Von Irrfahrten und anderen Zufällen Sebastian Andres ist neuer Professor am Institut für Mathematische Stochastik
Irrfahrten und andere zufällige Prozesse in zufälligen Umgebungen – darum geht es in der Forschung des Mathematikers Sebastian Andres. Seit Oktober ist Andres Professor am Institut für Mathematische Stochastik an der Technischen Universität Braunschweig. Wozu solche Irrfahrten dienen und was ihn an der Wahrscheinlichkeitstheorie, der Mathematik des Zufalls, fasziniert, erzählt er im Interview.
Herzlich willkommen an der TU Braunschweig! Warum haben Sie sich für unsere Universität entschieden?
Ich bin Mathematiker und arbeite im Bereich der Wahrscheinlichkeitstheorie, der Mathematik des Zufalls, wobei mein eigenes Forschungsgebiet auch viele Verbindungen zu anderen mathematischen Disziplinen aufweist, zum Beispiel zur Mathematischen Analysis. Ausschlaggebend für den Wechsel nach Braunschweig waren für mich in erster Linie die sehr guten Arbeitsbedingungen und das wissenschaftliche Umfeld an der TU Braunschweig, das für mich viele spannende Kooperationsoptionen bietet, sowohl innerhalb der Wahrscheinlichkeitstheorie als auch darüber hinaus. Nicht zuletzt ergab sich für mich durch die Annahme der Professur hier auch die Möglichkeit, nach sieben Jahren im Vereinigten Königreich nach Deutschland zurückzukehren.
Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung? Wie würden Sie Ihre Arbeit einer Person erklären, die nicht mit dem Thema vertraut ist?
Ich untersuche Irrfahrten und andere zufällige Prozesse in zufälligen Umgebungen. Man stelle sich zum Beispiel ein Gitter vor, das aus Knoten und Kanten besteht, wobei man jeder Kante zufällig ein Gewicht zuordnet. Dann betrachtet man einen Partikel, der zufällig auf den Knoten umherspringt, wobei er sich für seine jeweils nächste Position einen der benachbarten Knoten zufällig aussucht, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit, die proportional ist zu dem Gewicht auf der entsprechenden Kante.
Solche Irrfahrten dienen unter anderem als Modell, um Transportprozesse durch ein Medium zu beschreiben. Man denke beispielsweise an die Wärrmeleitfähigkeit in porösen Medien oder in Verbundwerkstoffen oder an die elektrische Leitfähigkeit von Metallen mit Verunreinigungen. Solche Medien sind typischerweise heterogen auf mikroskopischer Skala, das heißt sie sind zusammengesetzt aus verschiedenen Materialien. Diese mikroskopischen Strukturen solcher heterogenen Medien können häufig nur statistisch beschrieben werden, weshalb man sie als eine zufällige Umgebung modellieren kann. Wenn man nun solche Irrfahrten auf sehr großen, also makroskopischen Raum- und Zeitskalen betrachtet, beobachtet man typischerweise, dass die mikroskopische Inhomogenitäten herausgemittelt werden und ein Homogenisierungseffekt auftritt, so dass das effektive makroskopische Verhalten durch einen viel einfacheren Prozess in einer homogenen Umgebung beschrieben werden kann. In meiner Forschung untersuche ich unter anderem, wann diese Homogenisierungseffekte auftreten.
Mit welchen Forschungsschwerpunkten und Projekten werden Sie sich an der TU Braunschweig auseinandersetzen?
Bisher wurden solche Irrfahrten und Homogenisierungsfragen in erster Linie auf festen Gittern angeschaut. Eines meiner Forschungsthemen in den nächsten Jahren wird sein, Homogenisierungsprobleme auf anderen – insbesondere auch zufälligen – geometrischen Strukturen zu studieren, an denen unter anderem auch Kolleg*innen aus einer anderen Arbeitsgruppe am Institut für Mathematische Stochastik forschen. Ich hoffe natürlich, hierbei auf deren Expertise zurückgreifen zu können.
