Neue Einblicke in das Entstehen kleinster Wolkenpartikel in der Arktis Wissenschaftler*innen aus Braunschweig und Leipzig untersuchten Partikelneubildung über Spitzbergen
Mobile Messgeräte ermöglichen die Untersuchung von atmosphärischen Prozessen in höheren Luftschichten, die von klassischen Messstationen am Boden bisher nicht erfasst werden. Die luftgetragenen Flugsysteme leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Ursachen des Klimawandels in der Arktis. Ein Team von deutschen Forscher:innen hat in den vergangenen Wochen über Spitzbergen zwei dieser Methoden kombiniert: Es wurden zeitgleich Messungen von meteorologischen Parametern und kleinsten Aerosolpartikeln mit einem Fesselballonsystem und einem unbemannten Flugzeug durchgeführt. Dabei wurden bereits einige Fälle beobachtet, in denen diese Neubildungsprozesse in größeren Höhen, teilweise sogar zwischen Wolkenschichten, stattfanden und somit für Bodenstationen unsichtbar waren. Diese Partikel können z.B. die Bildung von Wolken beeinflussen und damit einen Einfluss auf den Klimawandel haben. Weshalb sich die Arktis sehr viel schneller erwärmt als andere Regionen der Erde, ist allerdings bisher immer noch ungeklärt.
In den letzten Jahren ist die Arktis mehr und mehr in den Fokus der Klimaforschung gerückt, da sich die bisher beobachteten Klimaänderungen dort deutlich stärker auswirken als in anderen Regionen. Die Ursachen dafür liegen unter anderem in komplexen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Meereis und Ozean und sind schwierig zu quantifizieren und in Modellen abzubilden. Um das Verständnis für diese Prozesse und Wechselwirkungen zu verbessern, muss verstärkt vor Ort gemessen werden. Nur wenige kontinuierlich messende Stationen und mobile Messungen mit Schiffen und Flugzeugen sind bislang als Datenbasis verfügbar und liefern die notwendigen Parameter für Analysen und Modellierung.
Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Braunschweig (TU Braunschweig) und des Leibniz-Institutes für Troposphärenforschung Leipzig (TROPOS) haben nun von Mitte Mai bis Mitte Juni 2024 in Ny-Ålesund auf Spitzbergen Messungen mit einem unbemannten Flugsystem und einem Fesselballon durchgeführt. Unterstützt werden sie vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, das auch die Französisch-Deutsche Forschungsbasis AWIPEV in Ny-Ålesund mitbetreibt.
In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt mit dem Namen „Aerosolvariabilität und Wechselwirkung mit den Umgebungsbedingungen auf der Grundlage der kleinräumigen vertikalen und horizontalen Verteilung von Messungen in der Arktis“ (AIDA) wird vor allem der Zusammenhang zwischen kleinräumigen Luftbewegungen und der Bildung von kleinsten luftgetragenen Aerosolpartikeln untersucht, die sich aus Gasen bilden können. Da diese kleinen Partikel weiter anwachsen können und dann Licht streuen sowie zur Entstehung von Wolken beitragen, spielen sie für das Klima eine große Rolle.
In dem Projekt kamen das unbemannte Flugzeug ALADINA sowie das Ballonsystem BELUGA zum Einsatz. ALADINA (Application of Light-weight Aircraft for Detecting IN-situ Aerosol) ist ein unbemanntes Flugzeug (Unmanned Aircraft System – UAS) vom Typ „Carolo P360“, das am Institut für Flugführung der TU Braunschweig entwickelt wurde. Es hat eine Flügelspannweite von 3,6 Metern, wiegt 25 Kilogramm und kann bis zu 4,5 Kilogramm Nutzlast transportieren. Der Akku erlaubt eine Flugzeit von bis zu 40 Minuten und eine Geschwindigkeit von bis zu über 100 Kilometern pro Stunde. Im Einsatz war das unbemannte Forschungsflugzeug bereits mehrfach – so unter anderem in der TROPOS-Messstation Melpitz bei Torgau (Sachsen), am Flughafen Berlin Brandenburg sowie in Benin in Westafrika und in Spitzbergen im Jahre 2018. Die Besonderheit dieses Flugzeugs liegt vor allem in seiner Ausstattung mit Partikelmessgeräten, die am TROPOS miniaturisiert wurden.
