Nord-Stream-Pipelines: Methan-Emissionen nach Beschädigung analysiert
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Lecks der Nord-Stream-Piplines setzen 2022 die bisher größte Menge des Treibhausgases Methan bezogen auf ein einzelnes Ereignis frei.
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Die freigesetzte Menge von 445.000 bis 485.000 Tonnen Methan entspricht 0,1 Prozent der menschengemachten Methan-Emissionen für 2022.
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Das DLR liefert die einzigen Flugmessdaten zu den Methanemissionen der Lecks.
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Schwerpunkte: Erdbeobachtung, Luftfahrt, Raumfahrt, Klimawandel, maritime Sicherheit
Ende September 2022 sind mit der Beschädigung der Nord-Stream-Pipelines knapp eine halbe Million Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangt. Dies ist die bisher größte Menge des Treibhausgases Methan, die durch ein einzelnes Ereignis freigesetzt wurde. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Internationalen Beobachtungsstelle für Methanemissionen (IMEO) des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Fast 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 30 Forschungsorganisationen haben im Rahmen der Analyse zusammengearbeitet. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligte sich gemeinsam mit der Technischen Universität Braunschweig mit der einzigen kurzfristig organisierten Flugmesskampagne zu den Lecks. Diese Flugmessungen Anfang Oktober 2022 zeigten großflächige Ausgasungen von zunächst im Meerwasser gelöstem Methan und lieferten eine Bestätigung der Gesamtmenge. Messungen der Universität Göteborg und der Forschungsstiftung Voice of the Ocean im Wasser der Ostsee zeigten zudem, wie sich das im Meer gelöste Methan über mehrere Monate zwischen dem dänischen Seeland und der Danziger Bucht vor Polen ausbreitete. Die Ergebnisse sind nun in drei Studien gleichzeitig in Nature und Nature Communications erschienen.
„Neun Tage nach der Beschädigung der Pipelines fanden wir große Mengen Methan in der Luft rund um die Lecks in bis zu 45 Kilometer Entfernung. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich aber die Rohre bereits entleert und das Methan daraus war eigentlich weggeweht“, erklärt Dr. Friedemann Reum vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre, Leiter der Studie zur Flugmesskampagne. „Doch die Daten vom 5. Oktober 2022 zeigten, dass noch immer 19 bis 48 Tonnen Methan jede Stunde emittiert wurden. Was wir sahen, war Methan, das sich zunächst an den Leckstellen im Wasser gelöst hatte. Von da an wurde es von den Meeresströmungen weiter transportiert, bevor es in die Luft gelangte. Unsere Messflüge lieferten den direkten Beweis für das Ausgasen des gelösten Methans in die Atmosphäre. So haben wir das Bild vervollständigen können, wie viel Methan aus den Pipelines in die Ostsee gelangte und was anschließend damit geschah.“
Die Flugmesskampagne erfasste eine großflächige Momentaufnahme der Ausgasung des zunächst gelösten Methans. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit denen von Strömungsmodellen. Mit diesen Modellen konnte anhand der räumlich begrenzten Methan-Messungen im Wasser durch die Universität Göteborg und Voice of the Ocean die Gesamtmenge des im Meerwasser gelösten Methans abgeschätzt werden. Demnach hatten sich 9.000 bis 15.000 Tonnen des Treibhausgases aus den Pipelines zunächst im Wasser gelöst, bevor es an die Oberfläche gelangte.
Die Menge von 445.000 bis 485.000 Tonnen Methan, die aus den Lecks der Nord-Stream-Pipelines insgesamt freigesetzt wurde, entspricht nach Angaben des UN-Umweltprogramms 0,1 Prozent der menschengemachten Methan-Emissionen für 2022. Im Verhältnis zu den Methanemissionen aus dem Erdgassektor für 2022 sind es 1,2 Prozent. Im Verhältnis zu den Methanemissionen aus der Landwirtschaft für 2022 sind es 0,3 Prozent. „Die Analyse zeigt, dass es wichtig ist, sich ergänzende Beobachtungs- und Abschätzungsmethoden zu berücksichtigen, um die Methanemissionen zu beschreiben. Dies war der Schlüssel zur Bewertung der Menge an Methan, die während des Nord Stream-Lecks emittiert wurde“, sagt Dr. Andrea Hinwood, leitende Wissenschaftlerin beim UNEP. Um die Emissionen der Nord Stream-Lecks abzuschätzen, nutzte IMEO technische Berechnungen basierend auf Angaben zum Druck in den Pipelines sowie verschiedene Quellen von Methandaten wie Messtürme, Satelliten, Meeresbeobachtungen und die luftgestützten Messdaten des DLR.
Methan „schnüffeln“ über dem Meer
Die kurzfristig organisierte Flugmesskampagne fand am 5. Oktober 2022 in enger Kooperation mit dem Institut für Flugführung (IFF) der Technischen Universität Braunschweig statt. Insgesamt konnten die Forschenden zwei Hubschrauberflüge mit einer Schleppsonde ausgehend von der polnischen Küste bei Kolberg unternehmen. Das IFF betreibt die hubschraubergetragene Schleppsonde HELiPOD mit umfangreicher Technik für atmosphärische Messungen. Der HELiPOD wird als Schlingenlast an einem rund 25 Meter langen Seil unter dem Hubschrauber geflogen. Für die Flüge im Herbst 2022 war dieser zusätzlich mit einem Methaninstrument des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre bestückt. Eine wichtige Hilfestellung leistete das Technische Hilfswerk Braunschweig (THW) bei der kurzfristigen logistischen Vorbereitung der Messungen. Den Hubschrauber stellte die polnische Firma Helipoland zur Verfügung. „Wir freuen uns, dass durch die Bereitstellung der Schleppsonde HELiPOD diese Messungen möglich gemacht werden konnten. Dieses einzigartige Forschungsgerät kann flexibel mit unterschiedlichster Sensorik ausgestattet und nahezu weltweit eingesetzt werden. Mit einer Länge von rund fünf Metern und einem Abfluggewicht von bis zu 300 Kilogramm bietet es Platz für vielfältige Messtechnik zum Beispiel für die Erfassung von Luftdaten, Partikeln und Feinstaub, Oberflächeneigenchhaften, sowie Gasen wie Methan. In Verbindung mit einem hochentwickelten System zur Messdatenaufbereitung und -speicherung können somit wichtige Forschungsdaten gewonnen werden,“ erläutert Prof. Dr.-Ing. Peter Hecker, Leiter des Instituts für Flugführung an der TU Braunschweig.
Globale, öffentliche Datenbank für Methanemissionen
Methan ist verantwortlich für etwa ein Drittel der globalen Erwärmung durch Treibhausgase und damit nach Kohlenstoffdioxid das zweitwichtigste anthropogene Treibhausgas. Der Weltklimarat drängt darauf, die Methan-Emissionen bis 2030 um mindestens 30 Prozent zu senken, um das Limit für die globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius in Reichweite zu halten. Um die Entwicklung effektiver Maßnahmen zur Verringerung der Methan-Emissionen zu stärken, baut IMEO unter dem Dach des UN-Umweltprogramms eine globale, öffentliche Datenbank für Methanemissionen auf. Das DLR hat im Rahmen von IMEO bereits mehrere Flugprojekte durchgeführt, unter anderem in großen Erdöl- und Erdgasfördergebieten in Afrika und auf der arabischen Halbinsel, sowie in europäischen Kohlebergbauregionen.