Patientenzimmer der Zukunft in Braunschweig eröffnet Neues Forschungs- und Studienlabor von TU Braunschweig, Fraunhofer IST und Städtischem Klinikum
Eigene Bäder für alle Patient*innen, fugenlose und leicht zu reinigende Nachttische mit schmutzabweisenden Oberflächen, automatisierte Reinigungskonzepte, Desinfektionsmittelspender, die bei Benutzung einen Smiley zeigen: So könnte das „Patientenzimmer der Zukunft“ aussehen. Der begehbare Demonstrator eines solchen Zweibettzimmers wurde am 31. August 2022 auf dem Gelände des Städtischen Klinikums Braunschweig eröffnet. In dem Forschungs- und Studienlabor entwickeln Expert*innen aus den Bereichen Architektur, Materialforschung und Medizin praxistaugliche Musterlösungen für die Krankenhaus-Architektur. Dafür haben sich die Technische Universität Braunschweig, das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST und das Städtische Klinikum Braunschweig zusammengeschlossen.
Der Prototyp des Patientenzimmers wurde im Projekt KARMIN entwickelt und auf dem Gelände der Charité im Rahmen des World Health Summit 2020 in Berlin ausgestellt. Jetzt wird der Demonstrator in ein neues anwendungsorientiertes Forschungs- und Studienlabor überführt. Die Kooperationspartner*innen – das Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig, das Fraunhofer IST und das Städtische Klinikum Braunschweig – können damit Forschungsergebnisse in realer Umgebung direkt einbinden und unmittelbar erproben.
Direktes Feedback aus der Praxis
Dass das begehbare Modell auf dem Gelände des Städtischen Klinikums Braunschweig an der Naumburgstraße errichtet wurde, hat einen großen Vorteil. So kann medizinischem Personal der Zugang für praxisnahe Untersuchungen ermöglicht werden und die Forschenden erhalten direktes Feedback von Ärzt*innen, Pflegefachkräften und Auszubildenden.
„Wir betreiben gemeinsam Versorgungsforschung“, betont Dr. Thomas Bartkiewicz, Ärztlicher Direktor des Klinikums. „Wichtig ist hier für uns zum Beispiel die Frage: Wie können wir ein normales Zimmer in ein Intensivzimmer umwandeln?“ Im Forschungs- und Studienlabor ist es möglich den Klinikalltag nachzustellen und durch den Einsatz von Augmented Reality verschiedene Fallkonstellationen zu trainieren. „Zukunftsweisend und nachhaltig wollen wir translationale Forschung voranbringen und damit Voraussetzungen für weitere Aktivitäten der Ausbildung und Qualifizierung von medizinischem Personal setzen“, so Dr. Bartkiewicz.
Mit kluger Raumplanung Infektionen vermeiden
Auch wenn das Patientenzimmer schon immer im Zentrum des Krankenhausbaus und der Hygiene gestanden hat, ist seine Bedeutung in den vergangenen Jahren in den Vordergrund gerückt – durch die Zunahme von Krankenhausinfektionen mit multiresistenten Erregern und nicht zuletzt durch SARS-CoV-2. Hier soll jetzt unter anderem eine kluge Raumplanung helfen, die Übertragung gefährlicher Keime zu verhindern. Deshalb sieht das neue Forschungslabor auch nur auf den ersten Blick aus wie ein ganz normales Zweibettzimmer im Krankenhaus: Denn im Patientenzimmer der Zukunft stehen die Betten gegenüber statt nebeneinander und es gibt zwei Bäder. Diese Aufteilung verhindert Kreuzkontaminationen und Kontaktinfektionen, wie sie passieren können, wenn zwei Personen dieselbe Nasszelle nutzen. Entlang der Arbeitsrouten des Pflegepersonals haben die Forschenden außerdem sechs Desinfektionsmittelspender platziert. Auch an eine besondere Lichtgestaltung haben die Wissenschaftler*innen gedacht – von ganz hell bei der Visite, über warme Farben in Ruhezeiten bis hin zu einer Lichtleiste, die sensorgesteuert aktiviert wird, wenn die Patient*innen nachts aufstehen.
„In Zukunft werden sich Architekt*innen bei der Planung von Gesundheitsbauten mit der zentralen Frage beschäftigen, wie optimale Bedingungen für Patient*innen sowie das Krankenhauspersonal geschaffen werden können und gleichzeitig Flexibilität im Betrieb gewährleistet werden kann“, sagt Dr. Wolfgang Sunder, Projektleiter vom Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig. „Dabei müssen wir relevante Themen wie Infektionsprävention, Komfort oder Digitalisierung interdisziplinär betrachten. Es reicht also bei weitem nicht aus, dass medizinisches Fachpersonal das Thema nur aus seiner Perspektive oder wir es nur aus dem architektonischen Blickwinkel beleuchten.“
Automatisierte Reinigungsprozesse
Neben der Architektur stehen im Forschungslabor funktionelle Oberflächen und Materialien im Fokus. Biobasierte Oberflächen, die leicht zu reinigen sind, minimieren das Risiko einer hohen Keimbelastung. Eingesetzt werden könnten auch Oberflächen, die sich verfärben, sobald sie mit Keimen belastet sind. „Analyse, Anpassung und Optimierung von Oberflächen sowie Einsatz und Entwicklung neuer nachhaltiger Materialien sind zentrale Ansatzpunkte, um die Übertragung von Keimen im Krankenhaus zu verhindern und die Patient*innen vor Infektionen zu schützen“, erklärt Dr. Kristina Lachmann, Projektleiterin vom Fraunhofer IST. „Dabei verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, indem wir zum Beispiel Hotspots identifizieren und unter Einsatz digitaler Methoden effiziente umweltfreundliche Reinigungsprozesse entwickeln und anpassen.“ Durch Automatisierung und die Integration moderner Sensorik können Abläufe und Prozesse effektiver und wirtschaftlicher gestaltet und das Personal entlastet werden.
