8. Januar 2025 | Magazin:

Wachhunde und Fürsprecher Professorin Monika Taddicken zur Wissenschaftskommunikation in Krisenzeiten

Christian Drosten, Sandra Ciesek, Viola Priesemann, Melanie Brinkmann – sie gehören zu den Gesichtern der Covid-19-Pandemie. Sie sind die Stimmen der Wissenschaft, die die öffentliche Debatte prägten. Die Expert*innen stellten Informationen über die Krankheit, ihre Verbreitung sowie Präventions- und Schutzmaßnahmen bereit – und nutzten dafür auch ihre eigenen Social Media-Kanäle. Wie wirkte diese direkte Kommunikation und wie veränderte sie die Wissenschaftskommunikation? Das ist Thema des DFG-geförderten Projekts „Wissenschaftskommunikation in Pandemien: Die Rolle der öffentlichen Beteiligung an Social Media Diskussionen“. Über die Ergebnisse haben wir mit Professorin Monika Taddicken, Leiterin des Instituts für Kommunikationswissenschaft an der TU Braunschweig, gesprochen.

Professorin Monika Taddicken. Bildnachweis: Simone Fürst/TU Braunschweig

Frau Professorin Taddicken, worum ging es in Ihrer Untersuchung konkret?

Ausgangspunkt unseres Projekts war die Erkenntnis, dass die direkte Kommunikation von Wissenschaftler*innen über ihre eigenen Social Media-Kanäle eine bedeutende Rolle für die öffentliche Debatte spielt. Während der Pandemie hat diese Kommunikation auch das Verhalten und die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen beeinflusst. Unsere Hauptfragen waren: Wie beteiligen sich die Wissenschaftler*innen? Wie treten sie mit der Öffentlichkeit in Kontakt? Und wie unterscheidet die Öffentlichkeit die echten Wissenschaftler*innen von den scheinbaren Expert*innen?

Das klingt spannend. Für Ihre Studie haben Sie Twitter-Beiträge ausgewertet. Was haben Sie dabei herausgefunden?

Wir haben rund 42.000 Twitter-Beiträge in sechs verschiedenen Zeiträumen durch eine Kombination aus manuellen Codierungen und automatisierten Analysen auf Basis maschinellen Lernens untersucht. Dadurch konnten wir unterschiedliche Erkenntnisse gewinnen, zum Beispiel konnten wir belegen, dass Wissenschaftler*innen in ihren Tweets auf wissenschaftliche Evidenz zurückgriffen, während Lai*innen anekdotische Evidenz im Sinne persönlicher Erlebnisse nutzten.

Die Analyse des Twitter-Diskurses von acht Virolog*innen, die wir in einem mehrstufigen aufwändigen Verfahren als die besonders relevanten identifziert haben – darunter Christian Drosten, Melanie Brinkmann und Sandra Ciesek – zeigt, dass sie in 15 Prozent der Tweets auf wissenschaftliche Evidenz, also wissenschaftliche Studien, Statistiken oder Methoden eingingen. Hier hatten wir etwas mehr erwartet.

Dies lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass Twitter (heute: X) keine Kommunikationsplattform ist, auf der man in epischer Länge sein Wissen beschreiben kann. Wir haben jedoch damals extra Twitter für unsere Untersuchung ausgewählt, weil es als „Eliteplattform“ Journalist*innen und politische Akteur*innen erreichte, aber während der Pandemie auch von der breiten Öffentlichkeit genutzt wurde, sei es direkt oder indirekt. Und diese acht Virolog*innen waren auch besonders sichtbar und sind über die Zeit hinweg immer sichtbarer geworden.

Ebenfalls konnten wir beobachten, dass der Anteil evidenzbasierter Kommunikation im Lauf der Zeit angestiegen ist – von zehn auf 23 Prozent – und dass diese Tweets auch häufiger geteilt wurden. Das ist nicht nur ein spannendes Ergebnis, sondern wir fanden es auch ermutigend, da ein weiteres zentrales Ergebnis ja war, dass Evidenz auf Twitter häufiger geteilt und damit weiter verbreitet wurde.

