen von Wissenschaftskommunikation und Medienberichterstattung auf die Wahrnehmung von Citizen Science in Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit zu untersuchen. Ohne die Praxisforschung könnten wir zudem gar nicht so intensiv in die Begleitforschung von bürgerwissenschaftlichen Projekten einsteigen“, sagt Friederike Hendriks.
Die im Projekt gesammelten Erkenntnisse wird das Forschungsteam nicht nur in der Fachcommunity präsentieren und wissenschaftlich publizieren. Am Ende der dreijährigen Laufzeit des Projekts steht ein Workshop mit Forscher*innen und Praktiker*innen aus dem Forschungsfeld Citizen Science sowie eine große Abschlussveranstaltung. Hier stellt das Team im Projekt entwickelte Praxisempfehlungen für die vertrauenssensible Kommunikation innerhalb von Citizen Science-Projekten, aber auch für die Wissenschaftskommunikation über Citizen Science vor.
Projektdaten
Das Verbundprojekt „Trust in Citizen Science (TiCS)“ wird für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtline Wissenschaftskommunikation mit rund 876.000 Euro gefördert. Davon gehen rund 413.000 Euro an die TU Braunschweig. Neben dem Institut für Kommunikationswissenschaft und der Nachwuchsforschungsgruppe fourC aus Braunschweig, sind die Ludwig-Maximilians-Universität München und das Museum für Naturkunde Berlin am Projekt beteiligt.