6. April 2020 | Magazin:

Verbessern Gründächer das Klima in der Stadt? Interview mit Professor Stephan Weber vom Institut für Geoökologie

Schlechte Luft, Hitzestau – damit kämpfen bereits seit hunderten von Jahren Stadtbewohnerinnen und -bewohner. Doch mit zunehmender Urbanisierung und Hitzesommern durch den Klimawandel wird die Lebensqualität in den Städten immer stärker beeinträchtigt. Wie urbane Lebensräume gesünder und nachhaltiger gestaltet werden können, darum geht es auch im Forschungsschwerpunkt „Stadt der Zukunft“. Wir haben mit Professor Stephan Weber, Leiter der Arbeitsgruppe Klimatologie und Umweltmeteorologie im Institut für Geoökologie, über die Veränderungen des Stadtklimas und begrünte Dächer gesprochen.

Forscht zum Stadtklima: Professor Stephan Weber vom Institut für Geoökologie. Bildnachweis: Gideon Rothmann/TU Braunschweig

Städte haben ihr ganz eigenes Klima. Das Stadtklima wird von der World Meteorological Organization (WMO) als durch Bebauung und Emissionen gegenüber dem Umland verändertes Lokalklima definiert. Was sind typische Phänomene des Stadtklimas?

Es gibt ein paar recht bekannte Effekte des Stadtklimas, die man selbst auch gut wahrnehmen kann: Überwärmung und Hitzewellen, die unter anderem im Sommer auftreten können. Dann machen sich vor allem fehlende Begrünung und fehlendes Wasser, das Verdunstungskühlung bringt, bemerkbar. Der zusätzliche Hitzeeintrag führt durch die versiegelten Fassaden und Oberflächen zu besonders hohen Temperaturen.

Die Veränderung der Luftqualität ist ein weiterer Effekt, der zu einer Beeinträchtigung führt. Das sollte jedem durch Diskussionen zu Grenzwerten und Grenzwertüberschreitungen bewusst sein. Außerdem spielen veränderte Windverhältnisse in Städten eine Rolle. Wind ist ganz wichtig für den Abtransport von Schadstoffen und für den Ausgleich von Temperaturunterschieden, der in der Stadt durch die Bebauung natürlich auch sehr stark eingeschränkt ist. Durch gewisse Konstellationen können sich jedoch auch Windspitzen bzw. Windböen einstellen. Beispielsweise können in manchen Cafés mit Außenplätzen die Speisekarten vom Tisch verweht werden, weil durch die Anordnung der Gebäude Kanalisierungs-Effekte entstehen. Das sind typische Phänomene.

Zur Mitte des Jahrhunderts werden weltweit zwei Drittel der Menschen in Städten leben. Die zunehmende Urbanisierung und die Auswirkungen des Klimawandels stellen die Städte vor große Herausforderungen. Verändert sich das Klima extremer als außerhalb der Stadt?

Extremsituationen wie sommerliche Hitze nehmen nicht nur insgesamt zu, sondern insbesondere in den Städten. Beobachtungsdaten zeigen, dass hohe städtische Temperaturen in den vergangenen Jahren zugenommen haben, stärker als im Umland.

Der Temperaturunterschied zwischen Stadt und Land kann im Sommer bis zu 10 Grad Celsius betragen. Sollte man also eher aufs Land ziehen?

Je näher man an die Innenstadt heranrückt, je dichter und kompakter die Bebauung wird, desto mehr nimmt die Überwärmung zu. Die Lösung kann allerdings nicht sein, dass wir jetzt alle raus aufs Land ziehen. Deshalb diskutieren wir ja über die Begrünung der Städte und ausreichende Wasserflächen, um den Einschränkungen entgegenzuwirken, die Versiegelung mit sich bringt, wie fehlende verdunstungsaktive Oberflächen.

Mit mikrometrologischer Messtechnik untersucht das Institut für Geoökologie das Berliner Gründach. Bildnachweis: Jannik Heusinger/TU Braunschweig

Mit Ihrer Forschung zu den Auswirkungen von urbanem Grün wollen Sie das Stadtklima verbessern. Seit 2014 laufen Untersuchungen zur Kohlendioxidaufnahme bei einem begrünten Dach auf einem Parkdeck des künftigen Berliner Flughafens BER. Können Sie bereits etwas zu den Messergebnissen sagen?