Irrfahrten in zufälliger Umgebung treten außerdem – etwas überraschend – in einigen Modellen in der statistischen Mechanik auf, einem Teilgebiet der Mathematischen Physik. Aufgrund dieser Beziehungen ist es mitunter möglich, solche Homogenisierungsresultate zu nutzen, um Aussagen über diese physikalische Modellen herzuleiten. Ich denke, dass ich hier in den nächsten Jahren weitere Beiträge liefern kann. Das starke naturwissenschaftliche Profil der TU Braunschweig wird hier hilfreich sein. Darüber hinaus hoffe ich meine Erfahrungen im Bereich der Doktorandenausbildung, insbesondere bei der Koordination von Graduiertenprogrammen, auch an der TU Braunschweig einbringen zu können.
Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Bereich zu forschen?
Irrfahrten in zufälliger Umgebung sind ein sehr aktives Forschungsgebiet in der Wahrscheinlichkeitstheorie bereits seit den 1970er Jahren. Ich selbst habe erst nach Abschluss meiner Promotion im Jahr 2009 angefangen, mich damit zu beschäftigen.Im Rahmen meiner ersten Stelle als Postdoktorand an der University of British Columbia in Vancouver bekam ich die Chance, zusammen mit führenden Experten an einem Projekt in diesem Gebiet zusammenzuarbeiten. Ich persönlich finde das Thema spannend, zum einen weil es reich an faszinierenden mathematischen Phänomenen ist, zum anderen weil enge Verbindungen zu verschiedenen Teilgebieten der Mathematik bestehen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten aus?
Viel Abwechslung und Variation: Mein Arbeitsalltag ist insgesamt sehr abwechslungsreich. In der Vorlesungszeit steht eher die Durchführung und Koordination von Lehrveranstaltungen und administrative Tätigkeiten im Vordergrund. Auf der anderen Seite bin ich während der Semesterferien oft viel national und international unterwegs, zum Beispiel auf Konferenzreisen oder Forschungsaufenthalten an anderen Universitäten, um mich mit Kolleg*innen auszutauschen und Forschungsprojekte mit Kooperationspartner*innen voranzutreiben. Im Sommer 2022 zum Beispiel war ich im Rahmen einer Gastprofessur für drei Monate in Kyoto.
Kommunikation: Wenn sie sich einen Mathematiker vorstellen, haben viele Menschen spontan jemanden vor Augen, der einsam vor sich hin brütend über mathematische Probleme nachdenkt. Das ist natürlich auch ein Teil des Jobs, nimmt aber einen vergleichsweise sehr kleinen Teil in meinem Arbeitsalltag ein, der sehr stark von Kommunikation geprägt ist; sei es in Form von Vermittlung von Lehrinhalten in Vorlesungen, beim Anleiten von Studierenden bzw. Doktorand*innen oder durch Verbreitung von Forschungsergebnissen durch Fachvorträge. Ein wesentlicher Bestandteil von mathematischer Forschungsarbeit, bei dem häufig die entscheidenden Fortschritte erzielt werden, besteht aus direktem Ideenaustausch und Diskussionen mit meinen Kooperationspartner*innen.
Geduld, Ausdauer und Hartnäckigkeit zahlt sich aus! Mathematische Forschungsarbeit erfordert oft einen sehr langen Atem. Es gibt oft Phasen ohne direkt messbaren Fortschritt, und ein gewisses Maß an Trial-and-Error-Methodik ist involviert, wobei viele Versuche nicht zum Erfolg führen und an mitunter sehr kleinen Details scheitern. Das kann mitunter frustrierend sein. Die meisten meiner Projekte ziehen sich über mehrere Jahre hin. Aber es zahlt sich aus, besonders in den Momenten, wenn Durchbrüche erzielt werden oder man am Ende das fertige Resultat aufgeschrieben vor sich sieht.