Untersucht haben Sie auch, welche Rolle die kommunizierenden Wissenschaftler*innen eingenommen haben.

Wir haben beobachtet, dass sich die Rolle der Wissenschaftler*innen von reinen Evidenzgeber*innen zu Kommunikator*innen ausgeweitet hat. Neben dem Teilen von wissenschaftlichen Erkenntnissen haben sie auch Handlungsaufrufe und Medienkritik formuliert.

Wir haben die Beiträge der Wissenschaftler*innen unter anderem den Rollen „Wachhunde der Medien“ und „Fürsprecher“ zugeteilt. Die Wachhunde beziehen sich häufig auf die Medienberichterstattung und bewerten diese, was wir nicht unbedingt erwartet hatten. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass viele Wissenschaftler*innen auch proaktive Handlungsaufrufe an die Gesellschaft und die Politik formuliert haben, wie zum Beispiel, dass Hygienemaßnahmen eingehalten werden sollten. Das zeigte ebenfalls eine neue Dimension ihrer Rolle, die durch das Zusammenfallen einer Ausnahmesituation, nämlich der Pandemie, und den enormen Möglichkeiten der Kommunikation in den sozialen Medien geprägt ist.

Im Zeitverlauf war aber – vielleicht aufgrund von Lerneffekten – eine Rückkehr zu einem traditionelleren Rollenverhalten erkennbar, bei dem stärker auf die Verbreitung von Informationen gesetzt wurde. Auch der Emotionalisierungsgrad der Beiträge nahm im Zeitverlauf ab.

Neben den Tweets haben Sie YouTube-Videos analysiert. Wie sind Sie dabei vorgegangen und was waren die Ergebnisse?

Wir haben Videos von echten und scheinbaren Expert*innen miteinander verglichen, die in einer vorherigen Befragung mit knapp 1.000 Befragten als besonders vertrauenswürdig beurteilt worden waren. Dazu haben wir Interviews mit Nutzer*innen geführt, indem wir ihnen Videoausschnitte gezeigt haben – je zwei von echten Expert*innen und zwei von scheinbaren Expert*innen. Wir wollten von den Befragten wissen, woran sie festmachen, ob sie den Expert*innen im Video glauben oder nicht. Dabei haben wir festgestellt, dass Authentizität, zum Beispiel im Kommunikationsstil, und der Kontext, in dem Wissenschaftler*innen auftreten, für die Befragten von großer Bedeutung sind. Viele hatten detailliert im Kopf, wie sich Wissenschaftler*innen verhalten sollten, und haben dieses Bild genutzt, um ihre Meinungen mit Hilfe eines Abgleichs mit ihren Erwartungen zu validieren.

Dieser Erwartungsabgleich half den Befragten in vielen Fällen auch, echte von scheinbaren Expert*innen zu unterscheiden, da die scheinbaren Expert*innen vielfach bestimmten Erwartungen nicht gerecht wurden. Wurden sie aber zum Beispiel als authentisch wahrgenommen, fiel die Identifikation als nur scheinbarer Experte oder scheinbare Expertin deutlich schwerer.

Sobald die Expert*innen in formelleren Kontexten gesessen haben, zum Beispiel in einem Fernsehstudio oder auf der Bundespressekonferenz, wurde dies auch immer direkt als Kriterium für Vertrauenswürdigkeit genannt, ebenso wie beispielsweise das Medienlogo eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtensenders. Es wurde also anerkannt, dass Journalismus eine Gatekeeping-Funktion hat und Vertrauenswürdigkeit besser herstellen kann.

Warum haben Sie gerade die Plattformen YouTube und Twitter untersucht?