In Berlin untersuchen wir ein großes Dach mit rund 9.000 Quadratmetern – mit mikrometrologischer Messtechnik. Diese wird weltweit eingesetzt, um den Austausch zwischen Oberfläche und Atmosphäre zu messen. Man kann mit der Technik sehr genau beobachten, wie viel CO2 von der Vegetation aufgenommen oder durch Atmung wieder abgegeben wird.

Gerade werten wir die Ergebnisse nach fünfjähriger Messung aus. Für uns war in erster Linie die Frage spannend, ob das Gründach wirklich CO2 aufnimmt. Und das können wir ganz klar mit ‚Ja‘ beantworten. Nach fünf Jahren sind wir jetzt bei einer mittleren Aufnahme von rund 140 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Quadratmeter Gründach pro Jahr. Das ist ungefähr vergleichbar mit der Menge, die ein Graslandstandort aufnimmt.

Das Interessante bei den Messungen: In den vergangenen fünf Jahren waren auch zwei sehr trockene Jahre dabei. So konnten wir auch die Frage beantworten, ob das Gründach bei Trockenheit CO2 abgibt, was man bei Wäldern, die unter Stress stehen, durchaus beobachtet. Unser Gründach in Berlin hat jedoch jedes Jahr CO2 aufgenommen. Es ist also eine sehr robuste Senke für CO2. Hinzu kommt noch: Das Gründach wird nicht gepflegt oder bewässert. Es wird quasi sich selbst überlassen.

Also können Gründächer das Klima der Städte verbessern?

Ein Gründach wird nicht so viel CO2 aus der Atmosphäre ziehen, dass wir es als die Lösung für Städte betrachten können. Dennoch zeigt eine Bestandsaufnahme in Braunschweig, dass es sehr viele Potenzialflächen auf den Dächern gibt, auf denen bislang unter anderem schwarze Dachpappe liegt, die man im Prinzip begrünen könnte. Neben der CO2-Aufnahme gibt es weitere positive Effekte: Das Gründach hilft durch Verdunstung die lokale Lufttemperatur zu vermindern. Es ist ein Lebensraum für verschiedene Arten in der Stadt und energetisch zeigen unterschiedliche Studien, dass es bei der Isolation des Gebäudes hilft und damit sowohl Kühl- als auch Heizleistung eingespart werden kann. Zudem ist es ein Zwischenspeicher für Wasser. Damit kann bei hohen Spitzen, wie Starkniederschlägen, das Abwassersystem entlastet werden.

Mit welchen Pflanzen ist das Dach begrünt?

Hauptsächlich mit Sedumarten- also trockenheitstoleranten Pflanzen – wie Fetthenne und Mauerpfeffer.  Außerdem wurden verschiedene Kräuter gepflanzt. Das ist eine ganz typische Mischung, die verschiedene Hersteller nutzen. Mit der Zusammensetzung der Pflanzen beschäftigen wir uns jedoch in unserer Forschung nicht.

Auf diesem Gründach auf einem Parkdeck des künftigen Berliner Flughafens BER laufen seit 2014 Untersuchungen zur Kohlendioxidaufnahme. Bildnachweis: Jannik Heusinger/TU Braunschweig

Jetzt werden Sie auch in Braunschweig Messungen an einem Gründach vornehmen.

Ja, auf diesem Dach setzen wir eine etwas andere Technik als in Berlin ein, weil es ein kleineres Gründach ist. Hier werden wir mit einem Kammersystem arbeiten. Man kann sich das wie eine umgedrehte Salatschüssel vorstellen, die auf den Boden aufgesetzt wird und damit eine Mini-Atmosphäre bildet. In dieser wird die CO2-Konzentration gemessen. Wenn die Vegetation Photosynthese betreibt, fällt diese mit der Zeit. Und daraus kann man die Menge der Aufnahme berechnen. Diese Kammer schwenkt automatisch auf und zu und ist nur für kurze Zeit geschlossen, weil wir in dieser Atmosphäre nichts Künstliches schaffen wollen. Es soll den Austauschprozess simulieren. Geplant ist, dass wir die Messung über ein komplettes Kalenderjahr betreiben. Damit erhalten wir ausreichend Messdaten, um zu ermitteln, was dieses Gründach eigentlich bewirkt.

Daraus werden Sie auch Unterschiede oder Gemeinsamkeiten der beiden Gründächer in Braunschweig und Berlin ermitteln können?

