Isolieren ohne Nebenwirkungen TU Braunschweig unterstützt Entwicklung klimafreundlicher Leistungsschalter
In elektrischen Schaltungen findet das Fluorgas SF6 breite Anwendung. Schwefelhexafluorid, eine Verbindung der Elemente Schwefel und Fluor, ist ein sehr reaktionsträges und elektronegatives Gas. Es eignet sich deshalb besonders gut als Schaltgas in Schaltgeräten und -anlagen. Der Haken dabei: Das Gas gilt als Klimakiller. In einem neuen Industrieprojekt erforscht die Technische Universität Braunschweig fluorgasfreie Leistungsschalter für den Hochspannungsbereich.
SF6 hat viel zu bieten: Das Gas vereint gute elektrische Lösch- und Isoliereigenschaften, chemische Trägheit, hohe Temperaturbeständigkeit und Ungiftigkeit. Mit diesen Eigenschaften hat es sich in der Energiewirtschaft bewährt. Problematisch wird es jedoch, wenn das Gas in die Atmosphäre gelangt. Denn es besitzt ein riesiges Treibhausgaspotenzial mit einem CO2-Äquivalent von 25.184 – eine Tonne SF6 entspricht der Klimawirkung von 25.184 Tonnen CO2. Zum Vergleich: Methan hat ein CO2-Äquivalent von 27 (IPCC). Demnach gilt es als besonders klimaschädliches Gas; der Beitrag am Treibhauseffekt ist mit dem Blick auf Kohlendioxid, Methan und Lachgas jedoch vergleichsweise gering (Umweltbundesamt). Nichtdestotrotz besteht Handlungsbedarf: Die Europäische Kommission geht von einer steigenden Nachfrage nach SF6 in den kommenden Jahrzehnten aus. Gründe sind das erwartete Wachstum des Marktes für elektronische Geräte und der Netzausbau zur Anbindung erneuerbarer Energien.
Das elenia Institut für Hochspannungstechnik und Energiesysteme an der TU Braunschweig entwickelt in Kooperation mit der Schweizer PFIFFNER-Gruppe fluorgasfreie Leistungsschalter für den Hochspannungsbereich. Ziel ist es, ein Alternativmedium mit einem Treibhausgaspotenzial <1 zu qualifizieren. Von Hochspannung spricht man in der Energietechnik ab einer Spannung von 36.000 Volt. Im Hochspannungsbereich ist das Verteil- und Übertragungsnetz aktiv. Durch die hohen Spannungen sind auch entsprechend hohe Anforderungen ans Isoliermedium innerhalb der Geräte gefragt, wobei der Markt besonders im höheren Spannungssegment fast ausschließlich Geräte mit Fluorgasen anbietet. Zum Einsatz kommt Hochspannungstechnik beispielsweise bei der Versorgung kleinerer Städte, Überlandleitungen und beim Anschluss größerer Industriebetriebe.
Innerhalb der nächsten drei Jahre begleiten die Forschenden die Entwicklung eines Leistungsschalters zusammen mit Schweizer Kolleg*innen der Ostschweizer Fachhochschule und der FH Nordwestschweiz. „Aufgrund der Expertise des elenia im Bereich der Schaltgeräteentwicklung unterstützen wir die PFIFFNER-Gruppe bei der Entwicklung des fluorgasfreien Leistungsschalters und führen projektbegleitende Untersuchungen in den modernen Versuchseinrichtungen des Instituts durch“, sagt Patrick Vieth, wissenschaftlicher Mitarbeiter am elenia.
Über das Treibhausgas SF6
Ein bedeutender Einsatzbereich von SF6 sind elektrische Anlagen, darunter Schaltanlagen und -geräte, Messwandler, gasisolierte Leitungen, Hochspannungsdurchführungen, Kondensatoren und Windkraftanlagen. Weitere Anwendungsgebiete sind Schallschutzfenster, Löschmittel oder Ätzmittel in der Halbleiterproduktion. Kritisch ist der Einsatz des Gases zum einen durch seinen hohen Treibhauseffekt und zum anderen die hohe chemische Stabilität. Es baut sich in der Atmosphäre nur sehr langsam ab – es verbleibt ca. 3.200 Jahre in der Atmosphäre. Das Treibhausgas Kohlendioxid dagegen nur 120 Jahre.
Im April 2022 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Novellierung der europäischen F-Gase-Verordnung verfasst. Ziel ist, dass der Einsatz dieser stark klimaschädlichen Gase vermieden wird und bis 2030 die Emissionen um 55 Prozent gesenkt werden.