Twitter haben wir gewählt, weil dort viele Akteur*innen aktiv sind, die als Multiplikator*innen fungieren – also Journalist*innen, Wissenschaftskommunikator*innen, Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, und weil es eine gute Möglichkeit zur Interaktion mit der Öffentlichkeit bietet. YouTube wiederum ist audiovisuell und für viele – insbesondere, aber nicht ausschließlich junge – Menschen eine wichtige Informationsquelle.

Was waren die größten Schwierigkeiten oder Herausforderungen bei Ihrer Studie?

Eine der größten Herausforderungen bestand darin, dass während der Pandemie viele Fakten zunächst unklar waren. Die Unsicherheit über bestimmte Themen führte zu einer Grauzone, in der Informationen oft nicht richtig eingeordnet werden konnten. Uns fehlte oft der spezifische fachliche Hintergrund, um zwischen echten und scheinbaren Expert*innen zu unterscheiden. Aus diesem Grund haben wir einen sehr aufwändigen Ansatz gewählt, um Expert*innen zu identifizieren, der aus unterschiedlichen Stufen bestand und unter anderem Affiliation und aktuelle Publikationstätigkeit umfasste.

Das „Schwurbeln“ der scheinbaren Expert*innen beinhaltet oft, dass Informationen, die an sich vielleicht nicht falsch sind, in einen falschen Kontext gestellt werden. Oder es werden Dinge weggelassen und dadurch entsteht ein falscher Eindruck.

Eine Studie steht bei uns in Braunschweig noch aus. Bei unseren Youtube-Analysen haben wir beobachtet, dass zahlreiche fake experts wissenschaftliche Grafiken verwenden. Hier wollen wir in einem Experiment untersuchen, inwieweit diese wissenschaftliche Darstellung tatsächlich beeinflusst, ob etwas vertrauenswürdig ist oder nicht, auch wenn der Inhalt an sich eigentlich eher dubios ist.

Gibt es Anzeichen dafür, dass Algorithmen der Social Media-Plattformen einen Einfluss auf die Wissenschaftskommunikation hatten?

Das konnten wir nicht konkret nachweisen. Zwar haben wir beobachtet, dass Twitter-Bots automatisch Inhalte teilen, aber wir können keine definitiven Aussagen darüber treffen, ob sie einen positiven oder negativen Einfluss auf die Verbreitung von evidenzbasierten Tweets hatten.

Macht es einen Unterschied, ob die Wissenschaftler*innen über ihre eigenen Kanäle kommunizieren oder ihre Aussagen über den Twitter-Account der Institutionen, also beispielsweise einer Universität veröffentlicht werden?

Unser Fokus lag auf der Einzelkommunikation von Wissenschaftler*innen, weil wir herausfinden wollten, wie diese Einzelpersonen in sozialen Medien agieren und kommunizieren. Twitter hatte da eine interessante Dynamik, weil es oft informelle Kommunikation ermöglichte und viele Personen nicht nur als Wissenschaftler*innen auftraten, sich also Beruf und Privatleben vermischten. Für viele war es eine Austauschplattform, die X so in der Form nicht darstellt.

In Ihrer Studie haben Sie auch festgestellt, dass akademische Titel bei der Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen eine Rolle spielen. Wie wichtig sind solche Titel?

Titel wie Doktor oder Professor sind klassische Indikatoren für Vertrauen. In unseren Studien wurde deutlich, dass die Erwähnung solcher Titel beim Publikum die Wahrnehmung der Expertise verstärken kann. Ebenso auch die Nennung der Institution oder der Exzellenz der Institution, wie beispielsweise Elite-Universität Harvard. Diese Aspekte sind entscheidend für die Glaubwürdigkeit.

Außerdem können Wissenschaftler*innen die Vertrauenswürdigkeit steigern, wenn sie sich auf wissenschaftliche Studien statt auf persönliche Beispiele beziehen. Unverständliche wissenschaftliche Fachbegriffe hingegen mindern die Vertrauenswürdigkeit.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit in die Wissenschaft basiert oft auch auf der Idee, dass sie neutral sei. Welche Reaktionen haben Sie dazu in Ihrer Studie erhalten?

