Von belasteten Böden und nachhaltigen Deponien Julia Gebert ist neue Professorin für Abfallwirtschaft und Stoffkreisläufe
„Ich bearbeite Forschungsthemen, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen“, sagt Professorin Julia Gebert. Die Biologin und Bodenkundlerin, die zuvor an der TU Delft in den Niederlanden gearbeitet hat, ist neue Professorin für Abfallwirtschaft und Stoffkreisläufe am Leichtweiß-Institut für Wasserbau der Technischen Universität Braunschweig. In ihrer Forschung verknüpft sie Abfallwirtschaft mit der Schiffbarkeit von Gewässern und dem Küstenschutz. Im Interview mit Bianca Loschinsky und Heiko Jacobs erzählt sie, wieso man Deponien stabilisieren muss, was gereiftes Baggergut ist und was sie bewegt hat, in dem Bereich zu forschen.
Sie haben in den vergangenen acht Jahren an der TU Delft in den Niederlanden gearbeitet und wechseln jetzt nach Braunschweig. Was reizt Sie an der Technischen Universität Braunschweig?
An der TU Braunschweig reizt mich die Möglichkeit, mit vielen Nachbardisziplinen zusammenzuarbeiten, da hier alle relativ nah auf dem Campus beieinander sind. Ich bin eine stark interdisziplinär ausgerichtete Wissenschaftlerin und deswegen ist es für mich wichtig und eine Freude, die Kolleg*innen aus den Natur- und Umweltwissenschaften in räumlicher Nähe und wissenschaftlicher Anbindung zu haben. Darüber hinaus hoffe ich, meine Forschung noch stärker als bisher mit privatwirtschaftlichen oder öffentlichen Partner*innen auch in die Anwendung zu bekommen – ohne den grundlagenwissenschaftlichen Aspekt zu verlieren. Ich denke, dass Braunschweig hierfür ein guter Standort ist!
Mit welchen Nachbardisziplinen würden Sie gern zusammenarbeiten?
Da gibt es viele Anknüpfungspunkte, insbesondere natürlich im eigenen Institut, in den Bereichen Hydrologie, Wasserbau und Küstenschutz. Weiterhin gibt es vielfältige Kollaborationsmöglichkeiten mit der Umweltgeochemie oder der Bodenkunde sowie natürlich der Siedlungswasserwirtschaft.
Ihre Professur ist am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) angesiedelt, was bei der Denomination ja keine Selbstverständlichkeit ist. Sie haben in Hamburg und in Delft ihre Professur in Küstenstädten verbracht. Sehen Sie da Anknüpfungspunkte zu den LWI-Abteilungen?
Eine gute Abfallbewirtschaftung dient immer dem Schutz von Grund- und Oberflächengewässern, zudem gibt es weltweit viele Abfallablagerungen im unmittelbaren Bereich der Küste. Insofern ist die Anbindung der Abteilung am LWI folgerichtig und die Anknüpfung zu den anderen LWI-Abteilungen gegeben.
Ein weiteres Beispiel für ein alle vier Abteilungen verbindendes Thema, mit dem sich meine Forschung auch beschäftigt, sind Gewässersedimente. Sedimente sind ein natürlicher Bestandteil eines Gewässers, können aber auch die Nutzung eines Gewässers als Wirtschaftsweg behindern, wenn sie nach Ablagerung die Wassertiefe einschränken. In unseren Nachbarbundesländern mit Großhäfen wie Bremen oder Hamburg, aber auch im Seehafen Emden, wird genau deshalb viel gebaggert. In Hamburg beispielsweise müssen etwa elf Millionen Tonnen Sediment pro Jahr der Fahrrinne und den Hafenbecken entnommen werden, um den Hafen schiffbar zu halten. Ein Teil hiervon ist infolge der industriellen Aktivitäten im Elbe-Einzugsgebiet belastet und kann nicht im Gewässer umgelagert, sondern muss als Abfall an Land behandelt und entsorgt werden. Insofern keine Verwertungsmöglichkeit gegeben ist, wird das Baggergut deponiert. Wie andere Abfallablagerungen auch, müssen diese Deponien den Anforderungen des Abfallrechts genügen und entsprechend überwacht und Emissionen behandelt werden – und der Brückenschlag vom Sediment zur Abfallwirtschaft ist geschafft!
In Delft haben Sie an Projekten für Küstenstädte auch in Deutschland gearbeitet. Um was geht es da?
Der mit dem Klimawandel verbundene Meeresspiegelanstieg, die Zunahme von Zuständen hoher Abflussereignisse oder Extremwetterlagen sowie die Landabsenkung verursachen gerade in den küstennahen Regionen große Materialbedarfe für das Verbreitern und Erhöhen unserer Deiche. Deshalb befasst sich ein weiterer meiner Forschungsschwerpunkte damit, wie wir aus gebaggertem Sediment Bodenmaterial für den Deichbau im Küsten- und Hochwasserschutz machen können. Damit werden Sedimente als Ressource verwertet und gleichzeitig natürliche Böden, die ansonsten als Erdbaustoff im Deichbau genutzt werden, geschützt.
Dabei findet gereiftes Baggergut Verwendung. Was ist gereiftes Baggergut? Wie können wir uns den Einsatz in der Praxis vorstellen?