Das Projekt ist auf fünf Jahre mit Option auf Verlängerung angelegt und wird dem stetigen Wandel in der medizinischen Versorgung Rechnung tragen. Eingebunden in die Entwicklung des Patientenzimmers sind auch Industriepartner*innen aus dem Gesundheitsbereich. So können die Erkenntnisse aus dem Forschungs- und Studienlabor direkt in Planungs- und Bauprozesse von Gesundheitsbauten einfließen, in die Berufspraxis von Kliniken transferiert sowie in die Entwicklung von entsprechenden Produkten übertragen werden.
Stimmen zur Eröffnung
Björn Thümler, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur:
„Innovative Ansätze in der Krankenhaushygiene retten Leben. Das neue Forschungs- und Innovationslabor von TU, Fraunhofer IST und Städtischem Klinikum ist ein Quantensprung für den Gesundheitsstandort Braunschweig. Fachkräfte aus Forschung und Krankenversorgung können in diesem Patientenzimmer der Zukunft anwendungsnah und plastisch erproben und nachverfolgen, wie Innovationen bei funktionalen Oberflächen und automatisierten Reinigungssystemen zu einer spürbaren Verbesserung der Krankenhaushygiene beitragen können. Denn für mich gilt: Jede vermeidbare Krankenhausinfektion ist eine zu viel.“
Dr. Thorsten Kornblum, Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig:
„Das Patientenzimmer der Zukunft ist ein großartiges Beispiel für Forschung made in Braunschweig! Seit Jahren entstehen durch die enge Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschungsinstituten und öffentlichen Einrichtungen herausragende Projekte. Es freut mich sehr, dass die TU, das Fraunhofer IST und unser Städtisches Klinikum an einem Strang ziehen und das Patientenzimmer von morgen entwickeln. Unsere Gesundheit ist unser höchstes Gut – das wurde uns durch die Corona-Pandemie eindrucksvoll vor Augen geführt. Umso wichtiger ist es durch innovative und praxistaugliche Lösungen wie dem infektionspräventiven Patientenzimmer den höchstmöglichen Gesundheitsschutz in den Kliniken zu gewährleisten und durch reibungslose Abläufe die Pflegekräfte weiter zu entlasten.“
Prof. Dr. Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig:
„Das Patientenzimmer der Zukunft bietet großartige Voraussetzungen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Architektur, Material- und Infektionsforschung. Gleichzeitig können praxisrelevante Themen und Forschungserkenntnisse in akademische Lehre und berufliche Weiterbildung einfließen. Eine Win-win-Situation, nicht nur für die Region! Die Eröffnung des Forschungs- und Studienlabors ist aber auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zur ganzheitlichen Entwicklung unserer Universität – einem Weg, den wir als TU Braunschweig zusammen mit der Region gehen möchte. Dabei steht der wechselseitige Austausch von Wissen zwischen Universität und Gesellschaft im Fokus.“
Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft:
„Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und steigenden Fachkräftemangels ist der intelligente Einsatz innovativer Technologien und Prozesse essenziell, um die Gesundheit für alle bezahlbar zu machen und die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten. Ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam mit der TU Braunschweig und dem Städtischen Klinikum mit dem Patientenzimmer der Zukunft ein anwendungsorientiertes Forschungs- und Studienlabor aufbauen, das auf diese gesamtgesellschaftlichen Ziele einzahlt. Das Fraunhofer IST leistet vor allem mit seinen innovativen Lösungen aus dem Bereich der funktionalisierten Oberflächen und Materialien sowie der automatisierten Reinigungssysteme einen wichtigen Beitrag zum Schutz von besonders vulnerablen Menschen in ambulanter oder stationärer Behandlung.“
Die Kooperationspartner
Das Forschungsteam vereint die Disziplinen Architektur und Material-, Schicht- und Oberflächentechnik, vertreten durch das Institut für Industriebau und Konstruktives Entwerfen (IKE) der TU Braunschweig und das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST. Beide Institute haben langjährige Forschungserfahrung im Gesundheitsbereich. Zudem kooperieren beide Einrichtungen in der Lehre und Forschung seit mehr als zehn Jahren mit dem Städtischen Klinikum Braunschweig. Das Klinikum versorgt als Krankenhaus der Maximalversorgung auf universitärem Niveau die Region Braunschweig. Eingebunden sind außerdem 19 Industriepartner*innen, die ihr Wissen in den Bau und die Weiterentwicklung des Patientenzimmers einbringen.
Weitere Informationen: www.karmin.info
Gemeinsame Pressemitteilung von TU Braunschweig, Fraunhofer IST und Städtischem Klinikum Braunschweig