Das Ballonsystem BELUGA (Balloon-bornE moduLar Utility for profilinG the lower Atmosphere) besteht aus einem 90 Kubikmeter großen Fesselballon, der bis zu 20 Kilogramm Nutzlast tragen kann, sowie einer Vielzahl an Messplattformen, die speziell dafür entwickelt wurden und modular verwendbar sind. BELUGA wurde bereits während mehrerer Messkampagnen in der Arktis eingesetzt: zuerst 2017 während der Polarsternfahrt PASCAL, in der zunächst meteorologische und Turbulenzparameter betrachtet wurden. Im Rahmen des Driftexperimentes MOSAiC kam der Ballon erstmals in Kombination mit der neu entwickelten Aerosolmessplattform CAMP (Cubic Aerosol Measurement Platform) zum Einsatz sowie mit weiteren Geräten u.a. zur Messung der Sonnenstrahlung oder zur Sammlung von Partikeln auf einem Filter für die spätere Analyse. Diese verschiedenen Plattformen wurden im Anschluss bei einer Messkampagne in Ny-Ålesund eingesetzt, in der Ballonaufstiege während verschiedener Jahreszeiten durchgeführt wurden.
Erstmals zwei Flugsysteme für Messkampagne kombiniert
Die 2024er Messkampagne schließt sich an eine Reihe von arktischen Studien an, die mit beiden Systemen bereits einzeln durchgeführt wurden. In der Messkampagne zum Projekt AIDA wurden die Systeme erstmals miteinander kombiniert, um so die dreidimensionale Verteilung kleinster Aerosolpartikel über dem orographisch inhomogenen Kongsfjord zu bestimmen. Während BELUGA reine Vertikalprofile durchführte, konnte ALADINA zeitgleich die horizontale Variabilität untersuchen. BELUGA hat den Vorteil, dass es auch in Wolken betrieben werden kann, dafür ist es auf Windgeschwindigkeiten von maximal 5 Meter pro Sekunde am Boden limitiert. ALADINA fliegt unter Sichtflugbedingungen, dafür bei Windgeschwindigkeiten bis zu 15 Meter pro Sekunde. Insgesamt konnte an 4 Tagen mit beiden Systemen parallel gemessen werden. Dazu hat jedes System für sich an bis zu 5 weiteren Tagen gemessen. Da beide Systeme unterschiedliche Einschränkungen haben, was die Messbedingungen betrifft, konnte durch die Kombination eine größere Anzahl von Messtagen abgedeckt werden als mit jedem der Systeme allein. ALADINA war während der Kampagne auf Spitzbergen an 9 Messtagen im Einsatz. Dabei kamen 136 Profile bei 40 Flügen und 35 Flugstunden zusammen. Beim Fesselballon BELUGA kamen 8 Flugtage und 90 Profile zusammen.
Verschiedene Szenarien zur Partikel-Neubildung
Die Messkampagne hat bisher gezeigt, dass es verschiedene Szenarien gibt, die zur Neubildung von Partikeln in der Atmosphäre führen:
Einen sehr interessanten Fall stellte die beobachtete Partikelneubildung zwischen zwei Wolkenschichten dar, die dort mit dem Fesselballon BELUGA und parallel vom Observatorium auf dem Zeppelinberg beobachtet werden konnten. Diese Schicht kleinster Aerosolpartikel hat sich nach Auflösung der Wolken langsam abgesenkt und konnte am Ende des Tages am Boden detektiert werden.
Mit ALADINA konnte zudem ein Tag erfasst werden, bei dem extrem hohe Konzentrationen der kleinen Partikel in allen Schichten, sogar über den Zeppelinberg hinaus bis auf 900 Meter, auftraten. Dieses Phänomen wurde bei sehr starken Windgeschwindigkeiten beobachtet und mit hoher Variabilität der Partikel in der horizontalen Ausbreitung über dem Kongsfjord.
Beide Teams konnten somit eine Vielzahl von Phänomenen beobachten, die neu gegenüber den vergangenen Kampagnen waren. Gerade die sehr schnell fortschreitende Schneeschmelze und der darauffolgende Beginn des Pflanzenwachstums scheinen das Phänomen der Partikelneubildung sehr stark anzutreiben.
Um die verschiedenen Prozesse, die zur Bildung neuer Partikel führen können, zu verstehen, ist eine detaillierte Auswertung der Messdaten notwendig, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler während der nächsten Monate beschäftigen wird.