In den Interviews äußerten viele Teilnehmer die Erwartung, dass Wissenschaftler*innen objektiv bleiben sollten. Gleichzeitig haben wir die Erfahrung gemacht, dass Aussagen, die eine emotionale Wirkung erzeugen, positiv bewertet werden. So haben wir beispielsweise auch einen Video-Ausschnitt von Professorin Melanie Brinkmann gezeigt, in dem sie sich nicht wissenschaftlich äußert. Die Reaktion war oft: ‚Sie spricht mir aus der Seele‘. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen neutraler Wissenschaft und der Verantwortung, sich zu äußern.

Während der Pandemie gab es viele Diskussionen darüber, ob sich Wissenschaftler*innen zu sehr in die Politik einmischen. Glauben Sie, dass dies der Wahrhaftigkeit der Wissenschaft schadet?

Ja, ich glaube schon, dass das schaden kann. Die kurzfristige Einmischung kann zwar überzeugend sein, aber langfristig kann sie das Vertrauen in die Wissenschaft untergraben. Unseren Analysen nach erwartet die Öffentlichkeit von Wissenschaftler*innen, dass sie einen neutralen Ankerpunkt bieten. Sie sollen sich nicht einfach in jede Diskussion einmischen, sondern ihre Positionen klar darstellen, wenn sie diese ändern oder aufgeben. Auf der anderen Seite habe ich auch Rückmeldungen erhalten, die ich auch gerechtfertigt finde, dass man doch gerade von den Expert*innen einen Ratschlag, eine Einordnung, eine Meinung oder Haltung erwartet.

Unabhängigkeit ist für die Integrität ebenfalls von großer Bedeutung, insbesondere wenn es um Drittmittelgeber geht. So haben wir festgestellt, dass das Vertrauen in Forschungsinstitute, die mit der Wirtschaft verbunden sind, signifikant niedriger ist.

Was halten Sie von der Erwartung, dass Wissenschaftler*innen sich in den Medien äußern sollten, auch wenn sie ungern mit der Öffentlichkeit kommunizieren?

Ich finde nicht, dass das notwendig ist. Ich werde oft gefragt, ob jetzt jeder einen YouTube-Kanal oder einen Instagram-Account haben muss. Ich glaube nicht, dass es aus Sicht der Öffentlichkeit sinnvoll ist, wenn wir nur immer mehr individuelle Kommunikation haben. Institutionalisierte Kommunikation ist genauso wichtig. Wir brauchen eine gebündelte Kommunikation, gerade wenn es um Themen geht, die die breite Öffentlichkeit betreffen.

Und trotzdem soll es auch weiterhin einzelne Wissenschaftler*innen geben, die sich direkt an die Öffentlichkeit wenden. Durch diesen direkten Kontakt kann auch die Distanz zwischen Lai*innen, Öffentlichkeit und Wissenschaft, die ja relativ hoch ist, überbrückt werden.

Meine Meinung ist, dass nicht jede*r selbst kommunizieren muss, aber die, die es wollen, sollten dabei unterstützt werden. Zum Beispiel mit Informationen über potentielle Wirkungen ihrer Kommunikation in der Öffentlichkeit.

Abschließend noch die Frage: Was kann Wissenschaftskommunikation leisten, um Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken?

Wissenschaftskommunikation sollte darüber informieren, was warum gemacht wird und wie der Stand der Dinge ist. Neben der Darstellung von Expertise sind Transparenz und Dialogorientierung zentral. Im Zeitalter von Social Media erwartet die Öffentlichkeit mehr Transparenz zur Arbeit der Wissenschaftler*innen. Es ist wichtig, dass Wissenschaftler*innen offen für Rückmeldungen und bereit sind, in den Dialog zu treten.