Im Prinzip sollten wir das. Natürlich verwenden wir hier zwei unterschiedliche Methoden. Wir müssen also immer genau hinschauen, ob es möglicherweise in dem Dach begründet ist oder an den Methoden liegt. Gründach ist nicht gleich Gründach. Das Braunschweiger Dach ist zwar auch mit etwas Sedum bedeckt, hat aber vor allem einen großen Anteil Gras.

Ich bin kein Freund davon, die eine Lösung zu suchen. Die gibt es häufig nicht. Wir müssen versuchen, Zielkonflikte mitzudenken und schauen, wo kann man vorhandene Potenziale nutzen. Bei den Dächern sehe ich den Vorteil, man tritt nicht in irgendwelche Nutzungskonflikte mit dem ebenen Erdboden, wo es Verkehrsflächen, Wohnflächen und Parks gibt.

Ein Blick über die Stadt Braunschweig: Auf einigen Dächern könnte noch es noch grün werden. Bildnachweis: Stephan Weber/TU Braunschweig

Da momentan viele Menschen wegen der Corona-Pandemie zu Hause bleiben, wird sich das Stadtklima vermutlich auch verbessern.

Wir erleben sicherlich in vielen Städten derzeit vor allem eine Verbesserung der Luftqualität, da die Verkehrszahlen teilweise auf bis zu 50 Prozent der Normalsituation zurückgehen. Die Zahlen, die in der vergangenen Woche auch durch die Medien gingen, basieren auf Auswertungen von Navigationsgeräten eines Herstellers. Davon sind die Emissionen aus dem Kfz-Verkehr direkt beeinflusst und das wird sich in den Schadstoffkonzentrationsmessungen sicherlich widerspiegeln. Wir gehen davon aus, dass wir diesen Effekt in unseren Messungen ultrafeiner Partikel in Berlin sehen sollten. Allerdings haben wir derzeit Schwierigkeiten an die aktuellen Daten zu kommen, da Dienstreisen verboten sind und das Gebäude der TU Berlin, auf dem wir unsere Messungen vornehmen, geschlossen ist. Da wir in Berlin nicht nur Konzentrationen messen, sondern ebenfalls den Partikelfluss – d.h. den turbulenten Transport ultrafeiner Partikel aus der Stadt in die Atmosphäre –  sind die Daten sehr spannend und werden uns Einblicke in die mögliche Verbesserung der Luftqualität während der Corona-Phase geben.

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag durch die Corona-Pandemie verändert?

Unser tägliche Arbeit in der Arbeitsgruppe Klimatologie und Umweltmeteorologie ist natürlich ebenfalls stark durch die aktuelle Situation geprägt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Home-Office. Wir halten unsere Kommunikation über verschiedene Wege aufrecht und lernen dabei täglich neue Videokonferenzplattformen kennen. Das ist teilweise ganz spannend, häufig aber auch nervig. Insgesamt kann es den persönlichen Kontakt keinesfalls ersetzen, da vor allem nonverbale Aspekte der Kommunikation auf der Strecke bleiben. Momentan beschäftigt uns die Umstellung und Anpassung unserer Lehre für das kommende Semester. Hier gilt es zunächst, den Kontakt mit den Studierenden aufzubauen und sinnvolle Formate für eine gute Lehre während der kommenden Wochen zu entwickeln.

Was geben Sie künftigen Stadtklimatologinnen und Stadtklimatologen hier an der TU Braunschweig mit auf den Weg? Wie können Sie Einfluss auf künftige Entwicklungen nehmen?

Stadtklimatologie ist ein spannendes und zukunftsträchtiges Thema. In den vergangenen drei bis vier Jahren mache ich zunehmend die Erfahrung, dass etliche unserer Absolventinnen und Absolventen zwar nicht direkt im Bereich Stadtklima untergekommen sind, aber häufig an grenzenden Bereich, wie Klimaschutz und Umweltplanung von Kommunen. Das ist ein Beschäftigungsfeld, welches stark gewachsen ist.

Was ich unseren Absolventinnen und Absolventen mitgeben möchte, ist, dass eine interdisziplinäre Sicht ganz wichtig ist. Ich arbeite mit Expertinnen und Experten aus Architektur, Raum- und Stadtplanung und zunehmend auch aus der Bauphysik zusammen. Viele Fragen sind in dem komplexen System Stadt miteinander verzahnt. Das wollen wir in der Lehre vermitteln. Unsere Studierenden sind auch bereit, über den Tellerrand zu schauen. Das wird immer wichtiger, ohne dabei die disziplinären Grundlagen zu vergessen.