8. Oktober 2025 | Magazin:

Überraschende Lösungen für eine effizientere Welt Innovators & Explorers: Wie Professor Christian Kirches mit Mathematik Zukunft gestaltet

In einer Welt, die zunehmend von komplexen Systemen geprägt ist – von autonomen Fahrzeugen und intelligenten Stromnetzen bis hin zu nachhaltiger Energieversorgung – wird die Fähigkeit, unter Unsicherheit optimale Entscheidungen zu treffen, immer wichtiger. Genau dieser Herausforderung widmet sich Professor Christian Kirches vom Institut für Mathematische Optimierung der Technischen Universität Braunschweig. Seine Forschung könnte in Zukunft entscheidend beeinflussen, wie wir leben, arbeiten und Energie nutzen.

Professor Christian Kirches vom Institut für Mathematische Optimierung Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Mathematische Optimierung heißt für Professor Christian Kirches: unter den unzähligen Möglichkeiten, ein System zu steuern, die beste Variante zu finden. In mathematischen Modellen bildet er reale Systeme ab – etwa das Fahrverhalten eines Autos oder das Verbrauchsverhalten eines Gebäudes. Die Herausforderung besteht darin, diese Realität mit all ihren Bezugsgrößen in einen mathematischen Formelapparat zu übersetzen und daraus eine Lösung abzuleiten, die nicht nur funktioniert, sondern optimal ist.

„Hochkomplexe Aufgaben, die der Mensch intuitiv gar nicht optimal lösen kann ­­– aber die Mathematik kann es.“

Christian Kirches

Mathematische Optimierung begegnet uns in vielen Bereichen des Alltags, in denen es darum geht, Abläufe möglichst effizient zu gestalten. Ein klassisches Anwendungsfeld in Braunschweig ist das autonome Fahren. Hier muss in Echtzeit berechnet werden, wann und wie stark gebremst bzw. eingelenkt werden muss. „Das sind hochkomplexe Aufgaben, die der Mensch intuitiv gar nicht optimal lösen kann ­­– aber die Mathematik kann es“, sagt Professor Kirches.

Antworten auf praxisrelevante Fragen

Dass sich hinter mathematischen Gleichungen Lösungen für reale Probleme verbergen, hat ihn früh fasziniert. Schon als Kind interessierten ihn Computer, später entdeckte er die Möglichkeiten mathematischer Modellierung. Prägend war sein Doktorvater an der Universität Heidelberg, Professor Hans Georg Bock, der den Studierenden in Vorlesungen zeigte, welche praxisrelevanten Fragen mit mathematischer Optimierung beantwortet werden können. Seitdem steht für ihn fest: „Ich will nichts anderes machen.“

Dass sich hinter mathematischen Gleichungen Lösungen für reale Probleme verbergen, hat Professor Kirches schon früh fasziniert. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Optimalsteuerung – also die Frage, wie sich dynamische Prozesse bestmöglich gestalten lassen. „Das sind Anwendungsfälle, bei denen das intuitiv Sinnvolle und das tatsächlich Optimale sehr weit auseinander liegen – wo wir Menschen also nicht in der Lage sind, mit unserer Intuition das Optimum aus dem Verhalten des Systems herauszuholen“, erklärt Professor Kirches. Das betrifft nicht nur den Automobilbereich und die chemische Verfahrenstechnik, sondern auch Robotik, Systembiologie oder medizinische Behandlungspläne. Dort, wo menschliche Intuition versagt, liefert die Mathematik häufig überraschende Lösungen.

Fundament für technologische Zukunft

In seinem aktuellen, mit einem renommierten ERC Grant ausgezeichneten Projekt „SCARCE“ untersucht Professor Kirches Optimierungsaufgaben hierarchischer Netzwerkstrukturen – komplexe Systeme, wie man sie in Verkehrs- und Stromnetzen oder auch bei Proteinfunktionen in der Biologie findet. „Eine sehr anspruchsvolle Optimierungsaufgabe, denn ihre Komplexität steigt mit der Größe des Netzwerks drastisch.“ Zudem müssen die Berechnungen robust gegenüber Veränderungen wie Wetter oder Verkehrsdichte bleiben. Sein Ziel: Algorithmen entwickeln, die diese Optimierungsprobleme schnell und effizient lösen – zunächst in der Theorie, dann anhand realer Datensätze in Fallstudien.

Prof. Christian Kirches: „Im Computer können wir durchspielen, was wäre, wenn – und daraus lernen.“ Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Dass die Ergebnisse aus seinem ERC-Projekt in Strom- oder Verkehrsnetzen in den kommenden Jahren umgesetzt werden, sei jedoch zunächst nicht zu erwarten. „Mathematik ist Grundlagenforschung“, betont Kirches. Aber er schafft das Fundament, auf dem die technologische Zukunft gebaut werden kann: Stromnetze, die intelligent auf Engpässe reagieren. Fahrzeugflotten, die gemeinsam agieren statt isoliert. Oder mathematische Szenarien, auf deren Grundlage Menschen fundierte Entscheidungen treffen. „Im Computer können wir durchspielen, was wäre, wenn – und daraus lernen.“

„Gute Mathematik beweist ein bahnbrechendes neues Resultat oder hilft, reale Probleme zu lösen – idealerweise beides.“

Christian Kirches

Kooperationen mit Partnern aus der Industrie und Forschung

Trotz des theoretischen Charakters ist seine Arbeit stets anwendungsorientiert. Ob Verkehrsmanagement, Energietechnik oder Medizin – in zahlreichen Projekten arbeitet Kirches mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft zusammen. Seine Überzeugung: „Gute Mathematik beweist ein bahnbrechendes neues Resultat oder hilft, reale Probleme zu lösen – idealerweise beides.“

Braunschweig bietet für seine Forschung ideale Voraussetzungen: eine enge Vernetzung mit Ingenieurwissenschaften, Kooperationsmöglichkeiten mit regionalen Partnern aus Industrie und Forschung. Und ein starkes Netzwerk aus Optimierern und Optimalsteuerern in Hannover, Clausthal, Magdeburg und Freiburg, die alle beim ehemaligen Doktorvater studiert haben. Die wissenschaftliche „Schule“ verbindet und erleichtert die Zusammenarbeit: „Man spricht dieselbe Sprache.“