Am Gewässergrund ruht Sediment in wassergesättigtem Zustand unter Sauerstoffabschluss und hat ganz andere geotechnische, chemische und biologische Eigenschaften als ein Bodenmaterial, das üblicherweise im Deichbau verwendet würde. Was wir mit dieser Bodenreifung eigentlich erreichen wollen, ist, dass dieses zuvor im Fluss transportierte Sediment biologische, chemische, und physikalische Reifungsprozesse durchläuft und damit in ein bodenähnliches Material transformiert. Es reicht nicht, es einfach nur zu entwässern. Das untersuchen wir aktuell in einem von der Niederländischen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt. Die Untersuchungsstandorte sind jedoch unter anderem auch in Bremen und Hamburg, da die Häfen interessiert sind, Verwertungswege für ihr Baggergut zu finden. Wir untersuchen in sehr großem Feldmaßstab, was diese Reifungsprozesse steuert und wie man sie beschleunigen und optimieren kann, um dem Hochwasser- und Küstenschutz schnell größere Mengen an geotechnisch geeignetem und biochemisch stabilem Material zur Ertüchtigung unserer Deiche zur Verfügung stellen zu können.
Darüber hinaus beschäftigen Sie sich mit der Dekontamination und Stabilisierung von Deponien. Warum muss man Deponien überhaupt stabilisieren?
Abfälle sind reaktiv – durch den mikrobiellen Abbau der im Abfall enthaltenen organischen Substanz sowie die im Abfallkörper ablaufenden geochemischen Prozesse können gefährdende Stoffe über das Deponiesickerwasser und das Deponiegas in die Umwelt gelangen. Um dies zu verhindern und somit unsere Böden, Grund- und Oberflächengewässer und auch das Klima zu schützen, besitzen Deponien Sicherungs-, Fassungs- und Behandlungssysteme. Die biogeochemischen Prozesse in einem Abfallkörper können jedoch über lange Zeiträume anhalten und erfordern daher eine Überwachung von Bauwerk und Umwelt über Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Das widerspricht dem Prinzip der Nachhaltigkeit, denn die Kosten und Risiken werden von den zukünftigen Generationen getragen. Daher ist es das Ziel, den Abfallkörper so weit zu stabilisieren, also reaktionsarm zu machen, dass das Restrisiko für die Umwelt und die menschliche Gesundheit minimiert wird, die Deponie sicher nachgenutzt werden kann und eine langfristige Überwachung nicht mehr erforderlich ist.
Methodisch beruht der Ansatz der Deponiestabilisierung darauf, den biologischen Abbau unter kontrollierten Bedingungen zunächst stark anzukurbeln, und so das Erreichen des stabilen Zustandes schneller herbei zu führen. Dazu werden die Deponien belüftet oder es wird Wasser zugeführt. Im Idealfall sprechen wir von einem Zeitraum von zehn bis 25 Jahren, abhängig von den spezifischen Eigenschaften (wie zum Beispiel der Art des Abfalls) der jeweiligen Deponie.
Das Department Architektur beschäftigt sich stark mit nachwachsenden Rohstoffen und der Wiederverwertung von Baumaterialien. Wie können Sie sich vorstellen, übergreifend mit der Architekturfakultät zusammenzuarbeiten?
Da gibt es viele Ansätze, beispielsweise im Forschungsschwerpunkt „Stadt der Zukunft“. Hier ist es interessant, Häuser zu schaffen, die von außen begrünt werden, so dass die Kühleffekte der Vegetation direkt in das Bauwerk integriert werden. Dasselbe Ziel verfolgt die Entsiegelung von Flächen, welche die Wiederteilnahme auch innerstädtischer Bereiche am Wasserkreislauf ermöglicht. Auch in Delft gibt es ganz tolle Entwürfe, beispielsweise auf dem Campus. Nicht nur aus abfallwirtschaftlicher, sondern auch aus bodenwissenschaftlicher Sicht, gibt es ein großes Potenzial für gute gemeinsame Forschung und Entwurfsanwendungen.
Was hat Sie denn überhaupt dazu bewegt, im Bereich Abfallwirtschaft zu forschen?
Ich bin ursprünglich Biologin und Bodenkundlerin. Die Bodenkunde hat mich zu den Abfalldeponien geführt, denn es ging damals um die Anforderungen an Böden, die als Abdeckschichten auf Deponien eingesetzt werden. In diesen Böden wiederum laufen biologische Prozesse ab, die unter anderem für den Klimaschutz wichtig sind – so kann das im Deponiegas enthaltene Treibhausgas Methan in hierfür optimierten Deponie-Abdeckböden durch Bakterien abgebaut und so die Emissionen in die Atmosphäre vermindert werden.
Die Abfallwirtschaft ist ein sehr interdisziplinäres Feld, das Ansätze und Methoden aus den Geowissenschaften, der Biologie und den Ingenieurwissenschaften vereint und das sowohl Grundlagen- als auch anwendungsorientierte Forschung beinhaltet. Die unterschiedliche Kultur, Sprache und Herangehensweise der beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen finde ich interessant und bereichernd. In dieser Nische fühle ich mich sowohl wissenschaftlich als auch menschlich sehr wohl und schätze die Vielfalt der Themen. Komplexe Fragestellungen erfordern unterschiedliche Expertise und die Integration verschiedener Herangehensweisen. Hierzu würde ich gerne einen Beitrag leisten.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten aus?
Verständigung, Wissenschaft und Ausbildung.